Fuß auf der Konjunkturbremse

G20 Entweder die G20-Staaten einigen sich bei ihrem Treffen in Kanada auf eine krisenfeste Weltfinanz­ordnung oder sie haben als Klub der Großen ausgesorgt

Attac ist schon da. Wie sich das gehört, gibt es zum G8- und G20-Gipfel an diesem Wochenende in Kanada einen Gegen-Gipfel. Dabei führen die europäischen Gipfelgäste eine alte Attac-Forderung im Gepäck – eine Finanzmarkttransaktionssteuer muss her. Das findet Präsident Obama auch, nur von der zweiten Idee aus dem Kreis der EU-Staaten, einer Bankenabgabe, um die Finanzinstitute an den Kosten künftiger Rettungsaktionen zu beteiligen, hält er weniger. Ebenso wie der Bankier Josef Ackermann und Legionen von Lobbyisten, die seit Wochen aus allen Rohren gegen jede Finanzmarktregulierung schießen.

Um die Geld- und Aktienmärkte wieder unter Kontrolle zu bringen und weitere Weltfinanzkrisen zu verhindern, waren die G20 vor eineinhalb Jahren erfunden worden. Bis heute sind freilich starken Worten keine Taten gefolgt, die weltweite Spekulation grassiert, die Hedgefonds verdienen auf das Prächtigste, die Rating-Agenturen spielen Schicksal – die Finanzgeschäfte blühen dank des billigen Geldes, das die Zentralbanken im Überfluss in die Märkte pumpen.

Auch wenn die EU diesmal in Toronto fast mit einer Stimme spricht, ein Konsens ist kaum zu erwarten. Lasst die Europäer reklamieren, so viel sie wollen – wir brauchen diese neuen Steuern nicht, raunen die kanadischen Gastgeber. Alle hoffen auf ein rasches Ende der Weltwirtschaftskrise, aber über Auswege aus der Rezession herrscht große Uneinigkeit.

Zeitpunkt verpasst

Barack Obama warnt vor dem harten Tritt auf die Konjunkturbremse durch exzessives Sparen. Merkel und ihre Sparfalken sind gemeint, die EU-Partner unter Druck setzen – mit Erfolg, wie der jüngste Schwenk der Franzosen zu einer „soliden“ Politik der Haushaltskürzungen zeigt. Die Briten haben gerade den radikalsten Sparhaushalt aller Zeiten vorgelegt. Im Gegensatz zu Merkel und Premier Cameron sind andere Regierungschefs aus dem G20-Zirkel überzeugt, dass man sich aus einer Weltwirtschaftskrise nicht heraussparen kann. Sie sind zu Recht alarmiert, brauchen sie doch das Europa der EU als größte Wirtschaftsregion der Welt, die insgesamt weit mehr importiert als exportiert. Niemand außer einigen Spekulanten hat bisher von der Euro-Krise profitiert, niemand kann sich freuen, wenn deutscher und britischer Sparfuror der EU durch einen schwindsüchtigen Binnenmarkt eine anhaltende Depression beschert.

Vermutlich ist der richtige Zeitpunkt für eine entschiedene Regulierung der Finanzmärkte ohnehin schon verpasst. Nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im September 2008 saß der Schock tief, inzwischen reden sich die Finanzlobbyisten und Politiker gegenseitig ein, die Finanzkrise sei überstanden. Nur steht und fällt eben die Legitimation des zur G20-Gemeinde avancierten Clubs der Großmächte mit einer Neuordnung der Weltfinanzmärkte. Über deren Agenda kann es keine Zweifel geben: Die G20 müssen die Reform des IWF voran bringen, Hedgefonds und Rating-Agenturen an die Kandare legen, den Banken neue Spielregeln zuweisen, einige Spielkasinos schließen und die verbleibenden scharf beaufsichtigen. Mit einem Wort, man muss das Aufblähen neuer Finanzblasen aufhalten. Nur Banker und Spekulanten sehen das anders – und natürlich Regierungschefs, die an ihre nationale Finanzindustrie zuerst denken und den Wohlstand der Nationen mit dem Reichtum einiger Vermögensbesitzer verwechseln.

China erbötig

Die G7 (USA, Großbritannien, Frankreich, Japan, Italien, BR Deutschland, Kanada) kamen 1976 erstmals zusammen, um ein neues Währungsregime nach dem Zerfall des Systems von Bretton Woods zu begründen. Von den G20 wird nun in Toronto Ähnliches erwartet – sie sollten die Weltökonomie neu sortieren, um einen Weltwirtschaftskrieg jeder gegen jeden zu verhindern. Das Vorspiel dazu – ein Weltwährungskrieg – findet bereits statt. Nur waren die Chinesen so erbötig, ihren Kurs zu ändern und für mehrere Milliarden Dollar wieder lang- und kurzfristige US-Staatspapiere zu kaufen. Ohne diese Konzilianz müssten die Amerikaner erheblich mehr für ihre öffentlichen Schulden bezahlen. Erfreut nahm die US-Regierung die beiläufig verkündete Ankündigung der chinesischen Zentralbank – man werde künftig ein wenig flexibler mit dem Wechselkurs des Renminbi (auch als Yuan bekannt) verfahren, ohne gleich massiv aufzuwerten – als eine der vielleicht wichtigsten weltökonomischen Entscheidungen des Jahres 2010 zur Kenntnis. Um diesem Sprung der Chinesen über den eigenen Schatten gerecht zu werden, müssten die G20 angemessene Beschlüsse fassen. Sie sollten die Inventur der Weltfinanzordnung ins Werk setzen – oder aufhören. Niemand wartet auf blumige Absichtserklärungen.

Während die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) gerade eine strategische Wende vollziehen, ohne sich aus der Weltwirtschaft zu verabschieden, ohne sich zu ruinieren, blockieren die Europäer – unter dem Diktat der Finanzmärkte und angeführt von deutschen und britischen Sparfanatikern – jede Weltwirtschaftspolitik, die diesen Namen verdient. Zu Hause haben sie gerade mit knapper Not den Zusammenbruch des EU-Finanzsystems abgewendet. Aber nichts daraus gelernt – allem Gerede von einer EU-Wirtschaftsregierung zum Trotz. Sie spielen Nationalökonomie wie gehabt, sie schwören auf eine Wirtschafts- und Finanzpolitik von vorvorgestern, und die Banker samt Lobbyisten tanzen ihnen auf der Nase herum.

Michael R. Krätke ist Professor für Politische Ökonomie an der Universität Lancaster

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