Als Umweltministerin unter Helmut Kohl hat Angela Merkel ihr politisches Handwerk gelernt - und bis heute nichts vergessen. Ankündigen, jeder ernsthaften Kraftprobe mit einer großmächtigen Industrielobby ausweichen, auf feierliche "Selbstverpflichtung" schwören, das tut sie noch heute. Vom ehrgeizigen Ziel, bis 2020 die Emission von Treibhausgasen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist man in Meseberg abgerückt: Mit viel Wohlwollen, viel Wenn und Aber, könnten vielleicht 35 Prozent erreicht werden, 2020 - oder auch viel später. Aber die Zeit drängt, das Zeitfenster für einen wirksamen Klimaschutz verengt sich rasant. Wenn wir den Klimawandel noch stoppen wollen, müssen bis 2050 die Treibhausgase um 80 Prozent reduziert werden.
Im klassischen Streit Ökonomie gegen Ökologie, der vor der Klausurtagung tobte, hatte Umweltminister Gabriel die besseren Argumente, konnte sich aber nicht durchsetzen. Ohne das nötige Geld, das ihm der Finanzminister verweigert, nützen die besten Ein- und Absichten wenig. Umweltverbände wie Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe kritisieren das Eckpunkte-Papier scharf, das die Bundesregierung nun beschlossen hat. Viel heiße Luft, viele Bekenntnisse, kaum klare Vorgaben. Die Lobbyisten der Energiewirtschaft, der Autoindustrie und Immobilienwirtschaft beklagen sich zu Unrecht, denn mit seinem jetzt beschlossenen Klimaschutzprogramm ist das Kabinett gegenüber den Ankündigungen vom April überall zurückgewichen. Schwarz-Rot scheut den unvermeidlichen Konflikt mit den Großmächtigen der deutschen Wirtschaft.
Im April war Gabriel noch auf Klartext bedacht und benannte für jeden Sektor konkrete Zielvorgaben. Davon ist keine Rede mehr. Es bleibt völlig offen, wie viel Kohlendioxid-Emissionen mit einzelnen Maßnahmen des 30-Punkte-Katalogs von Meseberg verhindert werden sollen. Was möglich schien, ist durch Konzessionen an die strukturkonservativen Bedenkenträger der Privatwirtschaft verwässert worden.
Für die Energiewirtschaft etwa - sie verursacht fast die Hälfte der Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland vorrangig durch die Verstromung von Braun- und Steinkohle - bleibt der Handel mit Emissions- oder Verschmutzungsrechten das wichtigste Instrument. Bisher wurden diese Emissionsrechte von der Regierung kostenlos zugeteilt, zum Schaden der Stromkunden und zum Vorteil der Betreiber von Kohlekraftwerken. Daher wollte die Regierung ab 2012 den Emissionshandel vollständig auf die Versteigerung der Zertifikate umstellen. Erst dann könnte der Emissionshandel wirken wie erhofft, indem die Stromerzeuger, die mehr CO2 in die Atmosphäre blasen, auch deutlich mehr bezahlen müssten als andere, hieß es. Davon ist außer starken Worten nichts übrig geblieben, sehr zur Freude der Kohlen- und Kraftwerkslobby. Die darf sich noch einmal freuen, da die Pläne zur Förderung der in der Tat effizienten Kraft-Wärme-Koppelung auf Betreiben des Wirtschaftsministers deutlich abgeschwächt wurden. Die Regierung Merkel hat einfach nicht den Mut, den Neubau von 26 Kohlekraftwerken bis 2012 zu stoppen.
Sie wagt es noch weniger, die Autoindustrie in die Pflicht zu nehmen - etwa durch Mindeststandards für Kraftstoffverbrauch und Schadstoffemissionen. Dabei trägt der Verkehr in Deutschland mit gut 20 Prozent zu den Emissionen bei. Ab 2009 soll vielleicht die Kfz-Steuer nicht mehr nach Hubraum, sondern nach Schadstoffausstoß berechnet werden. Freilich nur bei Neuwagen. Wenn jedes Gramm Kohlendioxid gleich hoch besteuert wird, wie angekündigt, ist für stark motorisierte Fahrzeuge sogar weniger Kfz-Steuer fällig als bisher. Ein Tempolimit, für das es heute in Deutschland eine robuste Mehrheit gibt, wird nicht einmal erwähnt - da ist der ADAC vor. Zwar soll die LKW-Maut auf Bundesstraßen ausgedehnt werden, aber das Instrument wird nicht genutzt, um die übelsten Dreckschleudern zu verbannen.
Mit gut 14 Prozent des CO2-Ausstoßes liegen die Privathaushalte in Deutschland an dritter Stelle. Die Raumheizung verursacht die mit Abstand größten Emissionen, besonders die Nachtspeicherheizungen. Auch hier fehlt es der Regierung an Konsequenz, diesen ökonomischen und ökologischen Unsinn zu verbieten, die Nachtspeicher sollen stattdessen "langfristig" ersetzt werden. Die Stromkonzerne, die damit die Auslastung ihrer Kraftwerke bei Nacht sichern, werden sich über die weit geöffneten Hintertürchen freuen. Bei Neubauten soll der Anteil erneuerbarer Heizenergie zwar auf 15 Prozent gesteigert und die Energieersparnis erhöht werden, aber der Altbaubestand wie dessen private Eigentümer bleiben unbehelligt. Eine allgemeine Pflicht zur Wärmedämmung, zur ökologischen Modernisierung des Gebäudebestandes gibt es nach wie vor nicht. Also auch keine Pflicht zum Gebrauch erneuerbarer Energien für alle Haushalte. Das wird die Wohnungswirtschaft freuen, die schon gegen die drohende "Klimabürokratie" zu Felde gezogen ist. Und so geht es weiter im Katalog.
Die Bundesregierung verweist zu Recht auf die EU, doch ist ihr hier das Herz endgültig in die Hosen gefallen: Keine klare Aussage zu den nötigen Maßnahmen gegen den ausufernden Flugverkehr, nichts zur Kerosin-Steuer oder zur Flugticket-Abgabe auf EU-Ebene, obwohl es hier zahlreiche Mitstreiter gäbe. Klimaschutzpolitik nach dem Motto "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" funktioniert nicht.
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