In Deutschland undenkbar, in Großbritannien inzwischen an der Tagesordnung: Professoren streiken und tun das mit der Unterstützung ihrer Studenten fast einen Monat lang an der Hälfte aller Universitäten, an 68 von 130. Auf der Insel haben Hochschullehrer keinen Beamtenstatus, sie zahlen Beiträge in Pensionsfonds, um Altersrenten zu sichern. Und sie sind überwiegend gewerkschaftlich organisiert, etwa in der University and College Union (UCU), einer der mitgliederstärksten Organisationen des Landes. Die UCU hat gerade den längsten Streik in der britischen Hochschulgeschichte durchgestanden, für den sich 88 Prozent der Mitglieder ausgesprochen hatten. Die Aktion begann am 22. Februar und ging in der Vorwoche vorläufig zu Ende, getragen hauptsächlich von jungen Lecturern und prekär beschäftigten Lehrkräften, doch ebenso von etablierten Professoren. Noch bemerkenswerter: Die Studenten, durch die neoliberale Hochschulpolitik der vergangenen Jahrzehnte immer mehr in die Rolle zahlender „Kunden“ gedrängt, haben sich ebenfalls massiv beteiligt und die Hochschulleitungen unter Druck gesetzt. Sie verlangen völlig zu Recht, dass ihnen ein Teil der exorbitanten Studiengebühren von heute 9.250 Pfund (10.570 Euro) pro Jahr zurückerstattet wird.
Kippende Gewinne
Worum es aber vor allem ging, das war der Umgang mit den Pensionsfonds für die Altersbezüge. Für alle vor 1992 gegründeten Hochschulen (insgesamt 68) ist das der Universities Superannuation Scheme (USS), einer der großen institutionellen Anleger auf den Finanzmärkten. Ausgestattet ist der allein mit den Beiträgen der Mitglieder und den Gewinnen, die sich aus Finanzinvestitionen ergeben. In aller Regel sind derartige Depots höchst konservative Anleger, die Risiken auch deshalb scheuen, weil sie staatlichen Aufsichtsbehörden zur Rechenschaft verpflichtet sind.
Im Sommer 2017 informierte der USS die Vereinigung der britischen Universitäten als Arbeitgeber und die UCU als Gewerkschaft, dass der Fonds zwar ein Riesenvermögen von mehr als 60 Milliarden Pfund angesammelt habe, leider aber auch ein Defizit, dessen Höhe bei 6,1 Milliarden Pfund liege. Deshalb – und um für weitere Risiken in der Zukunft gewappnet zu sein – sei ein Regimewechsel bei den Pensionen notwendig. Man müsse von einem Defined Benefit (DB) Scheme wie dem bisherigen zu einem Defined Contributions (DC) Scheme übergehen. Bei Ersterem weiß der einzelne Beitragszahler genau, wie viel er nach soundso viel Jahren der Eigenleistungen am Ende an Pension pro Jahr oder Monat erwarten darf; der Fonds garantiert diese Summe. Bei einem DC-System wäre das anders: Da weiß der einzelne Einzahler schlussendlich nicht mehr, mit welchen Bezügen er als Pensionär rechnen kann. Denn das hängt davon ab, wie viel der Fonds mit den angesammelten Beiträgen an den Finanzmärkten jeweils erwirtschaften kann. Und die neigen bekanntlich zu Schwankungen, mitunter sogar recht drastischen, die in Krisen übergehen. Dementsprechend können die Gewinne kippen, die von den Fondsmanagern verbucht werden. Es wäre vorbei mit der sicheren Pension. Das gesamte Risiko, das im DB-System vom Fonds und dann direkt von den Finanziers – also den Universitäten und deren Beschäftigten – getragen wird, wäre mit dem Übergang zu einem DC-System vollständig auf die Schultern des einzelnen Pensionärs abgewälzt, der Pech hat, wenn die Finanzmärkte heftig in Turbulenzen geraten.
Vertreter der Gewerkschaften haben die Geschichte vom Defizit umgehend zurückgewiesen, weil sie auf einer Risikoabschätzung beruhe, die nicht nachvollziehbar sei. Schließlich weise der Pensionsfonds derzeit einen Überschuss von wenigstens 5,2 Milliarden Pfund (5,97 Milliarden Euro) auf. Zweitens haben sie eine ganze Reihe von Alternativen zum geplanten Regimewechsel vorgeschlagen, etwa leicht angehobene Beiträge oder eine veränderte Anlagestrategie. Dass keine Gewerkschaft die Operation Regimewechsel schlucken kann, bei dem ein durchschnittlicher Lecturer um die 10.000 Pfund an Pension pro Jahr einbüßen könnte, das war von Anfang an klar.
Ein Konkurs ist möglich
Es waren dann die Vertreter der Universitäten, und zwar vor allem der reichen und vermögenden, die sich querstellten und die geplante Verschlechterung mit aller Gewalt durchdrücken wollten. Nicht zufällig. Beim bislang geltenden Regime sind es die Hochschulen, die im Falle eines Falles für die Ausfälle aufkommen müssen, sollte etwa eine der kleineren Lehranstalten in Konkurs gehen, was in Großbritannien durchaus möglich ist. Dies wiederum würde – so die Befürchtung der Universitätsmanager – ihre Kreditwürdigkeit beeinträchtigen. Die aber wird gebraucht, weil britische Universitäten – seit New Labour die Gebühren für durchweg alle Studenten (jedenfalls in England) eingeführt hat – in einen mörderischen Konkurrenzkampf um diese Kundschaft verstrickt sind. Es wird mit allen Mitteln – Internaten, Luxus-Mensas und Schwimmbädern – versucht, Studenten anzulocken. Die dazu nötigen Bauinvestitionen müssen mit Krediten finanziert werden, bei denen man auf wohlwollende Geldinstitute angewiesen ist.
Gemessen an diesen Bedingungen verlief der Streik höchst erfolgreich. Schon nach einer Woche begann die Front der Universitätsmanager zu bröckeln, sie wollten zurück an den Verhandlungstisch. Es kam zu einer Vermittlung, deren windelweiches Resultat von den Streikenden prompt abgelehnt wurde. Derzeit wird noch verhandelt, doch kann der Streik schon Ende April wieder aufgenommen werden. Sollten dadurch die Examen ausfallen, trifft das die Universitäten weitaus härter als ein Unterrichtsausfall im März. Dann hat man Zehntausende von wütenden Eltern am Hals, die sich die Abschlussfeiern mit ihren frisch diplomierten Sprösslingen schwerlich werden vermiesen lassen wollen. Die Gewerkschaft UCU lässt sich nicht beirren, hat sie doch mit dem Streik Tausende neuer Mitglieder gewonnen – Hochschullehrer und Studenten, die etwas fürs Leben gelernt haben: eine Lektion über real existierenden Neoliberalismus und die Preisgabe ihrer Universitäten an die Finanzmärkte.
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