Die Losung prangt in übergroßen Lettern auf der Startseite des AfD-Auftritts, ganz so, als bräuchte es eine solche Erinnerung: „Eurokrise bleibt Thema!“. Daneben, nicht minder groß, das Konterfei von Bernd Lucke, der sich gerade mit einem Teil seiner Partei in einem heftigen Machtkampf befindet. Erst kürzlich hatten seine parteiinternen Kritiker von Konrad Adam über Alexander Gauland bis hin zu Beatrix von Storch in einem Brandbrief zur Lage der Partei geschrieben, dass Lucke vor allem „für eine neue Euro-Politik“ stehe. Die Verfasser fügten ein vergiftetes Kompliment an: „Das ist gut und bleibt wichtig. Hinter diesen Themen stehen Sie. Das wünschen wir uns auch künftig.“ Denn richtig ist auch: Die Lucke-Partei dringt mit diesem Thema nicht mehr durch. Der mögliche Exit Griechenlands aus der Eurozone ist inzwischen zu einer Position geworden, die auch die Union und Teile der SPD unterstützen. Das Euro-Thema findet in der AfD nur noch am Rande statt.
Stattdessen streitet sie über den Umgang mit der Dresdner Pegida-Bewegung. Und damit um eine programmatische Neuausrichtung. Brandenburgs Landeschef Alexander Gauland marschierte unlängst in Dresden mit den in seinen Augen „natürlichen Verbündeten“ der AfD. Vorstandsmitglied Frauke Petry traf als erste deutsche Politikerin die Organisatoren von Pegida, um „inhaltliche Schnittmengen“ zu suchen. Parallel dazu treiben die Bemühungen von Konrad Adam, dem Islam die eingeschriebene Anwendung von Gewalt nachzuweisen, immer neue Blüten.
Immer radikaler
Lucke und Hans-Olaf Henkel wollen davon nichts wissen. „Abstand halten“, lautet die Forderung des ehemaligen BDI-Chefs, während Lucke insistiert, das eurokritische Gründungsmotiv der AfD bleibe, ähnlich wie bei den Grünen der Umweltschutz, von besonderer Bedeutung. Der Verweis ausgerechnet auf die Grünen zeigt dabei nur, wie verunsichert Lucke & Co. sind. Nun ist die AfD nicht die erste Partei, die in dem Moment ihres politischen Triumphs sprachlos wirkt. Nur bei einer so jungen Partei überrascht dies doch – zumindest auf den ersten Blick. Allerding ist der Machtkampf um die inhaltliche Ausrichtung Ausdruck eines Konflikts, der auf die Gründung der AfD zurückgeht. Denn die Alternative für Deutschland war von Beginn an weit mehr als nur eine Vereinigung von eurokritischen Wirtschaftsprofessoren. Sie war eben auch immer schon eine mit Ressentiments aufgeladene, nationalkonservative, gesellschaftlich regressive und religiös durchwirkte Partei. Beatrix von Storch, die einflussreiche Netzwerkerin in der AfD, machte mit ihrer radikalen Kritik an Abtreibung, Homo-Ehe und Gleichstellung früh klar, dass es ihr nicht nur um Euro-Kritik geht, sondern schon immer um die „Verteidigung christlicher Werte“ und gegen die „Gender-Ideologie“. Konrad Adam und Alexander Gauland haben sich seit Jahren in puncto Nationalismus und Islamkritik publizistisch radikalisiert. Doch selbst wenn es Lucke gelingen sollte, sich auf dem anstehenden Parteitag Ende Januar durchzusetzen und die Pegida-Bewegung auf Abstand zu halten: Der Angriff der nationalkonservativen, ultrareligiösen Spitzenleute auf Lucke zeigt, wie weit die nur vermeintlich Wenigen zu gehen bereit sind. Und ein Blick auf die Tea-Party-Bewegung in den USA zeigt, dass es letztlich nur wenige Radikale braucht, um den politischen Diskurs, ja sogar das Klima in einem ganzen Land zu vergiften.
Eines zumindest zeichnet sich immer deutlicher ab: Die AfD befindet sich auf dem Weg, eine deutsche Tea-Party-Bewegung zu werden. Natürlich gibt es situationsbedingte Unterschiede. Eine publizistische Unterstützung wie durch Fox News ist in der deutschen Medienlandschaft nicht vorstellbar. Auch ist die politische Debattenkultur konsensorientierter, die deutsche Tea Party hat sich außerhalb der Union gebildet und ist auch nicht in der Lage, ein ganzes Land lahmzulegen.
Doch es gibt auch viele Gemeinsamkeiten: Beide, Tea Party und AfD, sind eine Folge von wirtschaftlichen Krisenerscheinungen. Auch die Tea Party in den USA begann mit wirtschafts- und finanzpolitischen Themen, als Aufstand der „Patrioten“ gegen das nahezu „sozialistische Establishment“ eines diktatorischen Zentralstaates in Washington. Ausufernde Schulden und deren Verhinderung wurden zu dem Markenkern der Tea Party und dann, mit zeitlicher Verzögerung, der AfD.
Doch längst ist die Tea Party nicht mehr nur eine Partei marktradikaler Staatsskeptiker, sondern eine reaktionäre, ressentimentbeladene Bewegung. Sie ist dabei fest verankert in einem spezifischen Milieu: dem evangelikal geprägten Bibelgürtel in den USA. Die Autorin Eva Schweitzer schreibt über die Bewegung und ihre „weiße Wut“, sie habe sich mit den religiösen Ultras assoziiert: gegen Schwulenehe, Abtreibung, Verhütung, Ehescheidung. Sie sei in Teilen strukturell rassistisch, gegen Immigranten gerichtet und verachte die als links empfundene Presse. Vieles von dem, was Schweitzer beobachtet hat, findet sich inzwischen auch in der Bundesrepublik. Sowohl bei der Pegida, als auch bei der AfD.
Was für die Tea-Party-Anhänger die „weiße Angst“ davor ist, dass „ihnen das Land weggenommen“ würde von Einwanderern und „Nicht-Weißen“, ist für die Pegida-Bewegung die Sorge vor der angeblichen Islamisierung des Abendlandes. Der strukturelle Rassismus, die „Lügenpresse“, die auch im Angesicht der Anschläge von Paris irrationalen Ängste vor einer Islamisierung des Abendlandes schüren– hierzulande muss man sich nicht mehr vor dem Aufkommen einer deutschen Tea-Party-Bewegung fürchten. In Dresden ist sie längst auf der Straße zu sehen; in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in den Parlamenten vertreten. Im öffentlichen Diskurs ist sie längst dabei, die Grenzen zu verschieben.
Aber auch darüber gibt es Millieus, aus denen Pegida schöpft: etwa im sächsischen Bibelgürtel, jenen Landstrichen zwischen dem Vogtland und dem Erzgebirge, in denen evangelikal geprägte Gemeinden noch eine gesellschaftliche Instanz sind; in denen, nach den Worten der Journalistin Jennifer Stange, christliche Fundamentalisten eine Avantgardeposition einnehmen. Auch in anderen evangelikal geprägten Regionen Deutschlands, etwa Teilen Baden-Württembergs oder dem Siegerland hat Homophobie, Islamophobie und ein reaktionäres Familienbild die jahrzehntelange Modernisierung der Gesellschaft überdauert. Der Kampf gegen den grün-roten Bildungsplan in Baden-Württemberg war vor allem einer dieser extrem bibeltreuen Christen. Initiiert und lautstark unterstützt wurde der Kampf von Beatrix von Storch: Wo „das Gift der Gender-Ideologie“ in „einer Klarheit und Gewalt“ daherkommt wie im dortigen Bildungsplan, da werde „Widerstand nachgerade zur Pflicht“.
Hoch gerüstete Evangelikale
Die Erfolge bei einer Petition gegen das Vorhaben zeigen, wie politisch hoch gerüstet die Evangelikalen, zu denen in Deutschland etwa 1,3 Millionen Menschen gerechnet werden und deren Mitgliederzahlen entgegen aller Trends seit Jahren im Steigen begriffen sind, sind. Was sich in jenem Milieu aus einer bibelgetreuen Glaubensauslegung destillieren lässt, ist nichts anderes als der Versuch einer gesellschaftspolitischen Gegenreform fundamentalistischer, homophober und islamophober Kreise, die familien- und gesellschaftspolitisch zum Rollback in die Adenauerjahre blasen. Und die weitgehend ein Spiegelbild der Positionen amerikanischer Ultrareligiöser bieten.
All das sind Themen, die sich auch in den Wahlprogrammen der AfD wiederfinden. Der „Schutz freier Schulen“, das Recht auf „Homeschooling“, die Ablehnung der „Gender-Idologie“, die Beschwörung der christlichen Kultur. Auch mit öffentlichen Äußerungen hält sich die Partei schon längere Zeit nicht mehr zurück. Diese unselige Mischung aus reaktionärem Weltbild, Menschenverachtung und neurechtem Denken hat der AfD im Süden Sachsens von Beginn an Rekordwahlergebnisse gesichert und findet sich auch bei vielen Teilnehmern der Dresdner Pegida-Märsche.
Eine Mischung, die wirtschaftsliberale AfD-Prominente wie Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel zum Widerspruch herausfordern muss, während die Hardliner um Adam, Gauland, von Storch und Petry zielstrebig an der Umwandlung der AfD in eine deutsche Tea Party arbeiten. Dass Gauland und Pegida dabei auch nicht vor einer Instrumentalisierung der furchtbaren Anschläge von Paris zurückschrecken, zeigt nur den unumstößlichen Willen, die bürgerliche Parteienlandschaft noch weiter nach rechts zu öffnen.
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