Simpeltax - vom Charme der Einfachheit

Paul Kirchhofs Rosskur Dem Steuerstaat den Sozialstaat austreiben

Steuerrevolution hieß vor 150 Jahren progressive Einkommensteuer. Als Kriegssteuer auf Zeit eingeführt, galt sie liberalen Ökonomen als sanfte Form des Raubes - ja, als Ausbund der Willkür gegen die Eigentümer. In ihrer heutigen Form ist sie vor allem ein Kind der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung. Steuerrevolten, Rebellionen gegen die unerträglich hohen Einkommensteuern standen am Anfang der Krise des Sozialstaats in den siebziger Jahren. Radikale Steuerreform heißt heute Abschied von der progressiven Lohn- und Einkommensteuer, wie wir sie kannten.

Am Vorabend der Reaganschen "Steuerrevolution" stellten zwei amerikanische Ökonomen, Robert Hall und Alvin Rabushka, im Wall Street Journal das Konzept einer radikalen Steuerreform vor. Flat tax (Flachsteuer) hieß das neue Rezept. Ein einziger, einheitlicher Steuersatz für alle Steuerzahler, keine Ausnahmen, keine Steuer-Schlupflöcher mehr. Radikale Steuervereinfachung und Steuersenkung für alle - wer konnte dem Charme dieser Radikalität widerstehen?

Die Idee der flat tax ist mit Erfolg von einer Reihe neoliberaler think tanks propagiert worden. In Osteuropa hat sie Karriere gemacht: Estland war 1994 das erste Land, das seine Einkommen- und Körperschaftssteuer durch eine flat tax mit uniformem Steuersatz von 26 Prozent ersetzte. Russland ging 2001 am weitesten mit einer flat tax von 13 Prozent und entfachte einen wütenden Steuerwettbewerb in Osteuropa. Die Slowakei hat 2004 als achtes Land in Osteuropa eine "flache", kombinierte Einkommen- und Körperschaftssteuer mit einem Einheitssteuersatz von 19 Prozent eingeführt. Auf diese Weise hoffen die beteiligten Regierungen, ausländisches Kapital ins Land zu locken. Eine verzweifelte Notlösung, wenn man außer billigen Arbeitskräften und niedrigen Steuern wenig zu bieten hat. Das reiche EU-Europa, das mehr als die Hälfte der Steuerparadiese dieser Welt beherbergt, empörte sich über die rivalisierenden Steuerparadiese im Osten.

Die nächste Runde im innereuropäischen Steuerwettbewerb scheint eröffnet. Nun wird die flat tax hierzulande hoffähig gemacht. Paul Kirchhof ist zwar nicht der erste, der auf den Charme der radikalen Vereinfachung setzt. Aber er verleiht der Idee einer radikalen Steuerreform die Aura von Autorität, die ihr bislang fehlte. Mit der Symbolfigur Kirchhof im Rücken scheint auch in der Bundesrepublik denkbar, was bisher nur in bitterarmen Entwicklungsländern möglich war.

Steuervereinfachung ist das erklärte Hauptmotiv, das auch bei der Linken auf Sympathie rechnen kann. Die reinen Erhebungskosten werden in den meisten Ländern auf zwischen 10 und 20 Prozent des Aufkommens der Einkommen- und Körperschaftssteuer geschätzt. Wenn sich die vorhersehbaren Steuerausfälle vermeiden ließen, die sich aus der Senkung des Steuersatzes auf das Einheitsniveau von 25 Prozent bei Kirchhof ergeben, warum nicht? Je radikaler man den vielfältigen Subventionen und Privilegien zu Leibe gehe, desto geringer die Steuerausfälle; schaffe man sämtliche Steuersubventionen mit einem Schlag ab, könnte trotz niedrigem Einheitssteuersatz das Steueraufkommen sogar steigen. Kirchhof will mit einer Radikalkur siegen, wo Eichel gescheitert ist.

Wozu aber das Ganze? Nur um des schönen Ideals der Einfachheit willen? Das Übel Progression - beteuert Kirchhof - werde keineswegs völlig verschwinden, die "indirekte Progression", die durch Freibeträge und/oder -grenzen im Tarif entsteht, werde bleiben. Allerdings erheblich abgeflacht: die Progression des Durchschnittssteuersatzes wird immer flacher, je höher das besteuerte Einkommen ist; sie fällt weit unter die nominale und effektive Progression im heutigen Tarif. Für die Körperschaftssteuer spielte sie ohnehin keine Rolle. Da bleibt es bei der radikalen Senkung des Steuersatzes.

Für die Verteilungswirkungen der Reform interessieren sich die Freunde radikaler Vereinfachungen nicht, da sie in dem merkwürdigen Glauben befangen sind, die heutige progressive Lohn- und Einkommensteuer bewirke so etwas wie Umverteilung von oben nach unten. Kirchhofs Rosskur wird allerdings zu einer Verschiebung der Steuerlasten führen, die ganz auf der Linie der bisherigen Steuervereinfachungen liegt: Wo immer in den letzten 20 Jahren die Einkommensteuern durch Einführung eines Zwei- oder Dreistufentarifs vereinfacht wurden, waren es die Bezieher mittlerer Einkommen, die dafür die Zeche zahlten. Entlastet wird oben (massiv) und unten (leicht) - die Masse der Normalverdiener wird sich wundern.

Dass die nominalen Steuersätze in Deutschland viel zu hoch seien, ist ein von interessierter Seite verkündeter Aberglaube (de facto liegen sie im unteren Mittelfeld vergleichbarer Industrieländer). Kirchhofs Pläne können nur Investoren begeistern, die nicht zwischen realer und nominaler Steuerbelastung unterscheiden können. Das soll es geben.

Der Clou der Vereinfachung liegt woanders: Bei der Abschaffung der zahlreichen Schlupflöcher oder Steuersubventionen. Die sollen verschwinden, ein für allemal und möglichst alle. So wird es auch von den Befürwortern der flat tax weltweit gepredigt. Derart radikal vereinfacht, sollen die Steuern wieder einzig und allein dazu dienen, dem Staat die Einnahmen zu verschaffen, die er nun einmal braucht. Dass Steuern aber zum Steuern und Regulieren da sind und gebraucht werden, das soll ein für allemal aufhören. Die Freunde radikal vereinfachter Verhältnisse wollen einen Staat, der sich weder um die Gerechtigkeit der Besteuerung schert, noch Wirtschafts- oder Sozialpolitik mittels Steuern betreibt. Sie wollen dem Steuerstaat den Sozialstaat austreiben. Die konfuse Steuerpolitik von Rot-Grün, getrieben vom Aberglauben an die wundertätige Kraft von Steuergeschenken an Unternehmer und Vermögensbesitzer, hat es ihnen leicht gemacht.

Michael R. Krätke ist Professor für Politische Ökonomie an der Universität Amsterdam.


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