Xi Jinping bekennt sich auf dem Parteitag in Peking zu seiner robusten Außenpolitk
China Ein neuer Kaiser: Der XX. Parteitag zeigt, wie sehr sich die Kommunistische Partei mit Versprechen auf Wohlstand und Wiedervereinigung legitimiert
Seit der XX. Parteitag der chinesischen KP läuft, wetteifern unsere Medien in China-Astrologie. Mit schwer erträglicher Leichtigkeit gleitet man vom Banalen – China ist nun mal keine Demokratie nach westlichen Standards – zum Abstrusen. Es floriert die Praxis, China mit Russland, Belarus, Nordkorea und etlichen anderen Nicht-Demokratien in einen Topf zu werfen. Nur ist mit den üblichen Redensarten der komplexen Realität dieser fernöstlichen Gesellschaft schwer beizukommen. In der Pekinger Großen Halle des Volkes tagen 2.296 Delegierte, die immerhin mehr als 90 Millionen Parteimitglieder vertreten, darunter 7,8 Millionen hauptamtliche Kader. Die Kommunistische ist nicht die einzige Partei im Land, aber die herrschende und seit 1949 regierende. Wer i
r immer in China Politik und/oder Karriere machen will, findet früher oder später zur KP, die ein facettenreiches politisches Spektrum vereint, von linken Radikalen bis zu rechten Nationalisten, von Kommunisten bis zu Sozialisten.Dieser Parteitag wird gegen Ende eine neue Führungsspitze wählen: Das Zentralkomitee mit 376 Mitgliedern, dann das in der Regel 25 Personen zählende Politbüro und dessen Ständigen Ausschuss, dem derzeit sieben Kader angehören, unter anderem Wang Yang und Han Zhen, von denen einer Premierminister Li Keqiang beerben dürfte. Bisher galten auf zehn Jahre beschränkte Amtszeiten, doch hat Xi Jinping die noch von Deng Xiaoping (1904 – 1997) – dem Kopf der ab 1979 verfolgten Reformpolitik – stammenden Regeln geändert. Der Parteitag wird ihn zum dritten Mal als Parteichef bestätigen. Xi hat es ohnehin bereits geschafft, seine Leitidee – den „Sozialismus chinesischer Prägung in einem neuen Zeitalter“ – im Parteistatut und in der Verfassung der Volksrepublik verankern zu lassen. Bringt er sein Personal durch, wird er den Kurs der Partei noch stärker bestimmen können als vor dem Kongress.Ohne BarbareiAllerdings ist Xi kein Revolutionär wie einst Mao Zedong (1893 – 1976). Seine Paradigmen sind überraschend konservativ, er bekräftigt die Linie seines Vorgängers Hu Jintao, betont Reformen, die Verschränkung von Ökonomie und Ökologie, sogar Rechtsstaatlichkeit. Xi hat sich seine Sporen verdient, indem er rücksichtslos gegen Korruption und Vetternwirtschaft in der Partei und im Staatsapparat vorging, nicht zuletzt Schattenbanken aus dem Verkehr zog, die Kredite zu ausufernden Zinssätzen vergaben. Überdies hielt es Xi für angebracht, dass für Branchen wie die Mikrotechnologie inzwischen Anti-Monopol-Vorschriften gelten.Was das Land in den nächsten Jahren erreichen will, ist im laufenden 14. Fünfjahrplan festgelegt. Vorrangig geht es um „Modernisierungen“, denen Xi ebenso Priorität einräumt wie mehr sozialer Gleichheit, dem Klima- und Umweltschutz und dem steten Wachstumsgebot für Chinas Ökonomie – daran ist der Parteichef gebunden, daran wird er gemessen.Zum Auftakt des Parteitages hat Xi daher bekräftigt, worin sich alle Delegierten einig sein müssten: China solle ein wohlhabendes, modernes sozialistisches Land werden und dem ihm gebührenden Platz in der Welt einnehmen. Die Chinesen seien eine Kulturnation mit mehr als fünftausendjähriger Geschichte, ohne dass Epochen der Barbarei durchlaufen wurden, erinnerte Xi seine Landsleute und den Rest der Welt.Wie es deutsche Sozialdemokraten zu tun pflegen, beschwor er „sozialistische Grundwerte“, einen „umfassenden Sozialstaat“ und massive öffentliche Investitionen. Wer westlichen Medienbildern glaubt, kann sich kaum vorstellen, dass es dazu in dieser Partei eine lebhafte Debatte gibt. Sie gilt Zustand und Zukunft des chinesischen Sozialismus. Wer diese Diskussion ohne Vorbehalte zur Kenntnis nimmt, wird altbekannten sozialdemokratischen Konzepten von Sozialstaatlichkeit und Wirtschaftsdemokratie begegnen, aber nichts Verstörendes entdecken.Wenn in China heute von Sozialismus gesprochen wird, ist eine gemischte Wirtschaft gemeint, in der staatliche Unternehmen eine Rolle neben vielen anderen Akteuren spielen. Von staatssozialistischen Modellen sowjetischer Bauart ist das meilenweit entfernt. Der Staat soll viel, aber nicht alles regeln, das Treiben der Märkte überwachen, regulieren und begrenzen. Wo es nötig ist, wird eingegriffen. Wie jetzt in der akuten Immobilienkrise, die einen bescheidenen, leicht verwundbaren Wohlstand der urbanen Mittelklassen bedroht, zudem Banken, Baufirmen, Zementhersteller und Stahlunternehmen in Turbulenzen bringt.Xi steht weiter für eine harte Null-Covid-Politik, die dem Land ökonomisch zugesetzt hat. Die Führung rühmt sich, schneller und effektiver als jedes andere Regime mit der Pandemie fertig geworden zu sein. Was das Tempo angeht, stimmt das fast. Effizient jedoch waren die Maßnahmen kaum. Die Massenquarantänen in Millionenstädten wie Shanghai und Lockdowns in Serie haben die Ökonomie um die gewohnte Dynamik gebracht. Bei nur 0,4 Prozent lag das Wachstum zwischen April und Juni, auf 2,8 Prozent wird es sich im Jahresschnitt belaufen – auf eher weniger 2023. Es sei denn, die Politik wird rasch korrigieren. Nur verweigert sich die Regierung bis heute einer landesweiten Impfstrategie, für die man im Ausland entwickelte Impfstoffe importieren müsste. Das zu unterlassen, widerspricht dem sonst beanspruchten Groß- oder Weltmachtstatus, dessen man sich in Peking noch keineswegs sicher scheint. Daraus resultiert der Argwohn gegenüber einer etablierten Hegemonialmacht wie den USA, das erklärt gelegentliche Überreaktionen. Eine aufstrebende Macht muss sich in ihrer Region behaupten, sie muss ihre Handels- und Verkehrswege schützen können, wie das andere Handelsnationen ähnlich handhaben. Wie Briten und Franzosen es sich nicht nehmen lassen, im Ärmelkanal zu patrouillieren, zeigt sich die chinesische Marine in der Taiwan-Straße. Peking verneint territoriale Konflikte mit seinen Nachbarn beim Streit um Archipele wie die Spratly- und Paracel-Inseln im Chinesischen Meer. Wird das international anders ausgelegt, beruft sich China auf den multilateralen Ansatz seiner Außenpolitik, sprich: auf Formate wie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), mit der sich außerhalb der G 7 oder G 20 erwünschte Partner in Asien und neuerdings in Ozeanien sammeln lassen. Alte Feindschaften wie mit Indien werden eingehegt oder eingefroren.Man hütet sich, einen Führungsanspruch gegenüber Verbündeten offen anzumelden, etwa durch Machtworte gegenüber Moskau. Ist China wirklich die kommende Weltmacht, dann kreisen seine Vorstellungen von Weltordnung mehr um Ausgleich und Harmonie als um Dominanz und Hegemonie. Sich dabei von Mächten wie Europa und den USA abzuwenden, dürfte unvermeidlich sein. Auf absehbare Zeit wird sich China an die UN-Regeln halten und keineswegs als imperialistische oder revisionistische Macht auftreten. Daran wird sich auch in der dritten Amtszeit Xi Jinpings nichts ändern.Kein GewaltverzichtFür ein Aufhorchen bei externen Beobachtern dieses Parteikongresses sorgte Xi Jinping in seiner Eröffnungsrede lediglich mit dem Hinweis, man werde keinen Gewaltverzicht aussprechen. Mit Blick auf die Taiwan-Frage bedeutet das, eine friedliche Wiedervereinigung zu favorisieren, aber die militärische Variante nicht gänzlich auszuschließen, sollte Taipeh die Unabhängigkeit proklamieren und damit die Ein-China-Politik aufkündigen. Die wird seit Anfang 1979 bekanntlich auch von den USA mitgetragen. Sie führte zum Abbruch offizieller diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Taipeh und zum Verlust einer Präsenz der Republik China (Taiwan) in den Vereinten Nationen.Vielen Chinesen gilt Xi Jinping als eine Art neuer und guter Kaiser, der die Einheit des Reiches wahrt, wie sich dem schon Mao in den 1960er- und Deng in den 1980er-Jahren verschrieben hatten. Solange sie die Integrität und Wiedervereinigung des Reichs der Mitte garantiert, leitet sich daraus die Legitimität die KP-Herrschaft ganz wesentlich ab. Dass es dazu einer robusten Außenpolitik des langen regionalen Atems bedarf, betrachtet Xi Jinping als unerlässlich. Nüchtern beurteilt, ist daran nichts Anstößiges zu finden.
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