Deutschland und der Erste Weltkrieg in Afrika

Erster Weltkrieg Die Deutschen tun sich schwer mit der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Vor allem mit dem Teil, der sich außerhalb Europas abspielte.

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Die koloniale Grenzen werden neu gezogen: Eine anglo-belgische Grenzkommission in den 1920ern

Eine der drängendsten Fragen deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert war: Sind die Deutschen anders als die Briten, Franzosen, Amerikaner oder Niederländer? Waren die Katastrophen des 20. Jahrhunderts die Irrungen eines deutschen Sonderwegs? Diese Frage wurden von deutschen Historikern vor allem im Hinblick auf den Aufstieg der Nationalsozialisten, auf Bücherverbrennung, Reichstagsbrand und Auschwitz gestellt. Doch auch als in den 1960ern deutsche Historiker damit begannen, die koloniale Geschichte der Deutschen zu ergründen, schwang diese Frage im Hintergrund oft mit. Schon der ostdeutsche Historiker Fritz Müller hatte 1959 in seinem Buch über die deutsche Eroberung Ostafrikas Kolonialismus mit dem Nationalsozialismus verknüpft. Hier wie dort war es die verhängnisvolle Allianz zwischen wild gewordenen ultranationalistischen Kleinbürgern und expansionistischen Gelüsten der Hocharistokratie und der Wirtschaftsbosse, die sich in einer besonderen Brutalität niederschlug. Carl Peters war für Müller nichts weiter als ein Hitler mit Tropenhelm. Auch die jüngste Debatte um die These von Jürgen Zimmerer über die Kontinuität von Waterberg und Auschwitz stellt implizit die Frage nach einem deutschen Sonderweg imperialer Expansion. Lothar von Trotha, der Kommandeur der deutschen Truppen: ein Ahne Alfred Jodls in der Ovambi-Wüste. Zimmerers Thesen haben starken Rückenwind durch die Arbeit der US-amerikanischen Historikerin Isabell Hull erhalten. Sie sieht die Ereignisse von 1905 als den vorläufigen Kulminationspunkt einer spezifischen deutschen Militärkultur und -doktrin, deren Auswirkungen sich auch im zweiten Weltkrieg gezeigt hätten.

Vor allem Robert Gerwarth und Stephan Malinowski haben die These von einem besonders brutalen deutschen Kolonialismus abgelehnt. Vergleiche man das deutsche Vorgehen bei der Niederschlagung afrikanischen Widerstandes mit den Umtrieben anderer Kolonialmächte um die Jahrhundertwende, so ließe sich kaum ein deutscher Sonderweg herleiten. Kolonialkriege im imperialistischen Zeitalter seien per se menschenverachtende und äußerste brutale Angelegenheiten gewesen. Franzosen, Amerikaner und Briten stünden den Deutschen da in nichts nach. Vielleicht ist der deutsche Sonderweg in der Geschichte eben das: die Suche nach den Ursachen dieses gesamtgesellschaftlichen Versagens während des Nationalsozialismus, dass zum grundlegenden Geschichtsnarrativ deutscher Historiker seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges geworden ist. Kaum eine andere Nation Europas tut sich ein solch traumatisches Unterfangen als zentralen Geschichtsmythos an und das ist eigentlich etwas sehr Positives, obgleich ein solch historischer body-count schwerlich ein einleuchtendes Argument für einen deutschen Exzeptionalismus im 20. Jahrhundert ist.


Eine Besonderheit weist die deutsche Kolonialgeschichte aber doch auf. Unter den europäischen Kolonialmächten des 20. Jahrhunderts war Deutschland das erste Land, dass sich, wenn auch ungewollt, dem Ende seines Kolonialreiches in Übersee stellen musste. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg verlor das nunmehr nicht mehr existierende Kaiserreich seine Kolonien. Historiker wie Hans-Jürgen Wehler haben aus diesem Umstand geschlossen, dass die koloniale Episode für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte daher zu negieren sei. Vor allem die von den post colonial studies inspirierten Literatur- und Medienwissenschaften haben dem vehement widersprochen und versucht, diese Dekolonialisierung im Alltag der Weimarer Republik bis hin zum bundesdeutschen Alltag zu rekonstruieren.

Wehlers nonachalante Geste des Wegwischens hat allerdings eine gewisse Berechtigung. Das Ende des deutschen Kolonialreiches war auch der Beginn eines sukzessiven kollektiven Vergessens, wenngleich diesem Vergessen eine kurze Blüte kolonialer Erinnerung in der Weimarer Republik voranging. Hatten vor dem Krieg nur die Skandale um das Missmanagement der Kolonialverwaltungen den Deutschen ins Bewusstsein gerufen, dass sie Ende des 19. Jahrhunderts zum Kolonialreich geworden waren, so waren es nun die Heldenerzählungen deutscher Offiziere vom Ersten Weltkrieg in Ostafrika, die die Erinnerungen an die Kolonien dominierten. Doch diese Blüte war kurz. Spätestens seit dem Machtantritt der Nationasozialsozialisten rückte Afrika als koloniales Utopia in den Hintergrund, um Osteuropa in den Expansionsphantasien der deutschen Eliten Platz zu machen. Mögen also die postcolonial studies in Deutschland mit noch so großer Berechtigung nach den Spuren des kolonialen Abenteuers in der deutschen Geschichte suchen, es ist letztendlich eine Dokumentation des Vergessens.


Hieße demnach die Dekolonialisierung des deutschen Kolonialreiches in Übersee habe kaum Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Geschichte gehabt? Dies wäre dann doch zu kurz gedacht. Ich denke, es gibt zwei Pfade, denen wir nachgehen können. Zum einen können wir die Entstehung neuer kolonialer Bestrebungen nach dem Ende des Kaiserreiches untersuchen. So ist die Ostpolitik der Nationalsozialisten bislang noch kaum als koloniale Expansion betrachtet worden. Zum anderen können wir den Blickwinkel erweitern und die Frage nach den Auswirkungen der deutschen Dekolonialisierung für das Gefüge der europäischen Kolonialmächte und für die Regionalgeschichte Afrikas und Asien stellen.

Zum ersten Punkt kann ich nur auf das sehr gute Buch von Vejas Gabriel Liulevicius über die während des Ersten Weltkrieges von den Deutschen besetzten Gebiete im Osten verweise, das in der Tat diese Besetzung als ein koloniales Projekt beschreibt. Wie mir scheint ist dieser Ansatz von den deutschen Historikern kaum fortgeführt worden. Allerdings bin ich kein Experte für osteuropäische Geschichte.

Welchen Einfluss hatte die deutsche Dekolonialisierung auf den weiteren Verlauf der Geschichte? Der Erste Weltkriegs war freilich keine Entlassung der Kolonisierten aus dem kolonialen Herrschaftsverhältnis, sondern ein Wechsel der Kolonialherren. Die Deutschen gingen (oder besser flohen) und nach einer Weile kamen die Briten oder Belgier, an einigen Orten auch die Portugiesen. Nicht immer folgten sie den fliehenden Deutschen auf dem Fuße, mancherorts dauerte es Monate bisweilen sogar Jahre, bis die neuen Herren ihre Präsenz spürbar machten. Für die Afrikaner mochte der Wechsel der Herren kaum Neues gebracht haben. Immerhin war es die Hautfarbe und nicht die Nationalität, die Herren von den Beherrschten in der kolonialen Ideologie und im kolonialen Alltag trennte. Hinzu kam, dass sowohl Briten als auch Belgier zunächst alles so ließen, wie es die Deutschen hinterlassen hatten. Sie fürchten die politische und soziale Instabilität, die der Krieg hinterlassen hatte. Zunächst waren sie auch wenig daran interessiert in die neuen Territorien zu investieren.

Der Krieg schwächte die europäischen Kolonialmächte. Nicht nur in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht, sondern auch in ihrer Legitimation über andere Völker zu herrschen. Die globale Bündnispolitik im Ersten Weltkrieg führte zu einer Auflösung der europäischen Front gegen die Afrikaner und Asiaten. Die war offiziell auf der Berliner Konferenz von 1884 aus der Taufe gehoben worden; die Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstandes, an der neben deutschen auch russische, britische, französische, österreichische, italienische und US-amerikanische Truppen teilnahmen, war ihr Höhepunkt. Dieses westliche Expansionsbündnis zerbrach mit dem Ersten Weltkrieg und sollte erst mit der NATO nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auferstehen.


Die Deutschen verließen diese Front als Erste. Seit dem Kriegseintritt des osmanischen Reiches aufseiten der Mittelmächte drängten deutsche Diplomaten und Geheimdienstler den Sultan von Istanbul einen jihad auszurufen, um Aufstände gegen die britische und französische Kolonialherrschaft zu initiieren. Die Aussichten und Folgen dieser Proklamation wurde von deutschen Islamexperten sehr kontrovers diskutiert. Einige sahen in den nationalistischen Aspirationen der Nordafrikaner nun ein natürliches Recht. Andere dagegen warnten vor den katastrophalen Folgen für das Image der Europäer in Afrika und Asien. Aus der Perspektive europäischer Kolonialherrschaft war die Vermischung von Islam und Krieg ein riskantes Spiel mit dem Feuer, denn damit wurde der Widerstand gegen die Europäer erstmals von einer europäischen Kolonialmacht legitimiert. Die Deutschen hatten schon während der Burenkriege Partei gegen die Briten ergriffen, doch die Buren war immerhin europäischer Herkunft.

Doch auch die Briten und Franzosen waren durchaus bereit, dieses Spiel mitzuspielen. Der Einsatz von afrikanischen und indischen Truppen auf den Schlachtfeldern Europas war ein Tabubruch. Denn immerhin sollten nun Nicht-Europäer Europäer töten. Damit war die wichtigste Legitimation europäischer Kolonialherrschaft ihre Grundlage entzogen: die unüberwindliche Trennung der Rassen. Vor dem Krieg hatten die europäischen Kolonialmächte den Tod eines Europäers, auch wenn er nicht ihre Nation angehörte, mit Strafexpeditionen gegen ganze Landstriche geahndet. Die Entsendung internationaler Truppen zur Niederschlagung des Boxeraufstandes war mit der Ermordung von Europäern begründet worden.


Dies alles gehörte nun der Vergangenheit an. Die alliierte Kriegspropaganda stellte die Deutschen auch in den Kolonien als eine unzivilisierte Nation dar. Nach dem Ende des Krieges mündete dies in eine lebhafte Debatte über die Bewertung der deutschen Kolonialherrschaft. Den Briten ging es zunächst um eine ideologische Aufmuntionierung angesichts der bevorstehenden Verhandlungen über das weitere Schicksal der deutschen Kolonien. Sie nahmen aber nicht nur die Deutschen ins Visier, sondern auch ihre ehemalige Alliierten: die Belgier und Portugiesen, die nun als Konkurrenten um das Erbe der Deutschen angesehen wurden. Die Deutschen reagierten auf die drohende Enteignung mit der Rede von der Kolonialschuldlüge, die die allgemeine Stimmung der Deutschen über die demütigenden Friedensbedingungen durch die Siegermächte sehr gut zu bedienen wusste. Die Frage nach dem Gut oder Böse der deutschen Kolonialherrschaft schloss aber auch die Frage nach den Wesen von Kolonialherrschaft überhaupt mit ein.

Brisanz erhielt diese Debatte durch die anti-koloniale Haltung des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der sich vehement gegen eine Einverleibung der deutschen Kolonien in das französische oder britische Kolonialreich aussprach. Die Kompromisslösung zwischen den Europäern und Amerikaner war die deutschen Kolonien in Mandatsgebiete des Völkerbundes unter Aufsicht der Franzosen, Briten und Südafrikaner zu überführen. Die Schaffung der permanenten Mandatskommission des Völkerbundes hatte weitreichende Folgen für die Kolonialisierten wie die Kolonialherren. Erstmals gab es eine internationale Aufsicht, die den Kolonialmächten auf die Finger schaute, auch wenn diese nur einige Gebiete betraf, auch wenn diese Aufsicht oft nicht sehr effektiv war. Für die Kolonisierten öffnete sie die Tür zur Weltöffentlichkeit. Schon 1919 und 1920 waren die Franzosen und Briten mit Petitionen togolesischer und kameruner Politker an den Völkerbund konfrontiert, sie in die Entscheidung über die Zukunft der Kolonien miteinzubeziehen. Internationale NGOs und Teile der politische Parteien in Großbritannien und Frankreich hatten sich unter dem Eindruck des Krieges zunehmend kritisch gegenüber den Kolonialmächten gezeigt. Selbst die deutsche Kolonialgesellschaft nutzte die Debatten um die Mandate, um die Entente-Mächte zur EInhealtung der Friedensverträge zu ermahnen. Die Internationalisierung des Krieges hatte zudem zu einer Internationalisierung zivilgesellschaftlicher Strukturen beigetragen, die wie kaum jemals zuvor ihren Einfluss auf die Politik gelten machen wollten.

Das Mandatssystem des Völkerbundes war die Keimzelle einer neuen Weltordnung, in der Nationalstaaten und internationale Organisationen zu deren Grundpfeilern gehören sollten. Obgleich Briten und Franzosen die anti-kolonialen Ambitionen Woodrow Wilsons zu einem guten Teil dämpfen konnten und in wesentlichen Details ihre Kolonialpolitik auch in den Mandatsgebieten bestimmen konnten, war Afrika erstmals Teil eines internationen Rechstsystems. Deutschland hörte zwar auf eine Kolonialmacht zu sein, aber Mitte der Zwanziger begannen Deutsche eine zunehmende Rolle im Wirtschaftsleben ihrer ehemaligen Kolonie zu spielen Im britischen Teil Kameruns waren Ende des Jahrzehnts mehr als die Hälfte der europäischen Plantagen in deutscher Hand. Die deutsche Kritik am Mandatssystem war am Ende einer der Gründe für die Zustimmung der Siegermächte des Ersten Weltkrieges, Deutschland 1926 in den Völkerbund aufzunehmen. Für sieben Jahre, bis zum Austritt nach der Machtergreifung Hitlers, war Deutschland wieder in eine internationale Ordnung integriert.

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