Winter gegen Sommer

Serie Unserem Autor gefällt, wie die zwei Hälften der Serie „The Third Day“ auseinander fallen. Spoiler-Anteil: 21%
Ausgabe 01/2021

Dass nach der Literatur und dem Kino irgendwann auch das Serienfernsehen die Insel als Ort des Schreckens entdecken würde – und mit der Mysteryreihe Lost sogar äußerst erfolgreich –, ist kein Zufall. In Thomas Morus’ Utopia ist die Insel noch der Ort, wo alles noch einmal, nur diesmal eben richtig gemacht werden kann. Ein funktionierendes Gemeinwesen ohne Unterdrückung, Hunger, Armut und vor allem – bis auf die als Zwangsarbeiter schuftenden Verbrecher – menschliches Leid. Welch ein Trugschluss. Die Wirklichkeit sah damals und sieht noch heute anders aus. Die Populärkultur hat deshalb nicht umsonst die Idylle zur Dystopie werden lassen.

Auch auf der britischen Insel Osea, Schauplatz der von Felix Barrett und Dennis Kelly für HBO und Sky erdachten Miniserie The Third Day, regiert das Unheil – allerdings nur für jene, die dort stranden, wie etwa Sam (Jude Law). Dieser hat nahe der Küste einer jungen Frau des Leben gerettet, die sich vor seinen Augen im Wald erhängen wollte. Sam bringt sie in ihr Heimatdorf auf die Insel, die nur durch eine einzige Straße mit dem Festland verbunden ist – aber nur für kurze Zeit, bis das Meer sie wieder überflutet. Doch nicht nur deshalb will Sam die Rückkehr wiederholt nicht gelingen. Und dass er sich mit einem großen Batzen Bargeld in jenem Wald aufgehalten hat, in dem vor Jahren die Leiche seines ermordeten Sohnes gefunden wurde, wird natürlich noch eine Rolle spielen.

Die Bewohner Oseas sind eine der Außenwelt entsagende Gemeinschaft; sie gehen seltsamen Rituale mit unappetitlichem Ausgang nach und sehen mit übergestülpten Tiermasken wahlweise dem Jüngsten Gericht oder der Erlösung entgegen. Vor allem aber haben sie nichts Gutes – aber das ist natürlich Ansichtssache – mit dem Neuankömmling vor.

Als Szenario ist das hinlänglich bekannt, man fühlt sich an den sogenannten Kultklassiker The Wicker Man (1973) von Robin Hardy erinnert, die meisten jedoch vermutlich an Ari Asters jüngeren Kommunenhorror Midsommar (2019), der das Subgenre endgültig für den Mainstream salonfähig machte. Dass The Third Day diesbezüglich ein motivisches Allerlei des Folk-Horrors präsentiert, mag man der Serie nachsehen. Schwerer wiegt die Impertinenz, mit der einem die Kameraführung, das Sounddesign und der Schauspieler Jude Law nahebringen möchten, dass hier etwas besonders Wichtiges geschieht. Zum Beispiel wenn ganz viele vom Himmel fallende Heuschrecken laut auf dem Boden aufschlagen, Jude Law mit weit aufgerissenen Augen zu halluzinieren vorgibt oder mit extremer Aufsicht die auf die Insel führende Straße wie ein schmales Band im Meer versinkt.

Doch das betrifft nur die ersten drei „Sommer“ betitelten Episoden mit ihren digital heftig nachbearbeiteten Bildern. Mit dem die Folgen abschließenden Cliffhanger könnte The Third Day auch zu Ende sein – und man sich als Zuschauer überlegen, ob man eine zweite Staffel überhaupt angucken wollte. Eher nicht. Doch dann kommen noch drei Folgen, sie heißen „Winter“ und machen aus diesem Stoff plötzlich eine richtig gute Serie.

Der Schauplatz und die Bewohner sind dieselben, doch mit neuen Protagonisten ändert sich die Atmosphäre schlagartig. Ein Familienurlaub mit ihren beiden Töchtern hat Helen (Naomie Harris) nach Osea geführt. Das Wetter und die familiäre Atmosphäre sind kalt, die Stimmung ist am Boden, die Suche nach einem Quartier wird zur Odyssee. Helen trifft jene Leute, an die schon Sam geraten ist, doch irgendetwas hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Kühl und klar sind diese Bilder, nicht mehr exaltiert und fiebrig, was aber nicht bedeutet, dass „Winter“ weniger beunruhigend wäre. Die Einheimischen verwehren sich dagegen, dass ihre Zurückweisung rassistische Motive hätte, während sich Helen im Gegensatz zu Sam – auch für ihre beiden Töchter – als Kämpferin erweist.

Zwischen den beiden Erzählsträngen dieser beiden Blöcke gab es im Oktober eine hochgelobte zwölfstündige Live-Performance zu sehen, genannt „Herbst“, bei der eine einzige Kamerafahrt Jude Law und weitere Darsteller während eines für die Erzählung wichtigen Rituals zeigt. Mehrere Stunden dieses hybriden Fernsehtheaters können noch, müssen aber nicht gesichtet werden. The Third Day ist auch ohne immersives Experiment ausreichend ambivalent.

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