Bereits 1976 hat er in Bangladesh das Grameen-Projekt gestartet, aus dem 1983 die Grameen-Bank wurde - eine Genossenschaftsbank, die zu 94 Prozent ihren Kunden gehört und Mikro-Kredite vergibt. Vor 30 Jahren hat Mohammad Yunus, der Wirtschaftsprofessor aus Chittagong, damit eine Bewegung ausgelöst, die im Kampf gegen die Armut erfolgreicher sein sollte als die Weltbank und manches Institut der offiziellen Entwicklungshilfe aus dem reichen Norden.
Ohne die Weltbank
Nicht zufällig haben die Vereinten Nationen 2005 zum Internationalen Jahr der Kleinkredite ausgerufen. Um der Armut in der Dritten Welt wenigstens Grenzen zu setzen, wie es mit den Millenniumszielen versprochen wurde, sollten erstmals 100 Millionen Menschen mit Mikro-Krediten erreicht werden. Darum war Mohammad Yunus als "Botschafter der Kleinkredite" während des vergangenen Jahres in so vielen Ländern unterwegs, um für ein Modell zu werben, das so unprätentiös wie ungewöhnlich ist. "Wir haben uns angesehen" - pflegt Yunus stets zu sagen - "wie die anderen Banken arbeiten und dann das genaue Gegenteil davon getan."
Nach den Spielregeln des traditionellen Bankgeschäfts dürfte es Mikro-Kredite nicht geben, handelt es sich doch um Kleinstanleihen für jene, die sie brauchen, aber keine Sicherheiten bieten. In den reichen Industrieländern gilt vorzugsweise derjenige als kreditwürdig, der dank seines Einkommens, Vermögens oder Kapitals den Kreditgeber notfalls vor Schaden bewahren kann. So gab und gibt es im Süden für die Armen traditionell nur die Pfandleihe oder den Wucherer. Keine respektable Bank lässt sich auf Kreditgeschäfte mit ihnen ein - nicht einmal als Kleinsparer sind sie willkommen.
Können unter diesen Umständen Banken für die Armen überhaupt funktionieren? Erstaunlicherweise ja. Die Grameen-Bank hat nahezu sechs Milliarden Dollar an Kleinst-Krediten an mehr als 6,6 Millionen Menschen vergeben und dabei keine Verluste geschrieben. Die Zahl ihrer Mitglieder - Einleger, Sparer und Kreditnehmer - wächst beständig. Sie hat sich als eine der wenigen Mikro-Kreditbanken in der Dritten Welt schon vor Jahren von externen Geldgebern unabhängig gemacht - 1985 kündigte sie ihre Kooperation mit der Weltbank auf, der sie vorwarf, Geld zu verschwenden und Korruption zu dulden.
Die übergroße Mehrheit - über 97 Prozent der Kleinstschuldner - rekrutiert sich aus Frauen, deren Kreditsummen in der Regel winzig sind: 30 bis 40 Dollar. Die Bank verlangt keine Sicherheiten, aber sie vergibt ihre Darlehen nicht an Einzelne, sondern an Gruppen von fünf oder sechs Personen, in Ländern wie Indien oder Mexiko auch an mehr. Die Gruppe ist für Gebrauch und Rückzahlung des Kredits gemeinsam verantwortlich. Das war und ist gewagt, da Frauen in islamischen Ländern nicht als geschäftsfähig, schon gar nicht als kreditwürdig gelten.
Aber die Mitarbeiter der Bank lassen sich davon nicht beeindrucken - sie schwärmen aus, immerfort auf der Suche nach kreditwürdigen Projekten. Wer das Geld der Grameen-Bank nimmt, muss nicht nur strenge Rückzahlungsmodalitäten akzeptieren - die Rückzahlung in wöchentlichen Kleinstraten ist keine Ausnahme -, sondern hat zudem einen ganzen Katalog von Verhaltensregeln zu befolgen: Vom Gebot, Wasser nur abgekocht zu trinken, bis zur Verpflichtung, das mit kreditfinanzierten Projekten verdiente Geld in die Ausbildung der Kinder zu stecken. Nur wer den Kredit rechtzeitig zurückzahlt, bleibt kreditwürdig und kann künftig mehr Geld leihen als beim ersten Mal.
Teilweise missbraucht
Trotz hoher Zinsen - der effektive Jahreszins liegt bei über 20 Prozent, in manchen Mikro-Finanzinstituten noch darüber - bleibt die Zahl "fauler" Kredite extrem niedrig, die Rückzahlungsquote liegt in der Regel bei weit über 90 Prozent (98,8 bei der Grameen-Bank) - ein sehr viel höherer Wert als bei den Großbanken in den begüterten Ländern des Nordens. Die Höhe der Jahreszinsen erscheint im Übrigen weniger exorbitant, hält man sich vor Augen, dass die Mikrokredite in Ländern vergeben werden, in denen der Wucher - mit effektiven Zinssätzen von bis zu 1.000 Prozent - nach wie vor üppig blüht.
Dank ihres Erfolgs ist die Grameen-Bank mittlerweile imstande, ihrer wachsenden Kundschaft weitere Finanzdienstleistungen im Kleinst-Format anzubieten: Sparprogramme, Renten- und Krankenversicherungen, rückzahlbare Stipendien. In Bangladesh, Indien, Indonesien und vielen Ländern Lateinamerikas ist das System der Kleinkredite höchst populär, Millionen machen davon Gebrauch, wenn sie auf mehr ökonomische Selbstständigkeit hoffen. Wo es derartige Kredite gibt, verschwindet die Kinderarbeit, und werden Mädchen später verheiratet. Das heißt, nachweisbar ist der kleine, lokale Erfolg - keine Reduzierung der Armut im großen Stil. Im Moment wird das Yunus-Modell teilweise leider dazu missbraucht, eine "Privatisierung" der Entwicklungshilfe und einen Abbau öffentlicher Investitionen in den Ländern der Dritten Welt zu legitimieren. Doch Mikro-Finanzinstitutionen sind weder krisen- noch inflationssicher. An den Strukturen einer Weltökonomie, mit der die Dritte Welt vorsätzlich benachteiligt wird, können sie nichts ändern.
Obwohl ein wachsender Teil ihres Kapitals aus den Mini-Einlagen von Millionen Kleinsparern stammt, sind die Mikro-Banken auch auf Kapital aus der Ersten Welt angewiesen. Das nötige Geld stammt zu einem Teil aus Spenden, die von internationalen Hilfsorganisationen wie Opportunity International verwaltet werden, es stammt ebenso von der Weltbanktochter IFC, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Deutschland - es stammt nicht zuletzt von Privatanlegern, die in spezielle Depots wie den Responsability Global Microfinance Funds einzahlen. Die Refinanzierung erfolgt in Dollar beziehungsweise Euro, denn in diesen Währungen werden auch die Mikro-Kredite vergeben. Das Inflations- und Währungsrisiko liegt also weiter auf den Schultern der Armen.
Mohammad Yunus´ Buch Grameen - eine Bank für die Armen ist 1999 auf Deutsch erschienen.
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