Erinnert sich noch jemand an den Spätsommer des vergangenen Jahres? Es war der Zeitpunkt, an dem sich die Frage nach dem Umgang mit der AfD eigentlich schon erledigt zu haben schien. Nach dem Auszug des Lucke-Flügels stand die AfD in Umfragen in Baden-Württemberg bei gerade einmal drei, in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz bei vier Prozent. Nun, knapp ein halbes Jahr später, könnte die AfD in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sogar vor der Sozialdemokratie landen und mindestens im ostdeutschen Bindestrichland sogar die Bildung einer Großen Koalition verhindern.
Die Kommunalwahlen in Hessen gaben vergangenes Wochenende schon mal einen Vorgeschmack von den parteipolitischen Verschiebungen. In vielen Kommunen konnte die AfD zweistellige Erfolge feiern, das vorläufige Ergebnis sieht die Rechtspopulisten mit 13,2 Prozent als drittstärkste Partei hinter der CDU (28,2 Prozent) und der SPD (28,0 Prozent). „Die Macht der etablierten Parteien bröckelt“, kommentierte AfD-Vorsitzende Frauke Petry diese Zahlen genüsslich. Dabei, das zeigen die Erfolge der NPD in manchem Wahlkreis, in dem die AfD nicht angetreten ist, wird es in der Auseinandersetzung nicht mehr allein um den Umgang mit der selbst ernannten „Alternative“ gehen. Die Debatte wird genauer, intensiver und breiter geführt werden müssen – nicht zugespitzt auf wenige Protagonisten und ihre einzelnen Äußerungen, sondern um das bis weit in die gesellschaftliche Mitte hineinragende, auf den Straßen und in den Wahlkabinen wiedererwachte Ressentiment.
Die Gründe für den steilen Aufstieg dieses Ressentiments und der AfD sind vielschichtig und nicht immer rational. Natürlich spielt das große Thema dieser Tage, der Umgang mit Geflüchteten und die Frage nach der Aufnahmebereitschaft der Bundesrepublik, eine bedeutende Rolle. Aber das allein reicht nicht, um den AfD-Aufstieg zu erklären. War es die Stigmatisierung der AfD, die ihr einen solchen Zulauf bescherte? Oder ist die Übernahme mancher Denkfigur, manches Argumentationsmusters der AfD durch die etablierten Parteien vielmehr ursächlich dafür, dass die rechtspopulistische Partei laut Umfragen in Sachsen-Anhalt inzwischen mit 19 Prozent Zustimmung rechnen kann, in Baden-Württemberg immerhin noch mit elf bis dreizehn Prozent?
Ein Wechselspiel
Der Blick nach Europa zeigt, dass wohl beide Erklärungsmuster tragen. Und dass vor allem das Wechselspiel aus programmatischer Übernahme durch die Etablierten – und damit einer Verschiebung des Diskurses – sowie die gleichzeitige Stigmatisierung der AfD als in Teilen extrem rechte Partei mitverantwortlich ist dafür, dass in der Wählerschaft Positionen zustimmungsfähig geworden sind, die vor zwei Jahren noch wenig politisch satisfaktionsfähig gewesen sind. Die politische Freisetzung dessen, was Sozialwissenschaftler seit mehr als einem Jahrzehnt als „Kultur der Menschenfeindlichkeit“ beschreiben, darf aber von Parteien, Medien und Gesellschaft nicht unbeantwortet bleiben. Kurz, es braucht konsistente und konsequente Regeln für den Umgang mit der AfD, die als Ausdruck einer Rechtsverschiebung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft gelesen werden muss.
Ein Blick zurück in die Geschichte der Bundesrepublik liefert dabei über die tagespolitische Aufgabenstellung hinaus womöglich Anknüpfungspunkte für diese Regeln. Als die Bundesrepublik nach 1945, aber auch in den 70er Jahren mit dem Höhenflug der Nationaldemokraten mit der Herausforderung rechten Denkens umgehen musste, war die Antwort nicht selten die gleiche: erstens eine Stärkung des sozialen und liberalen Konsens, Stichwort New Deal, wie sie von emigrierten deutschen Intellektuellen in den USA gemeinsam mit Vordenkern in der Umgebung von Präsident Franklin D. Roosevelt konzipiert wurde, um Nachkriegsdeutschland zu stabilisieren. Und zweitens eine massive Ausweitung der politischen Bildung. Vor allem durch die Schaffung von der Demokratisierung verpflichteten Lehrstühlen, einem Demokratisierungsauftrag an die Medien und politischer Bildung in Schulen, Betrieben und Universitäten.
Die Spitzenkandidaten bei den Landtagswahlen
Jörg Meuthen
Er will das gemäßigte Gesicht der Rechtspopulisten sein. Als Frauke Petry die erregte Flüchtlingsdebatte im Januar weiter anheizte, indem sie forderte, Bundespolizisten müssten notfalls auf Flüchtlinge schießen, beeilte sich der baden-württembergische Spitzenkandidat Jörg Meuthen zu versichern, das Ganze sei nur ein „Kommunikationsproblem“ – niemand wolle auf friedliche Menschen schießen lassen. Meuthen, 54, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl und sieht sich selbst als in wirtschaftlichen Fragen Liberaler, in gesellschaftlichen Fragen Konservativer.
Uwe Junge
Einen Moment bundesweiter Aufmerksamkeit erreichte der rheinland-pfälzische Spitzenkandidat Uwe Junge, 58, als der SWR ein TV-Duell absagte, weil Ministerpräsidentin Malu Dreyer nicht mit ihm diskutieren wollte. Der Berufsoffizier gilt als rhetorisch eloquent. Nach 34 Jahren in der CDU trat er zunächst der islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“ bei, verließ diese aber 2011 wieder und schloss sich 2013 der AfD an. Von Äußerungen des Ganz-rechts-Auslegers Björn Höcke zeigt sich Junge schon mal genervt, betont aber auch gern, dass er sich nicht auf zwölf Jahre Nazi-Diktatur „reduzieren“ lasse.
André Poggenburg
Anders als Meuthen und Junge trägt André Poggenburg, Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt, seine völkisch-nationalistischen Ansichten offen zur Schau. So sympathisiert er mit Pegida und lobt Marine LePen. Im Umgang mit politischen Gegnern fällt er durch einen Mangel an Umgangsformen auf. Claudia Roth bezeichnete er als „verbale Dreckschleuder“ und verteidigte dies auch nach Kritik aus den eigenen Reihen. Der 40-Jährige nennt sich einen „erfolgreichen Unter-nehmer“. In den vergangenen Jahren sind aber mehrere Haftbefehle gegen ihn ergangen, weil er Schulden nicht bezahlt hatte.
Ähnlich verliefen die 70er Jahre mit einem massiven Ausbau der politischen Wissenschaften und den darauf folgenden Versuchen, die Bundesrepublik intellektuell auf die Grundlagen des Grundgesetzes zu verpflichten. Beides war nicht immer kurz- oder mittelfristig erfolgreich, aber auf lange Sicht – dies zeigte nicht zuletzt die von neoimperialen Tönen weitgehend freie Umsetzung der deutschen Einheit im Jahr 1990 – war der Verfassungspatriotismus, die Anerkennung einer liberalen und demokratischen Bundesrepublik, eine durchschlagende Erfolgsgeschichte mit nur wenigen Kratzern. Gleichwohl zeigt sich nun, dass unterhalb der Erfolgsgeschichte, nicht zuletzt im Zuge der Umwälzungen seit den späten 70er Jahren und in der Wiederkehr der großen Krisen am Ende des vergangenen Jahrzehnts, dieser demokratische, verfassungstreue und liberale Konsens herausgefordert ist wie selten zuvor.
Es wird wieder einen langen Atem brauchen, wohl auch einen zu erneuernden sozialpolitischen New Deal, um diesen Konsens wiederherzustellen. Der Umgang mit der AfD und letztlich ihre Zurückweisung – nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich – wird in den kommenden Jahren der Lackmustest für die Bundesrepublik sein. Gefordert sind hier alle Bürger, so will es das Grundgesetz, so will es das Konzept der wehrhaften Demokratie. Aber insbesondere auch sich links verstehende Intellektuelle werden die Bundesrepublik als Idee offensiv gegen ihre falschen Freunde jenseits neoliberaler und völkischer Maximen verteidigen müssen. Die nebenstehenden Vorschläge sind von diesem Gedanken inspiriert und als ein zu erweiterndes und zu präzisierendes Angebot gedacht.
Was wir tun können
Gewusst-wie: Im Umgang mit der AfD ist bisher viel falschgelaufen. Hier sind ein paar Tipps, die gegen die Rechtspopulisten wirklich helfen
Guter Journalismus hilft
In vielen Medien herrscht immer noch eine gewisse Hilflosigkeit im Umgang mit der AfD. Mit moralischer Empörung oder gar dem Ausschluss von öffentlich-rechtlichen Wahlsendungen wird man der Partei aber nicht Herr werden. Man kann dem Populismus der AfD etwas entgegensetzen – aber nicht, indem man alles immer nur auf wenige Personen zuspitzt.
Verfassung schützen
Es wird wohl nicht reichen, die AfD nur inhaltlich zu stellen und argumentativ zu bekämpfen. Die Aktivitäten der Partei und ihrer Mitglieder müssen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Manche Äußerungen von Björn Höcke zum Beispiel sind ein Angriff auf die Verfassung – und müssen auch als solche ohne Nachsicht behandelt werden
Rot-Rot-Grün forcieren
Die AfD bringt die Parteienlandschaft nicht nur durcheinander: Sie zementiert auch die herrschenden Verhältnisse. Rein rechnerisch werden künftig fast nur noch Große Koalitionen möglich sein. Deshalb sollten SPD, Grüne und Linkspartei endlich ihre Berührungsängste überwinden und eine gemeinsame politische Alternative anbieten.
Nicht tabuisieren
Die AfD ist eine nationalistische, teils rechtsextreme Partei. Aber sie wird voraussichtlich zweistellige Ergebnisse erzielen. Und es bringt nichts, ihre Wähler auszugrenzen. Das macht die Partei nur stärker. Man sollte ihre Themen daher nicht tabuisieren, sondern im Gegenteil ernst nehmen und offensiv dagegen argumentieren.
Gezielt Zeichen setzen
In Sachsen wurde verhindert, dass ein AfD-Politiker als Alterspräsident das Parlament eröffnete. Das mag im Vergleich zur notwendigen gesellschaftlichen Debatte nur eine Kleinigkeit sein, aber solche Aktionen sind trotzdem wichtig. Sie zeigen: Man muss sich auch als demokratisch verfasste Gesellschaft nicht alles bieten lassen.
Genau hinsehen
In den vier Landesparlamenten, in denen die AfD bisher vertreten ist, stellt die Partei auch Vorsitzende von Parlamentsausschüssen. Dieses Recht sollte man ihr auch in den neuen Parlamenten zugestehen. Es wäre eine souveräne demokratische Haltung. Und es eröffnet die Möglichkeit, die AfD an ihrer Arbeit zu messen. Bisher ist diese Bilanz nämlich äußerst mager.
Gegenhalten
Man sollte die AfD nicht auf das Flüchtlingsthema reduzieren. Diese Partei ist eine Gegenthese zur Liberalisierung der Bundesrepublik. Sie ist unter anderem gegen das Recht auf Abtreibung und die Gleichstellung von Frauen. Sie steht für einen nationalen Konservativismus, von dem sich das Land seit den 60er Jahren zum Glück erfolgreich emanzipiert hat.
Radikales nicht tolerieren
Von kommender Woche an wird die AfD in sieben Landesparlamenten vertreten sein. Bisher hat sie sich in den Parlamenten, in denen sie bereits sitzt, unauffällig verhalten. Aber in den vergangenen Monaten hat sie sich stark radikalisiert. Man wird ihren Vertretern zuhören müssen, schließlich sind sie gewählt. Aber bei Entgleisungen sollten die Abgeordneten den Saal verlassen.
Es wird aber schwierig werden, die AfD parlamentarisch bloßzustellen. Schon deshalb, weil bei ihr die parlamentarische Arbeit eher rudimentär ausgeprägt ist. Keine Gesetzesinitiative brachte etwa die sächsische AfD im ersten Jahr ihrer Landtagszugehörigkeit ein, nicht eine kleine Anfrage kam etwa von Frauke Petry. Und nicht zuletzt Björn Höcke hat die Losung ausgegeben, dass nicht das Parlament, sondern die Bewegung außerhalb hilft, politische Forderungen durchzusetzen. Oberste Maxime müsste daher sein, sich im Landtag mit der AfD auch nicht „überzubeschäftigen“.
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