Kino Ulrich Seidls „Rimini“ war im Februar ein Berlinale-Erfolg. Während er nun in die Kinos kommt, wird um seinen neuen Film „Sparta“ heftig debattiert
Man kann nicht einfach einen Menschen beschuldigen, ohne dass man weiß, was dahinter steckt.“ Behauptet nicht der Filmemacher Ulrich Seidl, sondern der Schlagersänger Richie Bravo. Der steht am winterlichen Strand von Rimini der Tochter gegenüber, um die er sich nie gekümmert hat. Eine Rechtfertigung in wenigen Sätzen ist ihm unmöglich, „und ich muss dir das vielleicht einmal erklären dürfen“.
Obwohl diese Szene aus Rimini mit den Vorwürfen gegen Ulrich Seidl anlässlich seines jüngsten Films Sparta, als „Bruderfilm“ von Rimini konzipiert, nichts zu tun hat, wirkt sie dieser Tage wie ein Kommentar des Filmemachers selbst. Allerdings darf sich Ulrich Seidl im Gegensatz zu Richie Bravo nicht erklären, er
Richie Bravo nicht erklären, er muss es sogar.Anfang September recherchierte der Spiegel, dass Seidl bei den Dreharbeiten zu Sparta in Rumänien für den Film gecastete Kinder und deren Eltern nicht ausreichend über den Inhalt des Films informiert habe. Die für Seidl typische Arbeitsmethode, keine Drehbücher vorzulegen und seine Darsteller über bestimmte Details der Handlung im Unklaren zu lassen, wäre in diesem Fall höchst problematisch. Denn in Sparta geht es auch um Pädophilie. Außerdem sollen die Jungen, so der auf anonymen Aussagen basierende Vorwurf, ohne ausreichende Vorbereitung und professionelle Betreuung Szenen ausgesetzt worden sein, in denen es zumindest teilweise um Gewalt und Alkoholismus geht. Die Anschuldigung, dass Seidl das Wohl der Kinder seiner Filmkunst untergeordnet hätte, wiegt also schwer.Als Rimini im Februar auf der Berlinale Premiere feierte, wurde der Film äußerst wohlwollend aufgenommen – aufgrund derselben Methode, mit der Seidl seine Filme dreht. Und weil Rimini ein für Seidl ungewohnt zugänglicher Film ist. Man erkennt die bekannten Motive, doch die Figur des abgehalfterten Schlagersängers Richie Bravo, der sich mit seinen Schnulzen an der Adriaküste verdingt, hat im Gegensatz zu vielen anderen Charakteren Seidls einen Sympathiebonus.Denn Richie ist eine traurige Gestalt, der man sogar Mitgefühl entgegenbringen könnte. Die fetten Jahre sind vorbei, heute bandagiert er sich höchstens das Bauchfett, um seinen weiblichen Fans noch zu gefallen. In die Jahre gekommen ist aber ohnehin alles: Richie und seine Lieder, sein spärliches Publikum und die Hotels, in denen er in halbleeren Sälen auftritt. Der Hotelmanager im fensterlosen Zimmer, der ihm auch als Hehler ein wenig Schmuck abnehmen würde, bietet ihm zweihundert Euro für den Abend.Eingebetteter MedieninhaltWie Richie in Rimini gelandet ist, weiß man nicht. Es ist eine jener Lücken in seiner Biografie, die gar nicht gefüllt werden muss. Zu Beginn des Films kommt er, in einer eisigen Winternacht seinen Koffer über eine Landstraße ziehend, zurück nach Österreich. Sein Bruder (Georg Friedrich, der in Sparta die Hauptrolle spielt) erwartet ihn im elterlichen Einfamilienhaus. Die Mutter ist gerade gestorben, der demente Nazi-Vater (Hans-Michael Rehberg) ins Pflegeheim übergesiedelt. Alkohol und Waffenschrank sind schnell gefunden, und bald landen die Brüder im zum Partyraum ausgebauten Keller, wo sich Ulrich Seidl bekanntlich gerne umsieht. Eine alte Modelleisenbahn und die Dreiräder, mit denen sich die erwachsenen Männer ein Wettrennen liefern, sind stumme Zeugen einer schrecklich normalen, aber auch normal schrecklichen Vergangenheit.Festhalten am falschen ScheinDie besondere Faszination von Rimini liegt, wie stets bei Ulrich Seidl, im Zusammenwirken von Figuren und Schauplatz. Zurück in Rimini ist Richie ständig unterwegs, stapft in seinem abgetragenen Fellmantel durch Hotels und Etablissements. Für Liebesdienste nach den Auftritten nimmt er von seinen weiblichen Fans nur scheinbar widerwillig ein Kuvert entgegen. In dieser ersten Stunde, in der sich nichts zu bewegen scheint außer dem rastlosen Richie, gelingen Seidl und Kameramann Wolfgang Thaler die eindringlichsten Momente, in denen sich alles findet, wovon Seidls Filme großartig erzählen: die bittere Ironie, mit der die Figuren ihrer Verzweiflung begegnen; das Festhalten am falschen Schein. Und der Schmerz. Wie in den Schlagern über die Liebe und die Hoffnung, die Richie mit voller Leidenschaft zum Playback singt. Erst mit dem Auftauchen seiner Tochter Tessa (Tessa Göttlicher), die finanziell entschädigt werden will, kommt eine andere Bewegung in das dokumentarisch anmutende Spiel.Doch nun wird der deutsche Kinostart von Rimini von den Anschuldigungen gegenüber Ulrich Seidl überschattet. In einer ersten Stellungnahme wies er die Vorwürfe zurück und sah seine „künstlerische Weltsicht nicht zuletzt in krassem Gegensatz zu einem gegenwärtigen Zeitgeist, der ein verkürztes, vielfach kontextloses ,Entweder -Oder‘ verlangt“. Knapp vier Wochen später räumte er in einem Interview im Nachrichtenmagazin Profil zwar Versäumnisse ein – etwa dass zu den rumänischen Familien nach Ende der Dreharbeiten kein Kontakt gehalten wurde, den er nun wieder hergestellt habe –, führt den Eklat aber auf eine einzige Szene mit einem weinenden Kind zurück. Die Vorwürfe kann Seidl nur so nachvollziehen: „Man sucht sich Leute, die man zu Fall bringen will.“Dass Sparta – im Gegensatz zu Toronto, wo der Film aus dem Programm genommen wurde – demnächst bei der Viennale gezeigt wird, begründet das größte Filmfestival Österreichs damit, dass „Festivals nicht zuletzt dazu da sind, Filme wie Sparta zu zeigen und zur Diskussion zu stellen“. Bis dahin wird die Kontroverse besonders in Österreich leidenschaftlich weitergeführt, auch weil in Wien traditionell Seilschaften innerhalb der überschaubaren Filmbranche gepflegt werden. Das ist prinzipiell, aber besonders im konkreten Fall unbekömmlich.Seidls Arbeitsmethode ist nicht einzigartig, sorgt aber immer wieder für einzigartige Arbeiten von hoher künstlerischer Qualität. Aber es handelt sich um eine Methode, mit der man, selbst wenn sich Seidl als Filmkünstler keiner Überschreitung bewusst ist, an Grenzen stoßen kann, die nicht überschritten werden dürfen. Weshalb echte Aufklärung gefragt ist. Und weil man bei jeder Anschuldigung, und sei sie dem „gegenwärtigen Zeitgeist“ geschuldet, wissen muss, was dahinter steckt.Placeholder infobox-1
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