Das ist fesselnd. Folternd auch

Serie Michael Pekler freut sich an den David-Fincher-Elementen von „Mindhunter“
Ausgabe 35/2019

Zweite Staffeln haben es nicht leicht. Obwohl weniger schlecht beleumdet als die endlosen Sequels im Kino, haftet an ihnen doch ebenso der Geruch des „Nur-für-den-Profit“. Denn nur was auch kommerziell gut funktioniert, ist es buchstäblich wert, in die Länge gezogen zu werden. Von wegen aufhören, wenn es am schönsten ist: Die Fortsetzung liegt in der Natur der profitablen Fernsehsache.

Doch es gibt auch jene Serien, von denen man eine zweite Staffel bestellt, ohne ein erstes Ergebnis abzuwarten. Wie bei Mindhunter von Netflix, wo man von Beginn an offenbar zu wissen glaubte, dass die Kombination David Fincher, Serienkiller und siebziger Jahre eine sichere Nummer sein würde. Und obwohl Fincher die Erwartungen mit einer letztlich gar nicht so düsteren Profiler-Geschichte und mit eher gemächlichem Erzähltempo unterlief, wurde die Vorgabe mehr als solide erfüllt.

„Instinct can sometimes get you into trouble.“ Der neue Vorgesetzte der beiden FBI-Ermittler Holden Ford (Jonathan Groff) und Bill Tench (Holt McCallany), die das Gespräch mit inhaftierten Serienmördern suchen, um zukünftige Verbrechen zu verhindern, weiß genau, was er zu tun hat. Nicht instinktiv, sondern mit vollem Kalkül. Ein glatzköpfiger Wolf im Schafspelz (super-sinister: Michael Cerveris), der seine Angestellten – mit von der Partie ist auch wieder Anna Torv als toughe Psychologin Wendy Carr – zum Einzelinterview bittet, um die Abteilung („Hoover built a very big ship“) dorthin zu bekommen, wo er sie haben will: weg von den „cold cases“, den ungelöst abgeschlossenen Fällen, hinein in die verbrecherische Gegenwart. Und diese holt Ford und Tench als Mordserie an schwarzen Kindern in Atlanta – angelehnt an die „Atlanta Child Murders“ von 1981 – schneller ein, als ihnen lieb ist.

Dass Fincher manche seiner zu Beginn ausgelegten Brosamen – Fords Panikattacken (!) – in der Folge nicht mehr aufnimmt, ist schade. Stattdessen macht der neue Boss aus Washington sein Versprechen wahr und bietet seinem Team Charles Manson (gespielt von Damon Herriman, der kurioserweise auch in Quentin Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood kurz als Manson zu sehen ist) für einen Termin an – den prominentesten der an wahre Vorbilder angelehnten Serienkiller, die in Mindhunter von sich und ihren Taten erzählen. Wobei ausgerechnet die als Highlight jeder Episode angelegten Interviews merkwürdig abfallen. Wer Werner Herzogs Fernseh-Miniserie On Death Row kennt, weiß, was zum Tode verurteilte Mörder in den USA tatsächlich zu erzählen haben.

Was dieser Serie indes (noch immer) fehlt, ist ein wirkliches Interesse an der Psychologie ihrer Figuren. Das mutet umso erstaunlicher an, als hier zwei FBI-Ermittler sich hauptberuflich für die Psyche von Mördern interessieren. Das betrifft vor allem den älteren Bill, dem nach einem Mord in der Nachbarschaft als Familienmensch und Fels in der Brandung das Wasser bis zum Hals steht. Doch Fincher ist ohnehin längst seine eigene Genremarke, und immer wenn in Mindhunter etwas aufblitzt, das an seine Filme Seven und Zodiac erinnert, ist das Anlass zu verstörender Freude. Etwa jene kurzen Szenen mit Dennis Rader (Sonny Valicenti), mit denen wieder jede Folge beginnt: Rader, der sich selbst BTK („Bind, Torture, Kill“) nannte, zehn Menschen ermordete und erst 2005 gefasst wurde, ist eine Art Vorspann-Mörder. Psychosexuell aufgeladene Momente einer ebensolchen Störung, die an Finchers beste Zeiten erinnern. Verdichtete Szenen, abermals zum puren Schrecken gerinnende Miniaturen, nicht weil sie die Brutalität des späteren Killers zeigten, sondern die Unaufhaltsamkeit des Schreckens festhalten. Die Bilder der Serienmörder stellt das popkulturelle Gedächtnis längst bereit – sie brauchen nur noch aufgerufen zu werden.

Nach drei von Fincher inszenierten Folgen übernehmen Andrew Dominik und schließlich für die letzten vier Episoden der afroamerikanische Filmemacher Carl Franklin, dem wir den tollen Neo-Noir Devil in Blue Dress verdanken, die Regie. Und mit Franklin nimmt Mindhunter auch gehörig an Fahrt auf, wenn die weißen Profiler, unterstützt von ihrem schwarzen Kollegen Jim Barney (toll: Albert Jones), in Atlanta in den ideologischen Brennpunkt zwischen Polizei, Stadtverwaltung und Ku-Klux-Klan geraten. Und ein verdächtigter Serienmörder den Fragespieß unheimlich umdreht: „Ever heard of The Jackson Five?“

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