Das tut keinem weh

Moral MeToo-Verdachtsfall Woody Allen hat eine leicht muffige Liebeskomödie gedreht. Amazon sperrt die weg. Muss das sein?
Ausgabe 49/2019

Manchmal hat man das Gefühl, dass viele Dinge zunehmend schlimmer erscheinen, nur weil sie nicht besser sind. Dass sich alles verselbstständigt. Und dass deshalb alle ständig nur noch reagieren. Bei der Arbeit, in der Politik, im Privaten und, ja, sogar im Kino. Wobei das alles im Einzelfall dann wieder zusammenhängen kann. Man denke an Woody Allen. Nehmen wir seinen jüngsten Film A Rainy Day in New York.

Seit den 1980er Jahren war man es gewohnt, jedes Jahr verlässlich einen neuen Film des New Yorker Regisseurs vorgesetzt zu bekommen. Gute folgten auf weniger gelungene und umgekehrt, die europäische Phase war dann auch wieder vorbei, Hollywoodstars machten verlässlich bella figura und sorgten mitunter, wie Cate Blanchett und Sally Hawkins in Blue Jasmine, nachgerade für Euphorie. Der regelmäßige Kinobesuch wurde für manche zum Ritual. Man konnte sich auf seine innere Uhr verlassen, die einen irgendwann im Laufe des Jahres erinnerte: Wo bleibt eigentlich der neue Film von Woody Allen? Bis im vergangenen Jahr zum ersten Mal kein neuer Film von ihm in die Kinos kam. Denn A Rainy Day in New York wurde von den Amazon Studios, die sich in einem mit Allen über vier Produktionen abgeschlossenen Exklusivvertrag die weltweite Veröffentlichung gesichert hatten, zurückgehalten und wird, während er nun in Europa zu sehen sein wird, in Nordamerika nicht gezeigt. „Shelved“ ist der entsprechende Fachjargon der Branche für solche Filme, die ins Regal zurückverfrachtet werden, damit man sie nicht mehr findet. Am besten vergisst, um dem Ansehen nicht zu schaden. Doch um welches beziehungsweise wessen Ansehen geht es eigentlich? Im konkreten Fall wohl eher um das des Unternehmens und nicht das des Filmemachers. Woody Allen ist jener Regisseur, gegen den nach Fertigstellung des Films im Zuge von MeToo die Anschuldigungen seiner Adoptivtochter Dylan Farrow wegen sexuellen Missbrauchs wieder auftauchten. Amazon ist jener milliardenschwere Konzern, der eben das Pentagon wegen „unverkennbarer Voreingenommenheit“ bei einem – an Microsoft gegangenen – Rüstungsauftrag verklagte. Allen wurde gerichtlich nie belangt – im Gegensatz etwa zu Egon Schiele, der wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“ verurteilt wurde, dessen Bild vom Richter eigenhändig während der Verhandlung verbrannt und der für einen Monat in den Arrest gesteckt wurde. Aber das waren andere Zeiten, die Bilder des Wiener Expressionisten sind heute Millionen wert.

Früher war das Zensieren noch relativ einfach, als bei der Filmweglegung verlässlich nationale Zensoren statt internationaler Konzerne das Sagen hatten. „Ich weiß schon nicht mehr, wie ich weiterleben soll“, notierte Andrei Tarkowski über die sowjetische Kulturdoktrin. „Ich muss mich gegen neue Prüfungen wappnen.“ Alle Filme Tarkowskis sind heute kanonisierte Klassiker. Die Gründe für das Zurückhalten oder Wegsperren von Filmen – hier ist ausdrücklich nicht von niederträchtiger Propaganda die Rede – waren dabei fast immer politisch und ideologisch, aber für die Kommissionsvorsitzenden und Zensoren stets gut genug. Doch sie betrafen immer das singuläre, das in den Augen der Zensur bedenkliche Werk – und keine harmlose Liebeskomödie aus dem verregneten New York, auch wenn A Rainy Day geschlechterpolitisch betrachtet mindestens aus dem vergangenen Jahrhundert entsprungen scheint. Geblieben ist allerdings die Freude beim Umgehen des restriktiven Umgangs: Wenn verbotene Filme etwa aus Iran oder China zum westlichen Filmfestival geschmuggelt werden, herrscht dort verlässlich Jubelstimmung.

Die Frau als Wanderpokal

A Rainy Day in New York ist ein kleiner, über weite Strecken allzu gefälliger Film. Nett anzusehen, hübsch fotografiert und mit ein paar ganz guten Witzen und durchschaubaren Seitenhieben. Ein zerzauster Student aus schwerreichem Elternhaus, der in Anspielung an F. Scott Fitzgerald den Namen Gatsby (Timothée Chalamet) trägt, will mit seiner College-Freundin Ashleigh (Elle Fanning) ein Wochenende in seiner Heimatstadt New York verbringen. Ashleigh möchte als angehende Reporterin nämlich ein Interview mit einem bekannten Filmemacher (Liev Schreiber) führen, landet in der Folge aber bei dem gerade einen Ehekrieg ausfechtenden Drehbuchautor (Jude Law) sowie zuletzt – halbnackt – beim zufliegende Frauenherzen sammelnden Star des Films (Diego Luna). Am Ende erfährt die junge Frau, mehr Wanderpokal als Muse, einen Entwicklungsschub ihrer Persönlichkeit und trifft wieder ihren kleinen Gatsby, der seinerseits inzwischen die Avancen einer attraktiven Bekannten (Selena Gomez) erfolgreich abgewehrt und ein mütterliches Geheimnis gelüftet hat. Zwischendurch regnet es.

Allens Blick auf Brooklyn und Broadway war schon immer etwas für Träumer und Touristen, doch selten wirkte New York so unverbindlich und unwirklich. A Rainy Day in New York scheint wie Allen selbst aus der Zeit gefallen, flaniert entlang der repräsentativen Stadthäuser, durch den Central Park, besucht Hotelbars und inszeniert ein kleines Versteckspiel im Metropolitan Museum. Es ist ein anachronistisches, eigenes Universum, das Allen hier bespielt und das er – mittels in die Erzählung eingebauten Dreharbeiten zu einem Studentenfilm – als Kulisse bespielen lässt.

Soll man sich diesen Film also trotzdem ansehen? Trotz MeToo und obwohl er nicht wirklich gelungen ist? Oder erst recht deshalb? Ist es eine Entscheidungshilfe, zu wissen, dass sich Timothée Chalamet vom Film distanzierte und nun bereut, in einem Film von Woody Allen gespielt zu haben? Dass Selena Gomez ihre Gage für Time’s Up spendete, während Jude Law die Zurückstellung des Films im Guardian als „fürchterliche Schande“ bezeichnet? In gewisser Weise erinnern das Für und Wider und der durch die Hollywood-Reihen gehende Bruch schon beinahe an Allens eigenen zerrütteten Familienclan. Doch die eigentliche Frage ist nicht die, ob soziale Ächtung im Einzelfall gerechtfertigt oder opportun ist. Sie betrifft, wie auch bei der völlig aus dem Ruder gelaufenen Debatte rund um die Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke zu beobachten war, das komplexe Verhältnis zwischen künstlerischem Schaffen, der Rechtsstaatlichkeit und einer ethischen beziehungsweise moralischen Standortbestimmung der Person durch die Öffentlichkeit.

Der beim Filmfestival von Venedig bereits im Vorfeld für hitzige Diskussionen sorgende, später mit einem Hauptpreis ausgezeichnete J’accuse von Roman Polanski über die Dreyfus-Affäre würde – so künstlerisch wertvoll könnte das Historiendrama über Antisemitismus gar nicht sein – bei aller politischen Korrektheit niemals bei einem nordamerikanischen Festival gezeigt werden. Die Premieren in den Pariser Kinos zum Filmstart in Frankreich sind von Kundgebungen begleitet und wurden teilweise abgebrochen. Während gleichzeitig ausgerechnet der Freiburger Ahriman-Verlag, durch antisemitische Publikationen auffällig, sein neu aufgelegtes Polanski-Buch damit bewirbt, dass die „MeToo-Kreischer und ihre medialen Verstärker nicht allmächtig“ seien. Nach dem Motto: Jetzt erst recht. Dass dabei keineswegs nur alte weiße Männer im Fokus stehen, zeigt der Fall des afroamerikanischen Regisseurs und politischen Aktivisten Nate Parker, dessen Revenge-Thriller American Skin trotz Parkers Freispruch in einem Vergewaltigungsfall von 2001 von Protesten begleitet wird.

In jedem einzelnen Fall gilt es, die richtigen Zusammenhänge herzustellen und sich erst dann für oder gegen einen Kinobesuch zu entscheiden – so man überhaupt die Möglichkeit zu einem solchen hat. Und dabei nicht zu übersehen, dass das Kino als Teil der Unterhaltungsindustrie von wirtschaftlichen Interessen bestimmt ist. Weshalb auch Woody Allens Klage gegen Amazon auf 68 Millionen Dollar – mittlerweile kommentarlos eingestellt – nicht lange auf sich warten ließ. Ebenso wenig wie sein neuer, eben entstandener Film. Gedreht in Spanien. Zu sehen wohl kommendes Jahr in manchen europäischen Kinos.

Info

A Rainy Day in New York Woody Allen USA 2019, 92 Minuten

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