Abschied vom großen Bruder

Trump, DDR, Nato, Politik Trump sagt der westlichen Wertegemeinschaft ade. Droht Deutschland eine Krise seines Selbstverständnisses? Die DDR hat 1988 eine ähnliche Erfahrung gemacht.

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Es ist dieser Tage viel von Geschichte die Rede. Die Wahl Donald Trumps sei ein historischer Bruch, eine Krise historischen Ausmaßes. Vergleiche mit 1923, der Machtübernahme Mussolinis, oder 1933, der Wahl Hitlers, haben Hochkonjunktur. Journalisten streiten ob Trump mit eher Mussolini, Hitler, Stalin oder vielleicht doch nur mit Berlusconi und anderen Autokraten der jüngeren Geschichte zu vergleichen sei. All diese Vergleiche sind Zeichen einer tiefen Verunsicherung, einer Krise des bis dahin Selbstverständlichen.

Für Deutschland ist der Aufstieg Trumps besonders bitter. Nahezu alle großen Medien des Landes haben im Vorfeld der Wahl Trump als einen Populisten und Häretiker gebrandmarkt. Seine erste Woche im Amt scheint für das politische und journalistische Establishment hierzulande wenig Raum für Hoffnung zu geben, alles werde sich noch in Wohlgefallen auflösen.Vor allem seine Absage an die NATO und die Globalisierung haben viele Kommentatoren verunsichert. Die Reaktionen reichten von apokalyptischen Visionen vom Ende der westlichen Welt bis hin zu Mahnungen, die atlantische Wertegemeinschaft nicht zu beschädigen. Desweilen wird Angela Merkel zur Hüterin des liberalen Westens ausgerufen. Sie soll das verkörpern, was die USA unter Trump nicht mehr sein wollen.

Für die Bundesrepublik ist das Bündnis mit den USA bis heute nicht nur die wichtigste außenpolitische Konstante, sondern auch integraler Teil des Selbstverständnisses als Staat. Entnazifizierung, Marshallplan und NATO-Beitritt sind wichtige Narrative des bundesdeutschen Gründungsmythos. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und den Verbrechen des NS-Regimes hätten die USA Deutschland einen demokratischen Neuanfang und einen Platz in einem neuen Europa ermöglicht. An der Seite der USA habe man den Kalten Krieg gewonnen und so letztendlich die Teilung Deutschlands überwunden. Seit den neunziger Jahren sehen sich das politische Berlin und ein großer Teil der Medien und Experten als Teil eines transatlantischen Projektes einer neoliberalen Weltordnung.

Die Beziehungen zu den USA sind tief im politischen und kulturellen Alltag der Bundesrepublik verankert. Sie reichen weit über gemeinsame Regierungsvorhaben hinaus. Die USA sind Deutschlands wichtigster Handelspartner. US-amerikanische Universitäten gehören zu den wichtigsten Kooperationspartnern deutscher Akademiker. Unzählige Austausch- und Stipendienprogramme schicken tausende Amerikaner und Deutsche jährlich über den Atlantik. Die amerikanische Popkultur ist aus dem Alltag der meisten Deutschen nicht wegzudenken. Lange galten die USA im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublikals nachahmenswertes Beispiel. Politische Reformvorhaben wurden gern mit dem Hinweis auf entsprechende Entwicklungen in den USA begründet.

Wenn nun der neue Präsident der USA sich dieser Rolle als Vorbild und Führungsfigur verweigert, wenn seine Rhetorik und Politik den transatlantischen Konsens hinterfragt, ist die Verunsicherung, die Panik aufseiten des deutschen Establishments nur allzu leicht nachvollziehbar.

Gelernten DDR-Bürgern dürfte diese Verunsicherung nicht fremd sein. Ein wichtiger Schritt zum Sturz der Honecker-Regimes war der Konflikt um die Perestroika in der Sowjetunion. Gorbatschows Forderungen nach mehr Pressefreiheit und Demokratie waren kaum die Sprache die Honecker und seine Entourage vom "großen Bruder" gewohnt waren. Zunächst hofften die ostdeutschen Kommunisten, dass Gorbatschow nur ein Strohfeuer sei und nach all den aufrührerischen Slogans alsbald Normalität einkehren werde. Die DDR-Bürger jedoch verbanden mit den neuen Tönen aus Moskau erstmals Hoffnung auf einen Wandel des erstarrten Systems. Spätestens im Februar 1987 war den Kadern im Politbüro klar, dass die Russen es ernst mit ihrer Absage an den überkommenen Weltbildern meinten.

Für die SED war diese Entwicklung eine Katastrophe. Eine Kritik an Gorbatschow kam einer Aufkündigung ihrer Legitimität als Herrschende gleich. Wie die Bundesrepublik hatte die DDR nach dem Krieg ihr Heil im Bündnis mit einer der Siegermächte gesucht.Während die Westdeutschen in der Demokratie ein Garant gegen die Wiederkehr der dunkelsten Momente deutscher Geschichte sahen, war es für die Ostdeutschen der Kommunismus, der Hitlers Gespenst vertreiben sollte. Die Allianz mit der Sowjetunion gehörte zum Gründungsmythos der DDR. Sie verkörperte die große Lehre aus der deutschen Geschichte. Sie lieferte aber auch die Daseinsberechtigung für die DDR als Frontstaat im Kalten Krieg: für die Wiederaufrüstung, die Berliner Mauer und die Verfolgung von Dissidenten. Man kann darüber streiten, wie tief die Beziehungen zur Sowjetunion im Alltag der DDR verankert waren. Für die Eliten und die offizielle Welt waren sie enorm wichtig. Keine Maiparade ohne Slogans, die die Verbundenheit mit dem großen Bruder betonten. Keine Parteitagsrede, die nicht die Sowjetunion als Vorbild propagierte. Wer eine hohe Führungsposition anstrebte, studierte besser in Moskau.

„Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“, hieß eine der meistgebrauchten Losungen. 1987 schien diese Wahrheit nicht mehr so sicher. Für die DDR-Eliten war die Akzeptanz der Perestroika mindestens ebenso problematisch wie ihre Ablehnung. Der vorsichtigen Distanz zu Gorbatschow wich aber langsam einer fühlbaren Ablehnung. Kurt Hagers Satz: „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“ wurde schnell zum Gassenhauer unter der Bevölkerung. Es war vor allem die Hilflosigkeit mit der das DDR-Regime auf die Ereignisse reagierte, dass die Krise seiner Legitimität vorantrieb.

Dieser Konflikt kumulierte im November 1988 als die Zeitschrift Sputnik aus dem Vertrieb genommen wurde, was einem faktischen Verbot gleichkam.

Der Sputnik war ein in der Sowjetunion produziertes Äquivalent des Readers Digest, das in mehreren Sprachen im Ostblock vertrieben wurde. Im Sputnik wurden Artikel der sowjetischen Presse zu allen denkbaren Themen veröffentlicht: von der Politik bis zur Geschichte, von der Kultur bis zum Reisebericht. Bis zum Jahr 1987 führte die Zeitschrift ein eher beschauliches Leben in den DDR-Kiosken als Ladenhüter. In einer Mangelgesellschaft wie der DDR war der Maßstab für Popularität die Nichtverfügbarkeit und den Sputnik gab es bis dahin eigentlich immer. Seine Hauptleserschaft waren wohl Russischlehrer, die die russische Ausgabe nutzten, um ihre Schüler mit Übersetzungsaufgaben zu quälen. Oder russophile Kader, die seit ihrer Studienzeit in Moskau ein sentimentales Verhältnis zur Sowjetunion als Ort ihrer Jugend pflegten.

Das änderte sich schlagartig als mit dem Beginn der Perestroika Gorbatschows Artikel im Sputnik veröffentlich wurden, die die Verhältnisse im real existierenden Sozialismus zu kritisieren und das offizielle Geschichtsbild zu hinterfragen begannen. Der große Bruder der DDR, die Sowjetunion, begann nun eine andere Sprache zu sprechen. Gorbatschow verweigerte sich dem Konsens, den die DDR-Oberen von Moskau erwarteten und gewohnt waren.

Für die DDR-Bevölkerung machte der Slogan vom Lernen von der Sowjetunion vielleicht das erste Mal Sinn. Deutsche Ausgaben des Sputniks wurden zur Bückware, sie waren nur noch durch gute Beziehungen zu erwerben. Alsbald war auch die russische Ausgabe nicht mehr zu bekommen. Das starre DDR-Regime mit Zitaten aus dem Sputnik zu kritisieren, gehörte nun zu einem beliebten Zeitvertreib des bis dahin apolitischen DDR-Bürgers, selbst Teile der Eliten begannen Fragen zu stellen.

Im November 1988 zog Honecker die Notbremse und ließ den Vertrieb des Sputnik einstellen. Die Stasi begründete das Verbot mit dem, was wir heute als Fakenews bezeichnen: Der Sputnik bringe „keinen Beitrag, der der Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, stattdessen verzerrende Beiträge zur Geschichte.“

Für realsozialistische Verhältnisse war das faktische Verbot einer Zeitschrift aus der Sowjetunionein ein ungewöhnlicher Schritt. Gorbatschows Reaktion war eher verhalten, er hatte weit wichtigere Probleme. Die Ostdeutschen jedoch reagierten empört. Vor allem die ostdeutsche Intelligenz wandte sich gegen das Verbot und forderte eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Russen. Die Stasi beobachtete die Situation genau. „Politisch unklug“, gehöre zu den milderen Urteilen seitens der Bevölkerung, „Ausdruck der Schwäche“ hinterfrage bereits die Legitimation der Parteiführung. Selbst altgediente Kommunisten kritisierten, dass die DDR kein Recht habe, die Ereignisse in der Sowjetunion zu bewerten. Immer noch gelte, dass das Verhältnis zum großen Bruder „Prüfstein jedes Kommunisten“ sein müsse. Bitter bemerkten die Schlapphüte, dass das Verbot die Popularität sowjetischer Filme und Zeitungen beflügelt habe. Der große Bruder war zum Staatsfeind mutiert.

Honecker sah sein Heil im kommunistischen China, dem einstigen Paria des Ostblocks, der mit dem Tiananmen-Massaker mehr den Vorstellungen von Kommunismus zu entsprechen schien. Das selbst im Ostblock bis dahin verpönte Regime des rumänischen Autokraten Ceausescu war nun ein willkommener Partner in der Abwehr der Reformer.

Wir wissen, wie die Geschichte endete. Die DDR konnte den Verlust ihres wichtigsten ideologischen und politischen Verbündeten nicht verkraften. Sie konnte sich aber auch dem Einfluss der Ereignisse in der Sowjetunion nicht entziehen. Jeder Kommentar seitens der DDR-Oberen, der versuchte, die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu kitten, wurde immer unverhohlener von der Bevölkerung ins Lächerliche gezogen. Nicht dass es dazu besonderer Fantasie bedurft hätte, denn die Statements der SED wurden in der Tat immer absurder. Im November 1989 gab das Regime ermattet auf, die DDR implodierte einfach und kein sowjetischer Panzer kam ihr zu Hilfe.

Vielleicht wird es auch für die Bundesrepublik Zeit, den Kalten Krieg hinter sich zu lassen. Trumps Absage an die ideologischen Grundlagen des atlantischen Bündnisses, an die von der Kanzlerin so oft zitierte Wertegemeinschaft, sollte eher als Chance denn als Katastrophe gesehen werden. Eine Bündnispolitik, die sich auf die Vorstellung einer Wertegemeinschaft beruft, droht entweder die Erstarrung oder die Absurdität. Werte behaupten eine Ewigkeit, die dem politischen Wandel entgegensteht. Die DDR 1988 konnte Gorbatschows Politik weder verhindern noch beeinflussen. Auch die Bundesrepublik kann und sollte sich heute nicht gegen den Wandel in Washington stemmen. Trump als Unfall zu sehen, heißt wie die DDR 1989 die Realitäten einer sich wandelnden Welt zu verkennen. Es hilft auch wenig, ihn in das Monstrositätenkabinett der Geschichte zu verbannen, ihn mit Hitler und Mussolini zu vergleichen. Das ersetzt keine Auseinandersetzung. Die Populisten von AfD bis Front National können Trump in gleicher Weise gegen das Establishment wenden, wie es die DDR-Opposition mit Gorbatschow gegen Honecker tat. Einfach um so zeigen, wie brüchig, wie realitätsfern die ideologischen Grundlagen dieser Politik sind.

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