Die meisten Fotografen sind schrecklich langweilig. Und die meisten Filme über Fotografen sind es auch. Sie zeigen einen Kerl hinter der Kamera. Man hört das Klick, Klick, Klick und das dümmliche Geschwätz von Model und Fotograf.“ Helmut Newton mochte vieles gewesen sein, ein langweiliger Fotograf aber keinesfalls. Es ist also ein gewitzter Schachzug des Fernsehregisseurs und Journalisten Gero von Boehm, Helmut Newton – The Bad And The Beautiful mit dieser vom Starfotografen selbst verkündeten Wahrheit beginnen zu lassen. Denn damit nimmt er vorneweg den Kritikern der oft tatsächlich langweiligen Filme über Fotografen und Filmemacher den Wind aus den Segeln. Und es ist eine spitzbübische Spitze gegen alle Besserwisser, denen die folgenden eineinhalb Stunden nicht gefallen: Schaut her, ich hab’ euch ja gewarnt.
Dabei ist Gero von Boehms Film überhaupt nicht langweilig, sondern über weite Strecken sogar höchst unterhaltsam. Das liegt zunächst an den zahlreichen Ausschnitten aus Gesprächen, die er ausschließlich mit jenen Frauen – hauptsächlich Models und Schauspielerinnen – führte, die im Laufe der Jahrzehnte wiederholt mit Newton zusammenarbeiteten. An Männern war Newton als einer der einflussreichsten Mode-, Werbe- und Aktfotografen schließlich auch nicht interessiert, noch weniger an solchen vor der Kamera – doch das ist schon wieder irgendwie Teil des Newton’schen Spiels mit dem eigenen Image, hält man sich seine ziemlich gelungenen Porträts etwa von Anthony Hopkins und Karl Lagerfeld vor Augen.
Er sprach nie von Kunst
Unterhaltungswert und Erkenntnisgewinn dieser zum hundertsten Geburtstag entstandenen Dokumentation liegen jedenfalls in einer ziemlich speziellen Annäherung an jenen Mann, der mit seinen Aufnahmen von nackten Models neben ausgestopften Tieren und von Frauenhänden mit Bulgari-Klunkern in Brathühnchen berühmt wurde. Denn Newton, der 2004 an den Folgen eines Verkehrsunfalls in Los Angeles starb, wirkt auf den Archivaufnahmen entweder so authentisch, weil ihm die Filmkamera völlig egal war, oder weil er nicht nur ein berühmter Fotograf, sondern auch ein verdammt guter Schauspieler gewesen sein mochte.
The Bad And The Beautiful – der Titel verweist auf Vincente Minnellis Klassiker über die Bilderfabrik Hollywood – ist eine Dokumentation, die sich bis auf wenige Ausnahmen kein bisschen um die Außenwelt ihres Protagonisten schert. Experten, Kritiker, Kollegen kommen nicht vor, ebenso wenig der Versuch einer historischen oder ästhetischen Einordnung von Newtons Fotografien. Das ist eine so einfache wie vernünftige dramaturgische Entscheidung: Die skandalträchtigen, umstrittenen Bilder Newtons werden keiner scheinbar objektiven Betrachtung ausgesetzt. Man bekommt ein Best-of zu sehen: Grace Jones nackt in Ketten, Nadja Auermann mit Beinprothese auf der Motorhaube, die Pina-Bausch-Ballerina mit aus einem Krokodilmaul ragenden nackten Unterleib. Mit Kunst wollte Newton ohnehin nichts zu tun haben. Natürlich spielen die alten Debatten über diese Fotos – Sexismus, Obszönität, Oberflächlichkeit, Zeitgeist – auch bei Gero von Boehm eine Rolle, das müssen sie. Doch das Widersprüchliche in Newtons Bildern und an seiner Arbeit wird nicht aufgelöst, weil das gar nicht möglich ist.
„Ich als Frau empfinde Ihre Bilder als sehr frauenfeindlich“, meint etwa Susan Sontag in einer französischen TV-Diskussion zum ihr gegenübersitzenden Newton. Es ist eine der wenigen Szenen, in denen der Starfotograf an die Kandare genommen wird. „Sie sind mehr als unerfreulich. Ungeheuerliche Fantasien.“ Sein Gegenargument, dass er doch die Frauen liebe („Nichts liebe ich mehr!“), kann natürlich nicht zählen. „Viele frauenfeindliche Männer sagen das. Das beeindruckt mich nicht.“
Die eigentlichen Widersprüche in diesem Film ergeben sich jedoch nicht anhand solcher Dispute, sondern ganz beiläufig in den Erzählungen. Etwa wenn Marianne Faithfull davon schwärmt, wie Newton sie in ihrer schwarzen Lederjacke fotografierte und dabei „wirklich meine Seele zeigte“, während Newton dem Vorwurf, seine hochglanzkalten Bilder hätten keine solche, ein diesbezüglich absolutes Desinteresse entgegenhält: „Seele versteh‘ ich nicht.“ Können Fotos von nackten Frauen Kunst sein? Für Newton selbst waren sie das nicht, und er tat gut daran, sich bei dieser Frage nicht aus dem Fenster zu lehnen. Das wirkte sympathischer und machte ihn weniger angreifbar, als es seine Bilder ohnehin schon waren. Für Charlotte Rampling, die nach ihrem „Skandalfilm“ Der Nachtportier erstmals für ihn nackt vor der Fotokamera stand, war dies selbstverständlich der Fall: „Wen interessiert schon der Mann? Es geht um seine Kunst.“
Natürlich können solche Bilder Kunst sein, das können auch solche von nackten Männern, und jeder, der schon mal einen Fuß in ein kunsthistorisches Museum gesetzt hat, kann sich diese Diskussion ersparen. Doch dreht sich die Debatte, wie man auch anhand von The Bad And The Beautiful bemerken kann, weniger um die Zurschaustellung von Nacktheit oder um bewusste Provokation, sondern – die Malerei kann ein langes Lied davon singen – um Herrschaftsverhältnisse. Um künstlerische Anordnungen beziehungsweise Anordnungen im Dienste der Kunst, die Befehlen gleichkommen und einem eindeutigen Autoritätsverhältnis entspringen. Vor allem zwischen Mann und Frau. Und dann wirkt dieser Film über einen Fotografen, der vor fünfzig Jahren für Aufregung sorgte, plötzlich sehr aktuell.
„Nein, das hat noch keine Kraft“, sagt Newton gleich zu Beginn des Films zu einem nackten Model, das für ihn über den Dächern von Los Angeles im Scheinwerferlicht posiert, während im Hintergrund der Marlboro Man in die Nacht leuchtet. Und die junge Frau solle nicht so armselig dreinschauen. Von ihr bekommt man keine Rückmeldung zu hören, aber Isabella Rossellini, Grace Jones, Linda Evangelista, Claudia Schiffer und die vielen anderen, die für Newton – und für sich selbst, wie Rampling meint („Es war aufregend, sich ein Image zuzulegen“) – posierten, haben sich dabei immer wohlgefühlt.
Wie sich Rampling nicht für Newton als Mann interessierte, so interessiert sich Gero von Boehm nicht für den Menschen. Erst langsam lässt er dessen Biografie mit Bildern aus der Berliner Kindheit wie aus dem Hintergrund auftauchen. Was eher wie der Versuch wirkt, einer fernsehtauglichen Vollständigkeit Genüge zu tun. Wobei es Gero von Boehm wiederholt gelingt, biografische Anekdoten mit Newtons Arbeit kurzzuschließen: Einen Unfall mit dem Roller im Schöneberger Park hat nur, wer sich schon als Bub nach den Mädchen umschaut. Oder wenn Newton, der 1938 aufgrund seiner jüdischen Herkunft nach Australien fliehen musste, den ästhetischen Vergleich seiner Bilder mit den Kameraeinstellungen Leni Riefenstahls trocken mit den Worten kommentiert: „Das ist ganz normal. Ich bin damit aufgewachsen.“ Dafür fotografierte Newton später Riefenstahl. Nicht beim Filmen, sondern provokativ beim Schminken.
Info
Helmut Newton – The Bad And The Beautiful Gero von Boehm USA 2020, 93 Minuten
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