Vielfalt in Gefahr

Medien Blogs und Internetportale bekommen Abmahnungen, weil sie keine „Sorgfalt“ einhalten. Alles Fake News? Ein Einspruch
Ausgabe 28/2021
Vielfalt in Gefahr

Illustration: der Freitag; Material: iStock

Der Staat greift nach dem Internet – und die Öffentlichkeit schaut weg, weil die Leitmedien auf einen K.-o.-Sieg im Kampf um Definitionsmacht und Deutungshoheit hoffen oder ohnehin auf Linie sind. Mehr noch: Der Staat hat Zensurbehörden installiert und dafür auf der großen Bühne sogar Beifall bekommen. Im Hintergrund wird eine Geschichte aus dem Kalten Krieg erzählt, die sich gut aktualisieren ließ. Der „Feind“ greift jetzt nicht mehr aus Moskau an, sondern aus dem Netz und ist so gefährlich, dass wir alles vergessen dürfen, was uns das Dritte Reich gelehrt hat. Meinungs- und Medienfreiheit waren gestern. Heute bestimmt die Politik, was öffentlich gesagt werden darf.

Der Reihe nach. Der neue Medienstaatsvertrag, in Kraft seit November 2020, wertet die Landesmedienanstalten auf. Finanziert aus unseren Beiträgen, waren diese bisher nur für den privaten Rundfunk zuständig. Doch jetzt werden mit den 33 Cent, die von jenen 17,50 Euro an diese Anstalten gehen, alle überwacht, die „journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote“ ins Internet stellen. Im Gesetz heißt der Hebel „Sorgfaltspflichten“. In Kurzform: „Inhalt, Herkunft und Wahrheit“ prüfen, bevor man eine Nachricht veröffentlicht.

Dagegen wäre nicht viel zu sagen, wenn daraus praktisch nicht längst ein Instrument der Verfolgung geworden wäre, das die Existenz der alternativen Medienszene bedroht. Seit Februar bekommen Blogger und Portalbetreiber Mahnschreiben: Liefert Belege oder löscht. Sonst löschen wir. Das betrifft auch Meinungsstücke und Themen, bei denen die Gelehrten über die „Wahrheit“ streiten – über „das, was der Mensch nicht ändern kann“ (Hannah Arendt). Da jede Aussage über die Wirklichkeit einen Menschen braucht, geht nichts über Pluralismus.

Eigentlich hätte ich hier „ging“ schreiben müssen. Angela Merkel hat spätestens am 29. Oktober 2020 mit ihrer Corona-Regierungserklärung den Ton gesetzt: „Lüge und Desinformation, Verschwörung und Hass beschädigen nicht nur die demokratische Debatte, sondern auch den Kampf gegen das Virus.“ Schon anderthalb Jahre vorher, bei der Einweihung der BND-Zentrale in Berlin, hatte die Kanzlerin „Fake News als Teil der hybriden Kriegsführung“ ausgemacht und damit in der Agenda ihres Kabinetts ganz nach oben geschoben.

Jene Mahnschreiben sind dabei nur die eine Spitze des Eisbergs. Auf der anderen sitzt ein Verfassungsschutz, der das Portal KenFM beobachtet und schon mit der entsprechenden Ankündigung den Autorenpool austrocknet. Unter der Wasseroberfläche blockiert und löscht YouTube Videos oder ganze Kanäle – mit vagem Hinweis auf irgendwelche Richtlinien, die wir nicht beeinflussen können. Andere Plattformen versehen alles mit Warnhinweisen, was der hegemonialen Erzählung widerspricht, und sorgen via Algorithmus für sinkende Reichweite. Banken kündigen Internetjournalisten das Konto, und Fundraising-Dienste beenden die Zusammenarbeit, wenn ihnen die Inhalte nicht passen. Alles in Deutschland, wohlgemerkt, und fast ohne den Einspruch derer, die berufen sind, die Meinungsfreiheit zu verteidigen.

Sicher: Der Staat hat die Finger meist nur mittelbar im Spiel. Es geht um Fördermittel, um Wohlverhalten, um vorauseilenden Gehorsam. Je größer das Unternehmen, umso bedrohlicher wirkt das Damoklesschwert der Regulierung. Bei den Landesmedienanstalten ist das alles keine Frage: Das sind politische Behörden, oft geleitet von Parteipolitikern. Da geht es nicht um „Wahrheit“ und auch nicht um journalistische Qualität. In der Politik geht es um Macht. Sanktioniert werden die Plattformen, die die Definitionsmacht des Parteienstaates herausfordern.

Ein Schlupfloch immerhin bietet der Medienstaatsvertrag. Es orientiert sich an Presse und Rundfunk und heißt Freiwillige Selbstkontrolle. Das wäre vielleicht ein Weg: Wenn Deutschland kein Zensurstaat werden will, brauchen wir einen Internet-Rat, unabhängig, besetzt mit Expertise.

Michael Meyen lehrt als Professor für Kommunikationswissenschaft in München

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