Abgesang auf die Polder-Plantagen?

Niederlande Keine Tabus mehr - Klimapolitik mit allen Mitteln

Eine Weile sah es so aus, als habe sich die Dringlichkeit der Sache herumgesprochen: Wenn es in absehbarer Zeit, in den nächsten 15 bis 20 Jahren, nicht gelingt, die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen drastisch zu reduzieren, dann ist die Klimakatastrophe nicht mehr abzuwenden. Das ist wahrlich keine lange Zeit, aber man muss sie nutzen.

In den Niederlanden wird im Rat für Umweltschutz (Milieudefensie) ein Maßnahmenpaket erörtert, das sich auf eine Reihe von sofort möglichen und nachweislich effektiven Aktionen bezieht, die es an Konsequenz nicht fehlen lassen: Dazu gehört erstens die Fortsetzung der bisherigen Öko-Steuerpolitik. Anders als es die rot-grüne Regierung in Deutschland hielt, wird in den Niederlanden das Aufkommen dieser Steuern direkt für Umweltschutzmaßnahmen verwendet. Auch dazu, private Ausgaben für umweltschonende Technologien (vom Einbau von Katalysatoren in Privatautos bis zur Anschaffung von Hochleistungsheizkesseln oder Energiesparlampen in Privathaushalten) zu subventionieren - für diejenigen, die sie sich nicht leisten können. Zweitens geht es um eine radikale Umkehr bei den Normen für den Wohnungsbau, und zwar nicht nur den öffentlich geförderten. Es geht um das längst bekannte und erprobte Konzept des Passivhauses, das ohne Zentralheizung auskommt. Die Isolation älterer Häuser soll weiter massiv subventioniert werden. Ebenso der Einsatz von Solarzellen zur Energiegewinnung für den Privatverbrauch.

Schließlich sollen die Supermärkte als einer der wichtigsten Energieverschwender ebenso wie der Einkaufs- und Lieferverkehr nicht ungeschoren bleiben. Die Regierung in Den Haag will den Einkauf per Internet wirksam fördern - dank der direkten Lieferung aus großen Warenmagazinen an der Peripherie der Städte für die privaten Haushalte sollen bis zu zwei Drittel des Energieverbrauchs, der beim heute üblichen Handelssystem anfällt, eingespart werden. Gleichfalls geht es um die drastische Reduzierung der Emissionen, die der tägliche Berufsverkehr mit seinen endlosen Staus verursacht. Die mutmaßlichen Königswege heißen Carpooling und Carsharing, werden mit öffentlichen Geldern gefördert und sollen den Hang zum privaten Autobesitz drosseln. Parallel dazu wird das vorhandene System der Spezialbusse in verschiedenen Größen erweitert und - als radikalste Maßnahme - der Wandel des öffentlichen Nahverkehrs in eine kostenlose (aus Steuern finanzierte) Dienstleistung für alle vorangetrieben. Bisherige Experimente auf lokaler Ebene sprechen dafür.

Mit Blick auf die Bindungen an Europa wird der Ausbau des Netzes der Hochgeschwindigkeitszüge diskutiert - in den Niederlanden ein heikles Thema wegen vieler lokaler Widerstände. Dazu kommt die längst überfällige Steuer auf Flugbenzin, und - für dieses Gemeinwesen ein noch heißeres Thema - die Zukunftsdebatte über eine äußerst energieintensive industrielle Landwirtschaft, besonders in den Polder-Plantagen, in denen sich kilometerweit ein beheiztes Gewächshaus an das andere reiht.

Das bedeutet ein Umsteuern in der europäischen Handelspolitik. Schließlich wird erstmals ernsthaft die längst bekannte Alternative zum Handel mit Kohlendioxid-Emissionsrechten diskutiert: ein Rationierungssystem für Produzenten und Verbraucher aller Produkte, bei denen CO2 oder Methan freigesetzt wird. Der ehrgeizigste Plan betrifft die Stromversorgung. Sie soll von zwei Seiten her umgestellt werden: Bei der Stromerzeugung durch eine rasche Erweiterung der Offshore-Wind-Parks und bei den Netzen durch die Verwendung neuer Hochspannungskabel.


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