Wenn das Geld auf der Straße liegt und man es nicht aufhebt, dann sind tatsächlich andere Zeiten angebrochen. Zu Beginn von George A. Romeros Day of the Dead (1985) kann man beobachten, wie eine Frau und ein Mann durch eine verwüstete Stadt streifen, um nach Überlebenden zu suchen. Die beiden gehören zu den letzten Menschen, die sich vor einer Zombie-Invasion in einem Bunker verschanzt haben. Und weil die Apokalypse eben bereits hinter ihnen liegt, würdigen sie die Geldscheine, die ein Windstoß über die Straßen weht und in einer Ecke zu einem nutzlosen Haufen zusammenträgt, keines Blickes.
Es ist ein wenig subtiles, aber für das Genre typisches Bild, das Romero hier inszeniert. Wenn die zivilisierte Welt untergegangen ist, so behaupten die postapokalyptischen Dystopien, gelte, dass man Papierscheine im Gegensatz zu Dosengemüse nicht essen kann. Dann würden wieder die sogenannten inneren Werte zählen, der soziale Zusammenhalt, die Ethik und Moral. Ausnahmen bestätigen in diesem Szenario nur die Regel; die Selbstsüchtigen werden ausnahmslos bestraft und dienen als Negativbeispiel, um auf das zu verweisen, woran man sich angesichts des eigenen Untergangs erinnern soll: an ein menschliches Dasein oder besser noch, an sein Menschsein.
Nur wenige Jahre zuvor inszenierte der „Vater des modernen Zombiefilms“, als der Romero seit seinem Kultklassiker Night of the Living Dead (1968) gilt, allerdings noch ein ganz anderes Verhältnis des Menschen zum Kapital: Im nun als Wiederaufführung zu sehenden Dawn of the Dead (1978), dem zweiten Teil seiner Filmserie, verbarrikadieren sich letzte Überlebende einer Zombie-Epidemie in einer menschenleeren Shopping Mall. Ein Pilot, eine Fernsehtechnikerin sowie zwei Nationalgardisten landen mit einem Hubschrauber auf dem Dach des riesigen Einkaufszentrums mitten im US-amerikanischen Niemandsland. Nachdem ein paar in den Gängen verbliebene Untote beseitigt werden, stehen den Plünderern auch die Registrierkassen der Geschäfte offen – sie fassen hinein und halten die Geldbündel stolz in die noch funktionierende Überwachungskamera: „You never know!“. Die Gier ist größer als die Erkenntnis, dass dieser Zugriff sinnlos ist – zumal das Einkaufszentrum ja voller Waren steckt. Sie würden hier alles finden, was sie brauchen, so der Pilot, der die Shopping Mall damit nicht als Ort des Rückzugs, sondern der Ausschweifung beschreibt. „Gebraucht“ wird nämlich nicht das, was notwendig ist, sondern was Spaß macht: Spielautomaten, Minigolf, teure Kleidung, Süßigkeiten und sogar Schlittschuhlaufen auf dem nun eigenen Eislaufplatz.
Mit Dawn of the Dead schuf Romero auf diese Weise die Blaupause für die gängige Behauptung, dass Zombiefilme kapitalismuskritisch seien. Die Annahme verdankt sich weitgehend plakativen Szenen wie diesen und wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht hinterfragt, sondern – nicht zuletzt von Romero selbst – variantenreich perpetuiert. Tatsächlich hat sich an dieser vierzig Jahre alten Allegorie seither wenig geändert – glaubt man zumindest dem 2004 entstandenen Remake von Zack Snyder, in dem die Untoten zwar sprinten können, aber noch immer nicht wissen, was sie im Kaufhaus eigentlich suchen. „This was an important place in their lives“, weiß man einzig wie schon im Original über die das Einkaufszentrum belagernden Untoten. Geleitet von möglichen Erinnerungen an Wohlfühlorte würden sich die Zombies als Masse eben dorthin bewegen – in die Konsumtempel, wo sie als Menschen glücklich gewesen seien.
Gesteuert von Influencern
Ist die Vorstellung der Anverwandlung („They are us!“) also erschreckender als die tatsächliche Verwandlung in einen Zombie, weil sie uns vor Augen führt, was schon längst aus uns geworden ist? Sind in Wirklichkeit wir die Zombies, die wir von Werbung und Influencern gesteuert mit unserem Konsum ein alles verschlingendes System am Laufen halten? Es ist eine des Öfteren ins Spiel gebrachte Lesart, die von der bekanntesten der Zombiegesten zumindest unterstützt wird. Denn nicht die aus dem Grab ragende Hand markiert den modernen Zombie, sondern sein Griff in die Horizontale – nach dem Menschen und dorthin, wo in den Regalen der Blick auf die teuersten Waren gelenkt wird.
Das an Sympathie grenzende Mitgefühl, das viele Filme ihren Zombiefiguren entgegenbringen, hat nicht nur damit zu tun, dass diese jahrzehntelang als torkelnde Jammergestalten inszeniert wurden, mit denen auch so mancher Spaß erlaubt ist, sondern auch damit, dass man sich im Gegensatz zu den aristokratischen Vampiren und proletarischen Werwölfen – für die sich ohnehin niemand mehr interessiert –, im Zombie als Kleinbürger sofort wiedererkennt.
Die unmittelbare Beziehung von Zombie und Kapital reicht im Kino indes weiter zurück, als es der moderne Untote bei Romero vermuten ließe. Als erster „echter“ Zombiefilm gilt der zahlreiche Nachfolger inspirierende Klassiker White Zombie von Victor Halperin aus dem Jahr 1932, mithin der Pre-Code-Ära. Belo Lugosi spielt darin einen weißen Plantagenbesitzer auf Haiti, der Einheimische in Zombies verwandelt, um sie als Arbeitssklaven in seiner Zuckermühle arbeiten zu lassen. Das sexuelle Interesse an der schönen Braut des Nachbarn tut das Übrige. Der Kolonialherr verwandelt also mit Voodoo-Zauber die Haitianer zu seinem persönlichen Kapital und in eine willenlose und ihm hörige Masse – ein Bild des Monströsen, das hier noch eindeutig auf ein hierarchisches und rassistisches Ordnungssystem verweist. Der Zombiefilm der Gegenwart kennt dagegen als Ursache für Zombifizierung nur noch die sich unkontrolliert verbreitende Pandemie, deren Ursachen ganz im Geist der Zeit liegen: Virusinfektionen, Artensterben, Klimakatastrophe, Biopolitik.
Wie kaum ein anderes Subgenre hat der Zombiefilm auch deshalb im neuen Jahrtausend eine ungeheure Renaissance erlebt. Bestes Beispiel für diesen Aufstieg aus der Schmuddelecke der Videotheken in die Mitte der Gesellschaft ist der Erfolg der Serie The Walking Dead mit all ihren Spin-offs. Zombies sind zu einem Phänomen geworden, das Nerdtum und Wissenschaft gleichermaßen in seinen Bann zieht. Ratgeberliteratur über das richtige Davonlaufen (The Zombie Survival Guide) steht neben kulturwissenschaftlichen Analysen, in denen auf Elias Canetti (Masse und Macht), Giorgio Agamben (Homo Sacer) und Siegfried Kracauer (Das Ornament der Masse) zurückgegriffen wird. Zombies als popkulturelles Phänomen lassen niemanden kalt, obwohl sie es selbst angeblich sind.
Aber ist das Genre deshalb im behaupteten Maß kapitalismuskritisch? Hält man sich die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte vor Augen, lässt sich feststellen: bedingt. Wurden moderne Zombies im Rahmen des Horrorkino-Booms der 1970er-Jahre aufgrund ihrer „Unproduktivität“ noch als das massenhafte Ergebnis einer postfordistischen Wirtschaftsordnung interpretiert, in der sie buchstäblich „nicht Schritt halten“ können (im Gegensatz zu den fitten Überlebenden, die sich in kleinen, flexiblen Teams organisieren), hat der Neoliberalismus auch vor dem Zombie selbst nicht Halt gemacht. Von Ausnahmen wie der britischen Zombiekomödie Shaun of the Dead abgesehen, in der die Untoten noch immer genüsslich langsam ins Pub torkeln, hat der Untote im spätkapitalistischen Zombiefilm nicht nur das Rennen gelernt, sondern seine gesamte Verwertungskette steht unter dem Diktat der Geschwindigkeit: Die Mutation zum Monstermenschen dauert mittlerweile kürzer als jeder Download. Als entfesselte Figur, für die man als Zuschauer oder Videogamer wiederum bezahlt, ist der Zombie längst Teil seiner eigenen Wertschöpfungskette in Form der Serialisierung geworden: der unablässigen Produktion von Überschuss.
Vielleicht ist das der einzige wirkliche Unterschied zum Menschen, der am Ende bleibt: Zombies können nicht sterben, auch wenn sie nichts mehr zu beißen haben.
Info
Dawn of the Dead George A. Romero USA/Italien 1978; 119 Minuten
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