Alexis Tsipras und Jean-Claude Juncker demonstrieren, wie gestört das Verhältnis ist
Foto: Thierry Charlier/AFP/Getty Images
Hoffnungslos überschuldet und von den Finanzmärkten abgeschnitten, kann Griechenland seine Verpflichtungen schon in zwei Wochen nur noch begleichen, werden die seit Mitte 2014 blockierten Kredite des (verlängerten) zweiten Hilfsprogramms ausgezahlt. Das ist der Haken, an dem alles hängt. Ohne Konsens über ein neues Reformpaket bleiben die Gelder blockiert. Das Land gerät in den Sog von Grexit und Pleite.
In ihren ersten hundert Tagen hat die Syriza-Regierung alle anstehenden Zahlungen geleistet. Ohne ein Agreement mit den institutionellen Gläubigern vom Währungsfonds (IWF) bis zur Europäischen Zentralbank (EZB) wäre das umsonst gewesen. Es schien zuletzt Annäherungen zu geben, weil Athen zentrale Anliegen wie einen Schuldenschnitt oder
nitt oder ein -moratorium aufgab und etliche detaillierte Vorschläge unterbreitet hat, die mehrfach schroff abgelehnt wurden. Die Institutionen beharren auf der bisherigen Austeritätspolitik ohne Wenn und Aber, als wäre dieses Dogma am 25. Januar nicht klar abgewählt worden. Sie begreifen nicht, dass es dafür in Griechenland keinen Partner mehr gibt, und müssen nun zur Kenntnis nehmen, dass die ohnehin geschwächte griechische Ökonomie erneut einer Rezession verfällt.Nur 100 SteuerprüferFolglich kann das Ziel eines primären Haushaltsüberschusses (ein Plus ohne Zinsen und Tilgungen) von drei Prozent in diesem Jahr und 4,5 im nächsten nicht erreicht werden. Es ist daher erfreulich, dass zumindest inoffiziell andere Vorgaben erwogen werden – nur ein Prozent Primärüberschuss 2015 und zwei oder drei dann 2016. Schon diese halbherzige Konzession ist ein Sieg für die Tsipras-Regierung, aber völlig unzureichend, um die Dauerkrise einzudämmen. Auch ein solcher Primärüberschuss bleibt illusorisch, solange die Institutionen weiter auf einem knallharten Sparkurs bestehen. Ökonomische Vernunft legt nahe, im Moment nicht mehr als einen symbolisch ausgeglichenen Primärhaushalt zu verlangen und eine Übereinkunft anzubieten, die Athen Spielraum für Strukturreformen bietet. Das ginge leicht, würden sich die „Institutionen“ darauf besinnen, was ihre Mission ist: Nicht Schulden einzutreiben, sondern eine mittlerweile fünf Jahre andauernde Euro-Krise zu beenden.Griechenlands Arbeitsmarkt kann nicht stärker dereguliert werden als seit 2010 geschehen. Weitere Massenentlassungen zu verlangen bei einer Arbeitslosenquote von 28 Prozent und einer Erwerbslosigkeit der unter 25-Jährigen von 60 Prozent, ist nicht nur zynisch, sondern abgrundtief dumm. Das Land braucht stattdessen eine drastische Steuerreform an Haupt und Gliedern. Wie soll das funktionieren unter Zeitdruck und einem Sparzwang, wie ihn die Institutionen unbedingt durchdrücken wollen?Die griechische Steuerverwaltung ist unterbesetzt, technisch völlig unzulänglich ausgerüstet und mit geradezu irrwitzigen Steuergesetzen überfordert. Finanzminister Yanis Varoufakis verfügt im ganzen Land noch über gut 100 Steuerprüfer, nachdem dank brutaler Lohnkürzungen die besten Leuten verloren gingen. Um Steuerbetrüger im In- und Ausland zu packen, fehlen der Syriza-Regierung schlicht Personal, Zeit und Geld. Steuerstrafverfahren dauern beim Zustand der griechischen Justiz unter Umständen Jahre. Derzeit trifft deshalb jede Steuererhöhung nur die verarmten Normalbürger. Eine Massenabgabe wie die Mehrwertsteuer anzuheben, wie das Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem verlangt, ist ein ökonomischer Aberwitz in einer Gesellschaft, in der die Einkommen seit 2010 im Schnitt um 35 bis 40 Prozent gesunken sind. Stattdessen sollten alle Kapazitäten gebündelt werden, um eine funktionierende progressive Einkommens- und Vermögensbesteuerung einzuführen und durchzusetzen. Das wird dauern und einiges kosten, doch sollte die Regierung deshalb darauf verzichten?Um auf eine andere Auflage der Gläubiger zu kommen, gekürzte Pensionen und gekappte Frühverrentungen: Wer die Rentenkassen aus dem Defizit holen will, braucht Reformen, aber keinen weiteren Aderlass. Die griechischen Renten sind um 20 bis 48 Prozent verringert worden, mit desaströsen Folgen. Es würde reichen, die zahlreichen Sonderregelungen zum offiziell geltenden Renteneintrittsalter einzuschränken, um künftige Defizite zu vermeiden.Bewirken kann so etwas nur eine linke Regierung, die das Vertrauen einer Mehrheit der Griechen noch nicht verspielt hat. Doch kann sie nur in diesem Sinne handeln, wird sie durch die Eurogruppe nicht daran gehindert, zugleich die Mindestrenten anzuheben. Es gehört zu einer guten Verhandlungsstrategie, dem Gegenüber Erfolge zu gönnen. Leider sind Dijsselbloem und andere als Prinzipienreiter eklatante Fehlbesetzungen und schaden den Interessen der Gläubiger wie der Schuldner.Die ganz einfache LösungDabei sind Griechenlands Gläubiger inzwischen andere als 2010. Man muss in einem ökonomisch so unaufgeklärten Land wie Deutschland gelegentlich daran erinnern, dass alle bisherigen Milliardenkredite nicht an Athen gingen, sondern nur dazu dienten, privaten Banken und sonstigen Anlegern die griechischen Anleihen abzukaufen. Die neuen Gläubiger, voran die EU und die EZB, können anders denken als Privatinvestoren, die mit Anleihen Geld verdienen wollen. Sie brechen nicht zusammen, wenn sie Anlagen abschreiben müssen. Warum sollten sie es auf einen Grexit ankommen lassen, der die Finanzmärkte erschüttert? Noch immer geistern dort milliardenschwere CDS (Kreditausfallversicherungen) für griechische Staatspapiere herum, die dann fällig wären. Die EZB und die Eurogruppe könnten, wenn sie wollten, eine ganz einfache Lösung des reinen Schuldenproblems bewirken: Sie lösen beim IWF, weil der nach seinen Statuten verpflichtet ist, Schulden einzutreiben, die Griechen-Kredite ab und legen ansonsten die Gesamtschulden auf Eis. Erste Schritte in diese Richtung hat die EZB mit ihrem Anleihen-Aufkauf für einige Euro-Staaten längst gewagt.Wieder einmal sind die deutschen Sozialdemokraten dabei, eine einmalige politische Chance zu verspielen, denn in diesem Augenblick könnten sie in der Koalition Format zeigen. Angela Merkel hat die endlose Krise Griechenlands wesentlich mitverschuldet – erst durch Hinauszögern und Taktieren, später durch das sture Beharren auf einer kontraproduktiven Sparpolitik. Als Koalitionär kann die SPD die Kanzlerin zum Einlenken bringen. Dazu braucht es Mut und Verstand. Noch ist Europa nicht verloren.Placeholder link-1
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