Fast unbemerkt ob Donald Trumps Helsinki-Spektakel haben die EU-Spitzenleute Juncker und Tusk beim Gipfel Mitte Juli mit Chinas Premier Li Keqiang eine WTO-Reformgruppe ins Leben gerufen. Die Welthandelsorganisation, 1995 gegründet, hat es in 15 Jahren nicht vermocht, Verhandlungen über die Doha-Entwicklungsagenda abzuschließen. Geredet über eine Reform der WTO-Regeln wird seit Jahren, geschehen ist wenig, nicht zuletzt dank der ungebrochenen Dominanz der reichen Welthandelsländer des globalen Nordens. Nun kommt der Schulterschluss der Europäer mit China in einer Zeit zustande, da Trump einen Mehrfrontenkrieg im Welthandel führt. Die USA gegen China, die EU und den Rest der Welt, die zu einer Welt von Feinden wird.
Bisher hat die EU mit seltener Entschlossenheit auf Trumps Attacken reagiert. Mit Vergeltungszöllen, drastischen Wettbewerbsstrafen für den US-Konzern Google, mit der unverblümten Erklärung, man werde mit gleicher Münze zurückzahlen, was auch immer geschieht. Schließlich reiste Jean-Claude Juncker nach Washington, um Tacheles zu reden und eine Waffenruhe auszuhandeln. Damit sind Trumps Zölle nicht vom Tisch, die EU-Vergeltungszölle ebenso wenig. Liegt das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP gar wieder auf dem Tisch? Trump hat Anfang 2017 die Verhandlungen dazu einseitig abgebrochen, er fand den Brexit großartig und wünschte sich eine gespaltene EU, aus der heraus jedes Land einzeln um die Gunst des großen Zampano bettelt. Stattdessen haben die Europäer der Trump-Administration bedeutet, ihre ökonomischen Interessen verteidigen zu wollen. Das erscheint auch deshalb geboten, weil der US-Präsident im Wahlkampfmodus bleibt und auf die Resonanz seiner Außenpolitik unter den Anhängern achtet. Die Kongresswahlen im November bestimmen alles, was er tut. Seine Klientel – die Bauern im mittleren Westen, die Malocher im Rust Belt – reagieren recht ungehalten auf Einkommens- und Jobverlust. Die Sojabauern in für Trump wichtigen Staaten wie Wisconsin und Michigan haben die Vergeltungszölle der EU und Chinas zu spüren bekommen, und zwar derart, dass sich die US-Regierung genötigt sah, mit einem Milliardenprogramm an Hilfen zu reagieren. Auch werden US-Fabrikanten von den Zöllen auf Stahl und Aluminium härter getroffen als die Europäer. Die großen nordamerikanischen Autobauer sehen den Absturz ihrer Aktien mit Sorge, Whisky-Brenner und Traditionsfirmen wie Harley-Davidson drohen mit Abwanderung.
Also musste sich Trump darauf einlassen, den Konflikt mit der EU nicht fortwährend zu schüren, sodass die angedrohten Autozölle vorerst nur geprüft, nicht verhängt werden. Dass sich die EU im Gegenzug bereit erklärt hat, mehr Soja (kein genmanipuliertes) und mehr Flüssiggas aus den USA zu importieren, hat Trump seiner Klientel sogleich als großen Erfolg verkauft. Er habe US-Agrarproduzenten den europäischen Markt geöffnet. Weit gefehlt, die vermeintlichen Konzessionen der EU sind nur so viel wert, wie die Kommission private Abnehmer gewinnen kann, mehr Soja aus den USA zu kaufen, und die nötige Infrastruktur in Europa für den Import von Flüssiggas merklich verbessert wird.
Vor allem aber brauchte Trump das Agreement mit Juncker, um die europäische und damit zweite Front im Handelskrieg vorerst zu vermeiden, wenn die USA an der ersten China gegenüberstehen. Vom Ärger mit Kanada, Mexiko, Südkorea und den Mercosur-Staaten in Südamerika einmal abgesehen. China ist der gefährlichste Gegner, es folgt seit Jahren einer klaren Geostrategie, und die Führung in Peking braucht dabei auf ein Wahlvolk nur wenig Rücksicht zu nehmen. Sie könnte sogar einen Währungskrieg gegen den Dollar führen, wenn auch nicht gewinnen.
Die EU reagiert auf diese Konfrontation, indem sie ihr ausweicht und auf den Erhalt eines multilateralen Welthandelssystems drängt, das jedoch ohne eine reformierte WTO schwer zu verteidigen sein wird. Eine Reform, die Trump bewusst blockiert, um die Welthandelsorganisation ganz auszuschalten. Ihm schwebt eine Freihandelsordnung ohne Zölle, ohne nichttarifäre Handelshemmnisse, ohne Subventionen und ohne Beschränkung des Marktzugangs vor – also transatlantischer Freihandel pur, wofür ihm TTIP nicht weit genug ging. Offiziell sind die Verhandlungen darüber nie beendet worden, können demnach wieder aufgenommen werden. Denkbar wäre, dass die EU-Kommission der Linie folgt, TTIP in einzelne Pakete aufzuteilen und diese separat zu verhandeln. Damit wären die kritischen Punkte des Abkommens aber nicht vom Tisch. Außer der EU selbst, die einen guten Teil ihrer Einnahmen durch die Außenzölle bezieht, hätte niemand etwas gegen Null-Zölle, nur klemmt es bei den sogenannten Handelshemmnissen. Darunter fallen auch sämtliche Sicherheits-, Umwelt- und Sozialstandards, die zwischen der EU und den USA höchst unterschiedlich ausfallen. Sie anzugleichen, hat sich als diplomatische Sisyphosarbeit erwiesen. Aber hat Brüssel nicht schon beim Thema Investorenschutz gezeigt, lernfähig zu sein?
Andererseits ist dem Verlauf der Brexit-Verhandlungen zu entnehmen, dass man in der EU-Zentrale nicht bereit ist, den Schutz und die Regularien des eigenen Binnenmarktes einfach aufzugeben. Nicht für die schönen Augen der Briten. Schon gar nicht für Donald Trump.
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