Im Spiegel vom 7. 6. 1999 erschien unter dem Titel Bei Kaffee und Gebäck eine Enthüllungsgeschichte aus der Feder Johannes Salzwedels, derzufolge der »legendäre DDR-Romanist Werner Krauss, NS-Widerständler und Kollege Victor Klemperers«, »kurze Zeit Informant der Stasi« gewesen sei, wenn auch »ein unbequemer«. Was immer das heißen mag: Werner Krauss - einer der wenigen deutschen Hochschullehrer, die dem Nazi-Terror aktiv Widerstand geleistet haben - hat tatsächlich, wie der >Spiegel berichtet, mit gefesselten Händen in der Todeszelle zwei Bücher geschrieben. Als er, dem Henker entronnen, aber mit für immer durch die Nazi-Torturen zerrütteter Gesundheit, von Marburg in die »SBZ« wechselte, um dort -
Von Widerstand und Denunziation
DUBIOSE ANSPIELUNGEN Anmerkungen zu den Stasi-Vorwürfen gegen den DDR-Romanisten Werner Krauss
Exklusiv für Abonnent:innen
wechselte, um dort - wie er meinte - am Aufbau eines neuen Deutschlands mitzuwirken, begann die Verleumdung im Westen. Die laut Spiegel »bis heute unter Romanisten gerühmte Studie« über Gracián, den Philosophen, den der Spiegel offensichtlich nicht kennt, an dem sich aber zum Beispiel Schopenhauer orientiert hatte, entstand in Erwartung des Henkers. Sie erschien 1947 bei Klostermann in Frankfurt am Main und erhielt nur eine einzige Rezension in der westdeutschen Fachpresse: In ihr wurde Krauss als Kommunist denunziert, der aus Gracián einen Genossen gemacht hatte.Im halben Jahrhundert seiner Existenz hat der Spiegel es nicht für nötig befunden, über diesen mutigen Gelehrten ein Wort zu verlieren, der in der ganzen Welt und speziell in Frankreich als der bedeutendste deutsche Aufklärungsforscher galt und gilt. Nun wird dem Spiegel-Leser plötzlich mitgeteilt, Krauss habe mit der Stasi zusammengearbeitet. Liest man den Text genauer, erfährt man freilich etwas anderes. Seinen (widerständigen) Studenten und der in Plötzensee hingerichteten Geliebten Ursula Goetze hatte Krauss eingeschärft, der Gestapo - im Fall der Fälle - nie die Wahrheit zu sagen, dafür aber alles, was sie schon wisse, zuzugeben, ironisch auf die Widersprüche in der Argumentation der Verhörenden hinzuweisen und im übrigen unverbindliche Loyalitätserklärungen abzugeben. Einen Höhepunkt dieser Strategie bildete sein Dialog mit dem Gestapobeamten nach seiner Verhaftung Ende 1942 über den Zauberberg, der in der Rezeptionsgeschichte Thomas Manns einen Ehrenplatz einnehmen müßte und den Werner Krauss für einen Prozeßbericht vor dem Lüneburger Landgericht protokolliert hat: »Auf meinen Hinweis, ich hätte trotz genauer Lektüre dieses letzten Werkes nichts Politisches oder gar Deutschfeindliches daran erkennen können, erwiderte der vernehmende Kommissar, Thomas Mann sei doch als übler Hetzer bekannt. Ich entgegnete, ich hätte am 'Zauberberg' nichts Hetzerisches gefunden, vielleicht würde mir dies bei einer erneuten Lektüre ebenso einleuchten wie ihm, der sich doch sicher sehr eingehend mit diesem Buch befaßt hätte. Diese Zumutung, Thomas Mann gelesen zu haben, wies der Beamte mit sichtlichem Entsetzen von sich. Ich erklärte, daß es vielleicht zu den abwegigen Vorurteilen der Wissenschaftler gehöre, nur Dinge zu beurteilen, die man kenne. In diesem Stil endeten die meisten Vernehmungen. Die Feststellung zahlreicher marxistischer Literatur in meiner Bibliothek wurde in der Hauptverhandlung nicht gegen mich ausgewertet. Wahrscheinlich, weil man sich scheute, dieses heikle und zu Diskussionen verleitende Gebiet zu betreten.«Wie man dem Spiegel entnehmen kann, hat Werner Krauss sich auch in den Gesprächen mit der Stasi so verhalten und im übrigen niemand belastet. Im Gegenteil, wenn es darauf ankam, hat er versucht, selbst Kollegen zu schützen, die er (wie Ernst Bloch) nicht schätzte. Auch seinen wegen »Beihilfe zum Staatsverrat« verurteilten Schüler Winfried Schröder, den bekannten Rousseau-Forscher, den der Spiegel geheimnisvoll Winfried S.* nennt, statt ihn selbst zur Sprache kommen zu lassen, hat er vor der Stasi in Schutz genommen und auch nach verbrachter Haft nicht fallen lassen, sondern an der Akademie der Wissenschaften untergebracht. Dorthin hatte sich Krauss geflüchtet, um ungestört Aufklärungsforschung zu betreiben, weil ihm dies für Deutschlands Zukunft wichtiger zu sein schien als Histo- und Diamat-Exegetik.Da der - in diesem Artikel - sonst redselige Spiegel merkwürdig lakonisch wird, wenn er von angeblicher Belastung zweier »Akademie-Kollegen« durch Krauss spricht, ist zu vermuten, daß Krauss auch in diesem Fall genauso verfuhr und das ganze eine Luft-Nummer ist: Man sollte nun auch Roß und Reiter nennen und genau mitteilen, was Krauss denn tatsächlich getan und gesagt hat, statt dubiose Anspielungen zu veröffentlichen. Immerhin hat die Stasi in just dieser angeblichen Belastungssache definitiv ihre Versuche abgebrochen, Krauss zur Mitarbeit zu bewegen: Vermutlich an der Strategie des ebenso versoffen-kauzigen wie genialen »Alten« verzweifelnd, befand sie laut Spiegel: Krauss »Zuverlässigkeit« sei »nicht ausreichend«. Na klar! Schon 1957 hatte die Leipziger Stasi befunden, die dortigen Romanisten seien »typische Intellektuelle im schlechten Sinne«, die von Krauss »zu wirklichkeitsfremder Âspinnerhafter Theorie verleitet« würden.Weniger evident ist, warum der Spiegel diese Story bringt, in der es sogar mit der Chronologie hapert und 1957 zum Beispiel auf 1961 folgt. Krauss war Vertreter einer Wissenschaft, der Romanistik, die ihre Begründung zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem Haß auf den »Erbfeind« Frankreich mitverdankte: Sie war antiaufklärerisch-antirepublikanisch, und 1933 marschierte sie mit wenigen Ausnahmen in die Gleichschaltung: Krauss, die aus naheliegenden Gründen kosmopolitisch orientierten jüdischen Vertretern wie Leo Spitzer, Erich Auerbach und Victor Klemperer. Sie machten 1933 circa ein Viertel der Romanisten in Amt und Würden aus und wurden ins Ausland (und einige auch in den Tod) gejagt. Nur Klemperer überlebte, wie man nun weiß, in Nazi-Deutschland. Er erhielt seinen Lehrstuhl zurück. Im Osten, wo er sich unter anderem - und manchmal mit Recht - über den schwierig-chaotischen Krauss ärgerte. Im Westen hingegen wurde nicht ein einziger der vertriebenen jüdischen Romanisten zurückgeholt. Dafür blieben die (zum Teil üblen) Nazis und Mitläufer im Amt, was von einigen jüngeren Romanisten, allen voran dem Freiburger Herausgeber der »Romanischen Forschungen«, Frank-Rutger Hausmann, seit circa einem Vierteljahrhundert aufgearbeitet wird (vgl. u.a. Deutsche und österreichische Romanisten als Verfolgte des Nationalsozialismus, hg. von H. Christmann/F.-R. Hausmann/M. Briegel, Tübingen 1989; F.-R. Hausmann: Aus dem Reich der seelischen Hungersnot. Briefe und Dokumente zur Fachgeschichte der Romanistik im Dritten Reich, Würzburg 1993; F.-R. Hausmann: Deutsche Geisteswissenschaft im Zweiten Weltkrieg, Dresden 1998).Diese - dem Spiegel entgangene - Aufarbeitung der Romanistik-Vergangenheit ist ein bezeichnendes Kapitel (west)deutscher Nachkriegsgeschichte, führte sie doch unter anderem in meinem eigenen Fall zu bundesweiter Denunziation und versuchter Amts enthebung, was auch mit Werner Krauss zu tun hatte. Als ich 1972 - als junger Professor in West-Berlin - das erste Mal auf die Nazi-Verstrickung der Romanistik hinwies und wenig später eine mit Krauss konzipierte aufklärerisch-republikanisch orientierte, interdisziplinäre Zeitschrift für Frankreich-Forschung Lendemains gründete, die demnächst ihr 25jähriges Bestehen feiern wird, veröffentlichte die No(tgemeinschaft für eine) F(reie) U(niversität) unter dem Vorsitz eines Westberliner Romanisten eine Broschüre, die sie in 11.000 Exemplaren an alle Parlamentarier, Universitätspräsidenten, Dekane, Stipendienträger versandte, und in der man empfahl, mich in die Psychatrie einzuweisen beziehungsweise aus dem Amt zu jagen. Werner Krauss, reich an entsprechender Erfahrung, riet mir, wie ich mich - als »Verfassungsfeind« - in den Verhören, denen ich mich unterziehen mußte, zu verhalten hatte. Nach meinem Verhältnis zur »Diktatur des Proletariats« befragt, beantragte ich denn auch ein Forschungsfreisemester, um eine begriffsgeschichtlich korrekte Antwort geben zu können, die eines deutschen Wissenschaftlers im Rang eines Ordinarius würdig sei. Beendet wurde die Posse übrigens durch Intervention ... Giscard d'Estaings, und im Gegensatz zu Klara-Maria Faßbinder durfte ich später sogar französische Auszeichnungen in Empfang nehmen.Das war Romanistik-Realität in Deutschland-West, die an die Romanistik-Realität von 1933 bis 1945 anschloß. Für beide hat sich der Spiegel, dessen Herausgeber noch heute gegen Frankreich und den Versailler Vertrag zu Felde zieht, nie interessiert. Es hat eben jeder so seine Vorstellung davon, welche deutsche Geschichte aufzuarbeiten und vor welcher Tür zu kehren ist. Es mag ganz unchristlich sein, aber manchen Zeitgenossen wünschte man manchmal zehn Sekunden lebensgefährliche Zivilcourage, fünf Sekunden Todesangst vor dem Henker und eine Stunde Steineklopfen. Nur 'mal probehalber, um die Vorstellungskraft zu stärken. Es muß ja nicht jahrelanger Widerstand gegen das Nazi-Regime, monatelanger Aufenthalt in der Todeszelle und anschließendes Arbeitslager sein wie bei Werner Krauss, den ich des öfteren vor Schmerzen über die alten Wunden habe schreien hören, und der mir anvertraute, nach der Hinrichtung Ursula Goetzes nie wieder wirklich Freude am Leben empfunden zu haben.Michael Nerlich ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Romanische Literaturwissenschaft an der TU Berlin. Zu Winfried Schröder vgl. Lendemains, 73, 1994, S. 108 - 144: man kann dort die Darstellung des Falls aus der Feder Schröders, immerhin des Opfers selbst, lesen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken. Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos. Mehr Infos erhalten Sie hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt. Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.