Peanuts versenken im Mittelmeer

Zypern Die fragile Ruhe um den Euro soll nach dem Willen von EZB-Chef Mario Draghi nicht durch einen möglicherweise kollabierenden Inselstaat erschüttert werden
Ein Zypriot blickt auf den Stimmzettel für die Präsidentschaftswahl am 17. Februar
Ein Zypriot blickt auf den Stimmzettel für die Präsidentschaftswahl am 17. Februar

Foto: Stavros Ioannides/ AFP/ Getty Images

In dieser Woche spielt die Bundesregierung beim ersten regulären EU-Gipfel im neuen Jahr ein neues Spiel: Peanuts versenken im Mittelmeer. Am Rand der Schlacht um den künftigen EU-Haushalt geht es auch um Finanzhilfen für Zypern. Seit sieben Monaten wird über das Hilfsersuchen der Regierung in Nikosia verhandelt – 17,5 Milliarden Euro werden gebraucht. Eigentlich Peanuts, verglichen mit den Summen, die bisherige Rettungsaktionen in der Eurozone gekostet haben. Eine Bagatelle für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wie den Internationalen Währungsfonds (IWF), sollte man denken.

Doch darf nur unter den Rettungsschirm, wem die Geldgeber „Systemrelevanz“ bescheinigen. Der kleine Inselstaat mit knapp einer Million Einwohnern ist bei 18 Milliarden Euro pro Jahr nur für 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der Eurozone gut. Die Bilanzsumme der zypriotischen Banken lag 2011 gerade einmal bei 110 Milliarden Euro, die wiederum nur etwa 15 Milliarden Schulden bei anderen Banken in der EU haben. Die Einlagen dieser Institute gehören größtenteils Ausländern, allen voran Griechen und Russen. Mit anderen Worten – ein Zypern-Bankrott dürfte weder das europäische Bankensystem noch Euroland erschüttern. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, sieht die Währungsgemeinschaft durch einen Zypern-Kollaps dennoch bedroht – und gerät darüber mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble aneinander.

Uneingelöstes Versprechen

Denn nicht der Staat, sondern die privaten Großbanken der Insel stecken in der Klemme. Seit jeher mit griechischen Geldinstituten eng verbandelt, sitzen sie auf Milliarden fauler Privatkredite, die an griechische Kunden gingen, und obendrein auf Milliarden fauler Staatsanleihen, die in Athen aufgelegt wurden. Der Schuldenschnitt für Griechenlands Privatgläubiger vom März 2012 hat Zyperns Bankensektor hart getroffen und einen Verlust von mindestens zehn Milliarden Euro beschert.

Da die Industrie der Insel kaum der Rede wert ist, lebt man vom Tourismus und von Finanzdienstleistungen, was – wie in Großbritannien – einen übergewichtigen Bankensektor zur Folge hat. Überdies empfiehlt sich die Insel als Steuerparadies und lockt Briefkastenfirmen mit Gewinnsteuersätzen von zehn Prozent (etwas weniger als in Irland, aber deutlich mehr als auf Malta). Nicht wenige deutsche Firmen nutzen das, um Abgaben zu sparen. Wie andere Steueroasen in Europa auch wird Zypern zudem als Waschanlage für Schwarzgeld geschätzt. Ein signifikanter Teil davon stammt aus Russland. Mario Draghi will nun als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) die fragile Ruhe um den Euro nicht durch einen neuen Pleitefall erschüttert sehen. Und sei der noch so klein. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass griechische Finanzhäuser von schlingernden zypriotischen Partnern mitgerissen werden und internationale Finanzinvestoren zur Unzeit aufschrecken. Zu genau weiß der EZB-Chef: Was im Moment als „Ende der Euro-Krise“ bejubelt wird, beruht einzig und allein auf dem Versprechen seines Hauses, im Notfall unbegrenzt Anleihen der Euroländer zu kaufen – eine Ansage, die bislang nicht den definitiven Praxistest bestehen musste.

Es trifft sich nun, dass in Zypern Präsidentschaftswahlen anstehen und bis zum zweiten Wahlgang am 24. Februar die Verhandlungen über ein Hilfspaket der Euroländer auf Eis liegen. Der jetzige Präsident Dimitris Christofias, seit 2008 im Amt und Eurokommunist, war für die EU ein schwieriger Fall. Ein Paket nach bewährtem Troika-Muster, mit „Reformen“ von griechischem Zuschnitt, wollte er nicht billigen, sodass trotz aller Absichtserklärungen aus Nikosia und Brüssel bislang jede Entscheidung vermieden wurde.

Ein zweites Griechenland

Wirklich sinnvoll für Zypern wäre ein Schuldenschnitt, der auch ausländische Gläubiger träfe. Doch soll nach EU-Dogma die griechische Umschuldung vor einem Jahr der absolute Ausnahmefall bleiben. Erreicht den Inselstaat stattdessen der Hilfskredit, wird dessen Schuldenquote praktisch über Nacht von 85 Prozent auf 190 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Höhe getrieben. Diesen Schuldenberg wird ein Land mit der Wirtschaftsblässe Zyperns nie wieder los. Die deutsche Regierung laviert in der Euro-Gemeinschaft wie gehabt. Wie Zypern aus der Schuldenfalle wieder herauskommen soll, weiß sie nicht.

Nehmen wir an, über die „Systemrelevanz“ würde politisch entschieden: Wie wichtig ist Zypern für die EU? Nicht unwichtig jedenfalls: als Brücke zur Türkei, als Schuldner und Partner Russlands, als Kollateralschaden der Griechenland-Krise. Über allem steht jedoch die Frage: Brauchen wir noch einen Pleitestaat in Südeuropa? Nach Möglichkeit sollte das vermieden werden, sodass die ESM-Gewaltigen ihren Entschluss schon gefasst haben – die Peanuts werden vergeben. Fragt sich nur, zu welchen Konditionen.

Reformen als Vorbedingung für Finanzhilfen zu fordern, ist eine Selbstverständlichkeit. Die Vorgaben aus dem ESM-Vertrag erlauben kein anderes Vorgehen. Nur wie wäre es zur Abwechslung einmal mit den richtigen Reformen? Statt des neoliberalen Mantras von Privatisierungen, Lohnsenkungen, Rentenschnitten und Flexibilisierungen könnte man einen anderen Weg einschlagen. Zypern braucht eine Steuerreform, die ein Steuerdumping zu Lasten anderer EU-Staaten blockiert. Es braucht weiter eine Bankenreform, die Geldwäsche unterbindet, und eine Wirtschaftsreform, die absurde Abhängigkeiten von Finanzdienstleistungen drastisch reduziert. Eine Steueroase und eine Geldwaschanlage in Europa würden geschlossen, sodass die 17,5 Milliarden Euro dafür gut angelegt wären. Wenn Angela Merkel jedoch in der EU ihr Standardprogramm durchdrückt, sind die Peanuts versenkt, und wir haben über Nacht ein zweites Griechenland. Kleiner zwar, aber nicht weniger schlimm und genau so hoffnungslos.

Michael Krätke hat sich jüngst mit der Europa-Politik des britischen Premiers David Cameron beschäftigt

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