Warum sind Ausländer ausländerfeindlich?

Migrationspolitik Eine wahre Geschichte über die Fallstricke ein Ausländer in Deutschland zu sein

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Wenn ich meine Mutter in ihrer Gartenkolonie bei Werder besuche, läuft das Gespräch am Ende immer wieder auf das gleiche heraus: die „Russen“. Bis kurz nach der Wende war die Kolonie fest in ostdeutscher Hand. Von der Größe der Gemüsebeete und der Terrasse bis hin zur Sperrstunde entsprach alles den deutschen Gartenverordnungen. Während nach der Wende die Welt meiner Eltern unterging, war ihr Schrebergarten vielleicht der einzige Platz, wo fast alles beim Alten blieb. Der Kalte Krieg hat in deutschen Kleingarten kaum ideologische Risse hervorgebracht. Die Westdeutschen mochten die besseren Heckenscheren haben, aber auch sie konnten, wie ihre ostdeutschen Kollegen, die maximal genehmigte Höhe nicht beeinflussen. Mit der Tonlage eines Parteitagsbeschlusses regelte in Ost wie West die Kleingartenverordnung jedes auch noch so kleine Detail. In ostdeutschen Kleingärten wiederum galt der Fünfjahresplan nicht: Jeder konnte soviel anbauen wie er wollte. Der Aufbau des Sozialismus war am Wochenende suspendiert.

In den letzten 20 Jahren hat der Tod die Reihen Gründergeneration in der Gartenkolonie meiner Eltern gelichtet. Für sie kamen meistens Russen, die, mit einem Bündel von Geldscheinen in der Hand, die Gärten von Fleck weg übernahmen. Nirgendwo sind sich Deutsche und Russen so ähnlich, wie in ihrer Liebe für den Kleingarten vor den Toren der Stadt. Im Russischen heißt es „Datscha“: Ein Wort, das die Deutschen in ihren Sprachgebrauch übernommen haben.

Seitdem die „Russen“ die Gartenkolonie übernommen haben gibt es immer wieder Ärger mit den neuen Nachbarn. Was ihre Datscha betrifft, sind die viele Russen Anarchisten und Angeber. Keine deutsche Kleingartenverordnung kann ihrem Drang bremsen, den Stand ihres Bankkontos auch in der Anlage ihres Gartens Ausdruck zu verleihen. Die alteingesessenen Nachbarn, so auch meine Eltern, die von einer kleinen Rente leben, sehen das mit Missmut. Konflikte mit dem Vorstand der Kolonie sind an der Tagesordnung. Die Sitzungen bringen Deutsche und Russen oft an den Rand eines Kulturkampfes. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Pegida ihren Anfang in einer Kleingartenkolonie nahm. Wenn nicht, so zumindest im Geiste und im Habitus.

Meine Mutter weiß ein langes Klagelied über ihre russischen Nachbarn zu singen. Sie schmissen mit dem Geld um sich, parkten ihre BMWs und Mercedes direkt vor ihrem Garten, scherten sich einen Dreck um die Mindesthöhe der Hecke und seien im Allgemeinen zu laut. Mama, sage ich immer, was regst du dich so auf, du bist doch selbst Russin. Sie sind wie sie sind. Im Hintergrund grummelt meiner Vater etwas von der Pflicht sich anzupassen. Meine Mutter nimmt das Gegrummel auf und betont, sie habe sich in den 25 Jahren ja auch angepasst. Warum könnten dies auch nicht ihre Nachbarn? Genau, sagt mein Vater und ich antworte in diesem rituellen Gespräch: Warum hast du nicht eine Deutsche geheiratet, wenn du eine deutsche Frau wolltest?

Aber woran soll sich ein Ausländer anpassen? Politiker sind schnell bei der Hand mit Verweisen auf demokratische Werte. Volkstribunen jeder Coleur beschwören Traditionen herauf, die bei genaueren Blick eher dubiosen Ursprungs sind oder so oft missbraucht wurden, dass sie ihnen etwas Schäbiges anhaftet. Mein Vater erklärt jedes Jahr Weihnachten zu dem deutschen Fest überhaupt. Ich dachte, Kommunisten, auch wenn sie Ex sind, glauben nicht an Gott, entgegne ich ihm dann. Wir Deutschen können uns nicht einmal mehr gegenseitig zum Geburtstag beglückwünschen, ohne in ein andere Idiom zu verfallen. Das Deutscheste an uns ist, das wir keine Deutschen sein wollen. Wir haben immer Angst, dass uns die Geschichte einholt. Ausnahmsweise muss ich da dem Bundespräsidenten zustimmen: Ohne Auschwitz keine deutsche Identität. Allerdings ist es eher die Angst davor, dass uns andere an unserer Geschichte messen.

Ich bin nach diesen Gesprächen mit meiner Mutter immer etwas ratlos. Also wende ich mich an meine Frau, eine Brasilianerin, die mehr deutsch ist als alle Deutschen, die ich kenne, zusammen. Ausländer wollten besser als die Deutschen sein, sagt sie, nur gäbe dies keiner zu. Wer diesen Kodex bräche, wer dem deutschen Bild vom Ausländer Nahrung gäbe, wird verdammt. Aha, meine Mutter mag ihre russischen Gartennachbarn also nicht, weil sie zu sehr dem deutschen Bild vom Russen entsprächen? Weil sie zu russisch sind? Ja, in etwa, sagt meine Frau.

Das Dumme ist nur, dass Ausländer oft ein Bild von Deutschland haben, welches den Hochglanzbroschüren des Auswärtigen Amtes, den Parteitagsreden der CSU oder den Idealen deutscher Kleingartenverordnungen sehr nahe kommt. Ich kenne allerdings kaum einen Deutschen, der diesem Bild auch nur ansatzweise entspricht. Es ist auch nicht das Deutschland, dass ich auf den Straßen Berlins erlebe. So sind Ausländer ausländerfeindlich, weil sie einem Deutschlandbild nachjagen, dass kaum so existiert. Deutsche dagegen fürchten sich vor Ausländern, weil sie nicht die Last der Geschichte mit sich tragen müssen. Und während ich diesen letzten Satz schreibe, übt mein Sohn vor dem Spiegel, wie ein türkischer Ghettogangster zu reden. Die wiederum sind, wie meine Frau lachend sagt, nur billige Kopien von richtigen Gangstern. Identität, entgegne ich, ist wie eine Hure: Sie gibt sich dem hin, der ihr die schönsten Kleider gibt.

Aber eigentlich geht es bei der ganzen Sache doch nur, darum am Sonntag im Garten eine heile Welt zu leben.

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