Selten zuvor ist so oft angekündigt worden, was derzeit geschieht. Seit Monaten schon prophezeien die Auguren den großen Absturz, die nächste Weltwirtschaftskrise. Die Erinnerung an die Börsenkrise, mit der die New Economy im Oktober 2000 von ihrem Höhenflug zu jäher Talfahrt überging und in kürzester Zeit Abermilliarden fiktiver Kapitalien vernichtete, ist noch nicht verblasst. Jedermann weiß oder ahnt, dass der Boom von Spekulationsblasen getrieben wird. Was die Regierenden beklatschen, ist ein Aufschwung nicht nur auf Pump, sondern auf spekulativer Basis. Beim letzten Mal ging der Bubble mit einer Welle von Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnologie einher - diesmal nicht. Die derzeitige Konjunktur beruht auf der Spekulation mit Immobilien, mit Rohstoffpreisen und Finanzderivaten.
Im Februar/März, dann noch einmal im Mai, gab es die ersten Vorboten des sich anbahnenden Dilemmas. Zweimal sackten die Börsen in Asien dramatisch ab, doch schienen die Turbulenzen bald verebbt - seit Ende Juli nun sieht alles anders aus: Diesmal ist eine riesige Immobilien-Spekulationsblase geplatzt, die US-Hypothekenkrise schlägt auf Banken und Finanzmärkte in Europa und Asien durch, der globale Handel mit Schulden und Krediten, angeheizt durch den explodierenden Handel mit Finanzderivaten, hat aus der Immobilienspekulation ein internationales Geschäft gemacht. Banken und Investmentfonds aus aller Welt mischen kräftig mit und ignorieren, auf welche Risiken sie sich einlassen. Das seit langem Befürchtete ist eingetreten: Viele, sehr viele Hedgefonds haben sich gehörig verspekuliert. Und siehe da, schon haben wir die schönste internationale Kredit- und Geldmarktkrise.
Wenn milliardenschwere Hedgefonds pleite gehen, sind jene Banken, Versicherungen und Investmentfonds die Dummen, die sie finanziert haben. In den USA hat die berühmte Harvard Universität über Nacht 700 Millionen Dollar bei solcherart "Geldanlage" verloren. Mehrere US-Hypothekenbanken sind pleite - und ihre europäischen Gläubiger wie die Deutsche Bank, die Commerzbank, die französische BNP Parisbas, die belgisch-niederländische Fortis dürfen Hunderte Milliarden Euro als Verlust abschreiben. Etliche europäische Großbanken schließen gar wegen massiver Wertverluste ihre Hegdefonds, Milliarden lösen sich in Luft auf. Die Postbank ist dabei, die Westdeutsche und die Sächsische Landesbank, eine Mittelstandsbank wie die deutsche IKB hat Milliarden aufs Spiel gesetzt und verloren. Auf die Pleiten der Fonds folgt die Flucht der Anleger - die Panik ist da und führt zu einer weltweiten Talfahrt der Kurse. Alle großen Aktienindizes - Dow Jones, Nasdaq, Standard Poor´s, DAX, Nikkei und so weiter - haben massiv verloren, manche mehr als drei Prozent pro Börsentag.
Milliardenverluste der Banken und Investmentfonds, die Massenflucht der Anleger haben eine klassische Kreditkrise hervorgebracht. Die Banken, die Woche für Woche Milliardenkredite refinanzieren müssen, haben plötzlich Schwierigkeiten, Kredite zu bekommen und am Markt unterzubringen, der Geldmarkt klemmt. Wie immer, wenn ein Kollaps der Finanzmärkte droht, springen die Regierungen ein. Eine kleine Bank wie die IKB konnte in einer schnellen, konzertierten Aktion vor dem Absturz gerettet werden. Aber eine Kreditmarktkrise, die über die Welt der Finanzmärkte weit hinausgeht, verlangt schwereres Geschütz. Und das wird prompt aufgefahren. Erstmals seit September 2001 hat die Europäische Zentralbank massiv interveniert und in wenigen Tagen über 200 Milliarden Euro in den Geldmarkt gepumpt.
Die Angst vor dem großen Krach ist stärker als die sonst offiziell gepflegte Inflationsfurcht. Die Zentralbanken der USA, Australiens, Japans, der Schweiz, Kanadas und weiterer westlicher Hauptländer haben genauso reagiert und in wenigen Tagen umgerechnet mehr als 500 Milliarden Euro in Umlauf gebracht.
Derweil beruhigen Ökonomen mit dem Kurzschluss: Das Schlimmste sei vorbei, die Hypothekenkrise bereinigt - der Weltwirtschaft gehe es gut. Wir erleben ja nur das Platzen einer Spekulationsblase, die noch immer für mehr als zehn Billionen US-Dollar gut ist, von den übrigen Spekulationsblasen, die sich in jüngster Zeit gebildet haben, ganz zu schweigen. Der nächste Akt im Drama um die Neuaufteilung der Welt zwischen den kapitalistischen Nationen wird mit Sicherheit aufgeführt - auch wenn das Intermezzo zwischen Geldmarkt- und Welthandelskrise Wochen oder Monate dauern kann. Aber alle "Fundamentaldaten" der Weltökonomie weisen auf Überkapazitäten und Überproduktion.
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