Seit dem Rücktritt Oskar Lafontaines hat die rot-grüne Regierung für eine Serie von Steuerreformen gesorgt, die allesamt zur Senkung der nominalen und effektiven Steuerlast geführt haben. Allerdings nicht für alle, und schon gar nicht für die sozialdemokratische Klientel der "kleinen Leute". Die sollten mit reichlich neuen Arbeitsplätzen entschädigt werden, die von den Unternehmern schon aus Dankbarkeit für all die schönen Steuergeschenke umgehend geschaffen würden. Sie dachten nicht daran. Selbst Schröder wurde es im Frühsommer 2005 - die vorgezogene Bundestagswahl im Blick - zu bunt, und er begann, seinen Unmut über die undankbaren Profiteure seiner wohl gemeinten Steuerpolitik öffentlich zu artikulieren. Was seinen Wirtschaftsminister Clement nicht hinderte, unverdrossen nach weiteren Steuersenkungen für deutsche Unternehmen zu rufen. Hans Eichel, der wusste, wozu er von den Weltökonomen seiner Partei getrieben wurde, rechnete vor, welche gigantische Kluft sich zwischen den nominell (noch) hohen Steuersätzen und der realen durchschnittlichen Steuerlast der in Deutschland tätigen Firmen aufgetan hatte: Nominal rund 38 Prozent Körperschaftssteuer, real aber aufgrund vielfältiger legaler Steuerminderungen unter 14 Prozent. Im Wahlkampf wurde das sofort vergessen, außer der Linkspartei schworen alle auf weitere Steuersenkungen.
Nun scheint Kurt Beck als designierter SPD-Chef eine steuer- und finanzpolitische Kehrtwende ankündigen zu wollen: Höhere Steuern seien unvermeidlich, wolle das Land die notwendigen öffentlichen Zukunftsinvestitionen bezahlen.
Die bedingten Reflexe des Politiktheaters funktionieren wie eh und je: Höhere Steuern sind des Teufels und ökonomischer Wahnwitz, tönt es von fast allen Seiten. Doch Beck hat Recht: Die Bundesrepublik Deutschland ist alles andere als ein Hochsteuerland, sie hat sich in den vergangenen Jahren radikal gewandelt, ohne dass die fortgesetzte Steuersenkungspolitik irgendeinen nachweisbaren Wachstums- oder gar Beschäftigungseffekt gehabt hätte. Auch zuvor schon war die Bundesrepublik - trotz Vereinigungskosten - kein Hochsteuerland. Dank der rot-grünen Steuerpolitik ist sie nun ein Steuerparadies für (Groß-)Unternehmen und Vermögensbesitzer, das den notorischen Steuerparadiesen wie Irland oder Litauen kaum nachsteht.
Wenn sie die vorhandenen (legalen) Steuersparvarianten nutzen, zahlen Konzerne in Deutschland inzwischen kaum noch Steuern. Die effektive Steuerbelastung für Unternehmensgewinne ist inzwischen auch in Irland, Litauen und Lettland höher als in Deutschland, wo die effektive Gesamtbelastung der Kapitalgesellschaften mit Körperschafts- und Gewerbesteuer knapp elf Prozent beträgt. Auch die Personengesellschaften sind zuletzt massiv entlastet worden - um mehr als 17 Milliarden Euro an "geschenkten" Steuern. Während die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer ständig sanken, durfte der Fiskus Hunderte von Millionen Euro an Körperschaftssteuer erstatten, so dass deren Anteil am Gesamtsteueraufkommen weiter schrumpfte - auf knapp über zwei Prozent!
Wo immer man seit 20 Jahren der vermeintlichen Logik des "Sparens", Kürzens und Steuersenkens gefolgt ist, blieb ein schwer beschädigter öffentlicher Sektor zurück. Die immensen Folgekosten eines institutionalisierten Sparzwangs sind mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Es wird Jahrzehnte brauchen, bis die Schäden beseitigt und überwunden sind, die der blinde Dogmatismus der herrschenden Ideologie Europas Volkswirtschaften zugefügt hat. Denn in den sieben Jahren der rot-grünen Bundesregierung sank der Anteil der öffentlichen Investitionen an den staatlichen Gesamtausgaben ständig - und zwar auf allen Ebenen. Dies kann auf die Dauer nur zu verheerenden Schäden führen, wie jedermann weiß, der schon einmal die Reparatur eines undichten Dachs auf die lange Bank geschoben hat.
In der SPD wird jetzt plötzlich dank Beck auch über eine Steuerfinanzierung des lädierten deutschen Sozialstaats nachgedacht. Steuer- statt Beitragsfinanzierung bedeutet unweigerlich höhere Steuern und eine deutlich höhere gesamtwirtschaftliche Steuerquote. Dänemark, eines der gepriesenen skandinavischen Vorbilder, finanziert seit jeher seinen Sozialstaat überwiegend aus (Einkommen)steuern und nur am Rande mit Sozialversicherungsbeiträgen. Es ist damit - trotz höherer Steuerquote - nicht schlecht gefahren.
Kurt Beck hat einen einfachen und richtigen Gedanken ausgesprochen, der in Deutschland einer Revolution gleichkommt. Er hat zu verstehen gegeben, es handelt sich bei den öffentlichen Ausgaben für Bildung und Erziehung, für Ausbildung, für Gesundheit, ja sogar für die Familienförderung nicht um Luxus, nicht um Konsum, sondern um notwendige "Investitionen". Nach der geltenden Konvention - in der amtlichen Statistik wie in der Haushaltssystematik - sind sie das nicht, sondern gelten als "Konsum". Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund - es sei denn das Dogma: Nur was einigen Privatleuten Gewinn bringt, darf als Investition gelten.
Nehmen wir einmal an, Beck und andere begreifen und meinen, was sie sagen. Nehmen wir weiter an, sie hätten den Mut, sich mit den Dogmatikern und Ideologen anzulegen, die die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik seit Jahr und Tag beherrschen - Beck Co. trauten sich also, die Welt wieder mit nüchternen Augen zu sehen. Dann wäre es durchaus denkbar, dass sie sich einer alten finanzpolitischen Weisheit erinnern: Wer sich den Luxus leistet, die wirklich Reichen und Vermögenden nicht oder kaum zu besteuern, der muss sich leider bequemen, das nötige Geld von eben diesen Geldvermögensbesitzern gegen erhebliche Zinsen zu leihen und den Staat zum notorischen Schuldner zu degradieren.
Der Autor ist Politökonom, Professor an der Universität Amsterdam und Mitherausgeber der spw.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.