Für einen Augenblick waren die Finanzmärkte ob des in letzter Minute abgewendeten Offenbarungseids der USA und der angehobenen Schuldengrenze beruhigt. Nicht so die Rating-Agenturen, die nicht umhin kommen werden, die Kreditwürdigkeit des Großschuldners auf das Niveau AA herab zu stufen, wenn sie ihre eigenen starken Worte aus den zurückliegenden Tagen noch ernst nehmen. Von Haushaltskonsolidierung war die Rede, aber der US-Bundeshaushalt bleibt trotz des jüngsten Agreements chronisch unterfinanziert – fast ein Viertel der laufenden Ausgaben werden durch laufende Steuereinnahmen nicht gedeckt. Das ist die Folge der unsinnigen, extrem ungerechten und rein ideologisch bestimmten Steuersenkungs-Politik eines ganzen Jahrzehnts, an der Obama und die Demokraten etwas ändern wollten, es aber letztlich nicht konnten.
Die USA gehören heute – ähnlich wie die Champions des europäischen Steuersenkungs-Wettbewerbs Irland, Griechenland und Portugal – zu den kapitalistischen Ländern mit der weltweit niedrigsten Steuerbelastung: Durchschnittlich 24 Prozent zahlt der Normalbürger – der Besser- und Bestensverdiener weit weniger. Ändert sich diese Steuerpolitik nicht radikal und nachhaltig, bleiben nur das Versinken im Schuldensumpf oder das Kaputtsparen einer ohnehin maroden Volkswirtschaft. Im Moment sieht es so aus, als bekämen die Amerikaner beides.
Keine Frage, wenn die USA ihre Topnote auf den Finanzmärkten verlieren, werden die Zinsen für ihre Anleihen um 60 bis 70 Basispunkte steigen, das verteuert die Refinanzierung der Staatsschulden um wenigstens 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Eine Staatsschuldenquote von annähernd 100 Prozent und eine Defizitquote für den Bundeshaushalt von um die zehn Prozent wären an und für sich noch kein Grund zu erschrockener Aufregung bei potenziellen Investoren. Japan kann mit über 200 Prozent Staatsschuldenquote leben, allerdings sind weit über 90 Prozent dieser Verbindlichkeiten in Händen japanischer Banken. Die USA haben weit mehr Auslandsgläubiger und die – chinesische, japanische, arabische und europäische Finanzinstitute und Fonds – kein Interesse am Wertverfall ihrer US-Einlagen. So sind denn zuletzt Investoren aus kurzfristigen in langfristige US-Papiere ausgewichen. Sie taten es in Erwartung steigender Zinsen und dann auch steigender Renditen.
Zwischen zwei Krisen
Nach wenigen Momenten der Euphorie sind zur Wochenmitte die Weltbörsen wieder auf Talfahrt, offenbart doch der Schuldenkompromiss zwischen der Obama-Regierung und ihren Widersachern die Schwäche der US-Politik. Ihr fehlt es an Konsistenz und Logik, sie taumelt zwischen zwei Krisen dahin: dem noch längst nicht überwundenen großen Einbruch, der im Sommer 2007 als Hypotheken- und Immobilienkrise begann, und der nächsten Rezession, auf die wir zusteuern. Ganz gleich, wie die jetzt programmierten Sparorgien in den kommenden Monaten aussehen, die US-Wirtschaft – zu zwei Dritteln vom Inlandskonsum abhängig – wird dadurch schwer geschädigt und jedem Aufschwung abschwören müssen. Konjunkturprogramme, die das Schlimmste verhindern könnten, gibt es nicht mehr. Das Heer der Arbeitslosen und Armen wird weiter wachsen. Selbst einige US-Konzerne, denen es bisher noch gut geht wie den führenden Rüstungsproduzenten, dürften Federn lassen. Die Pleitestaaten und -kommunen der USA können auf Finanzhilfen vom Zentralstaat pfeifen. Eine auf gekürzte Rationen gesetzte Millionenarmee von Rentnern, Kranken und Erwerbslosen lässt den US-Binnenmarkt weiter schrumpfen.
Die ganz großen Gläubiger – vor allem die ausländischen Zentralbanken und Staatsfonds – sehen die ökonomische Schwäche der USA genau und ziehen ihre Konsequenzen. Dabei zweifelt niemand daran, dass der US-Staat bis zum Jahresende die fälligen Zinsen zahlt und auslaufende Schuldscheine bedienen kann. Allein im August müssen 464,8 Milliarden Dollar refinanziert werden, bis zum Jahresende werden es 1,63 Billionen sein.
Das Geschäft mit den US-Staatsanleihen wird also weiterhin ein blühendes sein, gelegentliche Paniken inklusive. Jeder langfristig denkende Investor kann sich an fünf Fingern ausrechnen, dass die USA mit dem jetzt gebilligten Sparprogramm unweigerlich tiefer in die Schuldenfalle rutschen. Ein Marshall-Plan für Südeuropa, besonders für Griechenland? Aber bitte sehr. Nur wer sollte einen Marshall-Plan für die maroden USA finanzieren?
Beide Perlen in der Krone der neoliberalen Weltordnung – die USA und Großbritannien – stecken gleichzeitig in Stagnation und Schuldenkrise, aus der man sich nur schwer heraus sparen kann. Mit einer Exportoffensive zu reagieren und sich auf einem schon jetzt hart umkämpften, von Waren überfluteten Weltmarkt durchzusetzen, erscheint gleichfalls kaum möglich. Also werden wir weitere Finanzkrisen erleben – und weitere faule Rettungsaktionen.
Michael R. Krätke ist Direktor des Institute for Advanced Studies an der Lancaster-Universität
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