Was nicht sein darf, gibt es nicht

Weltdepression Während die Finanzexperten vor der kriselnden Weltkonjunktur warnen, versucht Schäuble partout das Problem wegzuschweigen. Ein schlechter Trick
Ausgabe 42/2014

So viel ist gewiss: Finanzminister Wolfgang Schäuble hat es nicht gefallen in Washington. Vor der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank am Wochenende hatten IWF-Ökonomen mit ihrem World Economic Outlook vor einer Weltdepression gewarnt und einen Politikwechsel angemahnt. Höchste Eisenbahn sei es, um mit öffentlichen Investitionen gegenzusteuern. Da sich solche Programme kurz- wie mittelfristig mehr als bezahlt machten, könnten sie auch durch Schulden finanziert werden. Mit Geldpolitik allein sei der Weltökonomie nicht mehr beizukommen. IWF-Direktorin Christine Lagarde stieß ins gleiche Horn. Bitte kein Schönreden mehr, die – vornehm ausgedrückt – „Wachstumsschwäche“ sei unübersehbar. Der IWF habe Prognosen für die Weltwirtschaft nicht grundlos nach unten korrigiert, das eigentliche Sorgenkind sei die Eurozone.

Lagarde hat recht, denn Frankreich und Italien sacken weiter ab, andere Euroländer wie Finnland und die Niederlande krebsen durch die Deflationsfalle. Jetzt wartet alles gespannt auf die Zahlen des dritten Quartals und die Tricks, die Deutschland aus der Kiste holt, um nur nicht zugeben zu müssen, dass eine globale Depression auch die Exportnation par excellence einholt. Das kann schon deshalb nicht ausbleiben, weil China ein überbordendes Wachstum mit Erfolg drosselt, dazu Schwellenländer wie Brasilien und Indien eine Konjunkturflaute durchlaufen – weit und breit keine Wachstumslokomotiven in Sicht.

Britische Gesinnungsfreunde der Merkel-Regierung wie Schatzkanzler George Osborne wiegeln eifrig ab. Was einleuchtet: Die Tories bejubeln ja alles, was wächst. Und seien es Immobilienblasen. Sie spüren keinen Anstoß zum Sinneswandel. So sah Wolfgang Schäuble ebenfalls keinen Grund, beim IWF in Washington von einer Depression auch nur zu reden. Es gilt das Prinzip, was nicht sein darf, das gibt es nicht. Besonders verstörend dürfte es für den deutschen Minister gewesen sein, dass die IWF-Ökonomen erstmals das seit langem bekannte Phänomen der Entschuldungskrise (Entschuldung auf Teufel komm raus!) zur Kenntnis genommen und als krisenverschärfend gedeutet haben. Derlei kommt im austerianischen Katechismus normalerweise nicht vor.

Leider haben die Austeritätspolitiker noch einmal ihren Willen bekommen: Im Schlusskommuniqué des IWF bürsten die Regierungsideologen den Sachverstand der Ökonomen unter den Teppich. Dort ist nur noch von fälligen „Strukturreformen“ die Rede, die das ersehnte Wachstum bringen sollen. Warnungen ergehen nicht an die Austerianer, sondern an die Zentralbanker, die es bitte nicht zu bunt treiben sollen mit dem spottbilligen EZB-Geld.

Strukturreformen und bitte schön noch mehr davon, so lautet die Botschaft der Bundesregierung seit Jahren. Doch ist mit dieser hölzernen Formel nichts anderes gemeint als das zum Überdruss bekannte neoliberale Mantra: Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung – genau der Strauß ökonomischer Parolen, der uns seit der Weltfinanzkrise 2008/09 immer wieder hingestellt wird. Wer aber so tief im Sumpf steckt wie die meisten Euroländer, muss sich wohl oder übel selbst herausziehen. Das geht – vorausgesetzt, man hat einen Zopf und den dazugehörigen Kopf.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden