In der Geschichte der Strafjustiz hat man hier und da von Schwerverbrechern und Massenmördern gehört, die zu zwei- oder dreimal lebenslänglich verurteilt worden sind. Noch nie aber davon, dass ein- und derselbe Täter gleich mehrfach zum Tode verurteilt, geschweige denn mehrfach exekutiert worden wäre.
So absurd die Vorstellung einer mehrfachen Exekution bei einem individuellen Täter auch ist, gegenüber einem Regime, das einmal zum "Schurkenstaat" erklärt wurde, kann sie zur perversen Doktrin, zur Zwangsvorstellung einer Supermacht gerinnen, die ihren "war on terrorism" längst für die Durchsetzung ihrer geostrategischen Öl-Interessen und für die weitere Expansion ihres Empires instrumentalisiert hat. Der irakische Diktator kann machen, was er will: Die nächste militärische Exekution gegen Bagdad ist im Weißen Haus und im Pentagon längst beschlossene Sache.
Dabei hat das irakische Volk vor zwölf Jahren bereits ein Inferno erlitten. Am 17. Januar 1991 begann die westliche Allianz, unter Schwertführung der USA, die so genannte "Operation Wüstensturm", um den irakischen Diktator, der im August 1990 das Nachbarland Kuwait überfallen hatte, zum Rückzug zu zwingen. In den ersten drei Kriegswochen wurden mehr Einsätze gegen irakische Städte und Stellungen geflogen als während des Zweiten Weltkrieges gegen die Städte des Dritten Reiches. Während die Weltmacht USA etwa 160 Soldaten im Kampf verlor, davon 73 durch "friendly fire", kostete der Luft- und Bodenkrieg auf irakischer Seite - nach Schätzungen der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg - 100.000 bis 120.000 Soldaten und Zivilisten das Leben.
Noch nie in der Kriegsgeschichte war das Missverhältnis zwischen den Verlusten der einen und der anderen Seite so krass, so dass sich das Wort "Krieg" eigentlich verbietet. Es handelte sich vielmehr um eine militärische Exekution.
In der besten Fernsehinszenierung aller Zeiten suchten die US-Militärs mit schnieken Computerbildchen die Mär vom "sauberen Krieg" ohne Blut und Verstümmelung zu verbreiten. Die Bomber, so hieß es, flögen nur "chirurgisch präzise Angriffe" gegen militärische Einrichtungen, von "Kollateralschäden" abgesehen. Die Nachrichtenmeldungen rückten die so genannten "smart bombs", genau operierende Bomben, ins Blickfeld. Diese aber machten nur sieben Prozent aller abgeworfenen Bomben aus. Die meisten Angriffe flogen B-52-Bomber, die freifallende, nicht gelenkte Bomben abwarfen.
In Wirklichkeit gehörten zu den "Kollateralschäden" nicht nur Zehntausende von irakischen Zivilisten, sondern auch die Zerstörung der irakischen Wirtschaft und Infrastruktur, wie der ehemalige amerikanische Justizminister Ramsey Clark, der mit einem Kamerateam während des Golfkrieges im Irak unterwegs war, in seiner Dokumentation Operation Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf enthüllte. Das grauenvolle Szenario von 1991 dürfte sich demnächst wiederholen, wenn Präsident Bush den Angriffsbefehl gibt - ebenso die humanitäre Katastrophe für die irakische Zivilbevölkerung.
Bereits in den ersten Kriegstagen zerstörten die US-Luftangriffe die elf wichtigsten Stromkraftwerke sowie 119 kleinere Kraftwerke. 90 Prozent der irakischen Stromversorgung fielen aus. Raketen schlugen in 31 städtische Trinkwasseraufbereitungs- und Kläranlagen ein. Die Abwässer ergossen sich in den Tigris, überschwemmten die Straßen der Hauptstadt und trugen so zur Verbreitung von Seuchen bei. An dem verseuchten Wasser starben bereits im ersten Jahr nach Kriegsende Zehntausende von irakischen Kindern.
Systematischen Angriffen war auch die irakische Landwirtschaft ausgesetzt. Das einzige Traktorenwerk und die größte Düngemittelfabrik des Landes, selbst eine Fabrik für Babymilchpulver wurden zerstört. Ebenso alle Wasserwirtschaftssysteme, darunter Talsperren, Staustufen, Pumpstationen und Entwässerungsanlagen. Die Bauern konnten ihr Land nicht mehr be- oder entwässern, in der Folge sank die Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent. Auch die Viehbestände wurden durch das Dauerbombardement dezimiert: Von zehn Millionen Schafen blieben 3,5 Millionen übrig. Zu den "Kollateralschäden" zählten ferner 28 zivile Krankenhäuser, 52 Gesundheitszentralen und 676 Unterrichtsstätten.
Dabei hatten die großflächige Bombardierung irakischer Städte wie Bagdad und Basra und die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur weder etwas mit der Vertreibung irakischer Soldaten aus Kuwait noch mit der "Entwaffnung" Saddams zu tun. Die UN-Resolution 678 hatte den USA keine Lizenz erteilt, den Irak, der - ungeachtet des vorangegangen Iran-Irak-Krieges - zu den ökonomisch entwickeltsten Ländern der arabischen Welt gehörte, in die Steinzeit zurückzubomben.
Warum aber wurde das in der UNO-Charta festgeschriebene Prinzip der "Verhältnismäßigkeit der Mittel" vom ersten Kriegstage an über den Haufen geworfen? Ramsey Clarks Antwort ist eindeutig: "Das Pentagon beabsichtigte, mit den Bombardierungen die Wirtschaft des Irak lahm zulegen und das Land von ausländischer Hilfe dauerhaft abhängig zu machen. Dies war keineswegs Nebensache, wie der Begriff "kollateral" nahe legt, es war ein zentrales strategisches Ziel ... Durch die Zerstörung lebenswichtiger Einrichtungen - und auch dies war beabsichtigt! - starben nach dem Krieg mehr Menschen als während des Krieges. Die Sanktionen verschlimmerten das Elend."
Nach seiner Rückkehr aus dem Irak gründete Clark ein Internationales Komitee zur Untersuchung von Kriegsverbrechen, das von den Westmedien vornehm ignoriert wurde. 22 Mitglieder aus 18 Staaten, unter ihnen hochrangige Juristen, Anwälte und Völkerrechtler, sprachen die Vereinigten Staaten in 19 Punkten schuldig, gegen Internationales Recht verstoßen zu haben: unter anderem wegen des Einsatzes von verbotenen Massenvernichtungsmitteln und von uranhaltigen Geschossen sowie der Führung eines Umweltkrieges. So ist inzwischen erwiesen, dass zirca die Hälfte der insgesamt 960 Ölbrände, die allesamt Saddam Hussein aufs Schuldkonto geschrieben wurden, dadurch entstanden sind, dass die US-Luftwaffe und französische Bomber Ölraffinerien, Ölplattformen, Pipelines, Öltanker und selbst Tankstellen bombardiert hatten.
Auf ihrer Suche nach mobilen Abschussrampen für irakische Scud-Raketen setzten die US-Militärs international geächtete Streu- und Splitterbomben ein, die in der Mehrzahl der Fälle zivile Fahrzeuge - Taxis, Busse, Lastwagen, PKW - zum Ziel hatten. Zahllose der bei der Flucht aus Kuwait auf dem "Highway des Todes" Massakrierten waren ausländische Arbeiter aus dem Sudan, Ägypten und anderen Ländern. Das Bombeninferno löste einen Strom von drei Millionen Flüchtlingen aus.
"Unsere politische Führung hat im Golfkrieg Kriegsverbrechen begangen, die ohne Zweifel mit den Kriegsverbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg vergleichbar sind" - konstatierte damals der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut.
Dass die Amerikaner endlich einen Krieg gewinnen mussten, um ihr "Vietnam-Trauma" zu überwinden, war offensichtlich. Die Jubelstimmung der Amerikaner, die im Frühjahr 1991 ihren "siegreichen" Präsidenten und General Schwarzkopf hochleben ließen, weil er ihnen ein "Vietnam mit gutem Ende" beschert und kaum teures amerikanisches Blut für billiges Öl vergossen hatte, bewies: Man "überwindet" das eigene Trauma am besten, indem man es anderen Menschen und Völkern zufügt.
Selten wurden vor und während eines Krieges so viele schmutzige Lügen verbreitet wie in diesem. So hat das US- Verteidigungsministerium seine eigenen Soldaten, die infolge der Berührung mit irakischen Kampf- und Giftgasen lebensgefährlich erkrankten, systematisch belogen. Sie erhielten Befehl, über ihre Symptome zu schweigen, ihre Krankenakten verschwanden auf mysteriöse Weise.
Auch alle Informationen über das so genannte "Golfkriegssyndrom" wurden von den zuständigen US-Stellen jahrelang zurückgehalten. Inzwischen ist jedoch erwiesen, dass der Einsatz von mit Uran 238 angereicherten und gehärteten Geschossen, die die US-Army und Airforce gegen die irakischen Panzerarmeen einsetzten, die Hauptursache des "Golfkriegssyndroms" ist, an dem 70.000 registrierte amerikanische und britische Soldaten leiden. Durch die Explosion der uranhaltigen Geschosse und die Freisetzung radioaktiver Staubpartikel wurden große Teile des Kriegsgebietes, vor allem im Süden des Irak, kontaminiert. Noch heute tickt dort die Wüste. Die über die Nahrung und die Luft aufgenommene radioaktive Strahlung ist auch für den sprunghaften Anstieg von Missbildungen, Leukämie- und Krebserkrankungen der im Kriegsgebiet lebenden irakischen Kinder verantwortlich.
Das nachfolgende zwölfjährige Handelsembargo und Sanktionsregime gegen den Irak war nicht nur politisch kontraproduktiv, denn es hat das despotische Regime Saddam Husseins nur gestärkt und stabilisiert, es hat auch verheerende Folgen für die irakische Zivilbevölkerung gehabt. Nach dem ursprünglichen Willen der UNO sollte das Embargo nur solange gelten, bis sich die Truppen Saddams aus Kuwait zurückgezogen hatten. Doch sind nach der Befreiung Kuwaits alle UN-Resolutionen zur Aufhebung des Embargos durch das Veto der USA und Großbritanniens blockiert worden. Das brutale Sanktionsregime, das es in dieser Form noch nie gab, war nichts anderes als ein zweiter Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung. Laut Unicef ist die Kindersterblichkeit in den Jahren von 1990 bis 1999 um 160 Prozent gestiegen. Dies ist der höchste Anstieg von 188 Ländern, die analysiert wurden. Eine halbe Million Kinder sind in diesem Zeitabschnitt wegen verschmutzten Wassers, fehlender Medikamente und Unterernährung gestorben. Denn das - kürzlich erneut verschärfte - Sanktionsregime mit seiner rigorosen Auslegung des "dial use"-Prinzips erlaubt weder die Einfuhr von Impfstoffen, Antibiotika und Infusionsnadeln noch von anderen notwendigen medizinischen und technischen Geräten.
"Durch die Sanktionen werden bewusst Lebensbedingungen geschaffen, die eine Gesellschaft zerstören - ein Verstoß gegen die Genozid-Konvention", erklärte Hans von Sponeck, der (wie schon sein Vorgänger, der Ire Dani Halliday), im Februar 2000 von seinem Posten als Leiter des Programms Öl für Lebensmittel zurücktrat, weil er die Aushungerung und Verelendung der irakischen Zivilbevölkerung nicht länger mittragen wollte.
Im Namen der "Zwangsabrüstung" eines Regimes, das heute so geschwächt ist wie nie zuvor, an dem geschundenen, dezimierten und gänzlich verarmten irakischen Volk jetzt eine erneute Militäraktion vollstrecken zu wollen, dies ist nicht nur ein grenzenloser Zynismus, es wäre auch ein ungeheurer Akt der Barbarei. Nach Informationen des Fernsehsenders CBS sollen zum Auftakt eines Irak-Krieges "an einem Tag" 300 bis 400 Marschflugkörper und insgesamt 8.000 sich selbst lenkende Bomben und Raketen abgefeuert werden - mehr als im gesamten Golfkrieg 1991. Hierbei von "Krieg" zu sprechen, ist purer Euphemismus. "Abschlachtung aus der Luft" und "Massenmord" an einem wehrlosen Volk sind die einzig zutreffenden Vokabeln.
Wie Pentagon-Chef Donald Rumsfeld jüngst den Mitgliedern des Washingtoner Verteidigungsausschusses eröffnete, bereiten sich die USA darauf vor, beim nächsten Waffengang auch "nicht tödliche" Chemiewaffen einzusetzen. Unter dem verniedlichenden Etikett "nonlethal" rangiert auch jenes Gas, das russische Militärs in einem Moskauer Musicaltheater zur Befreiung von Geiseln einsetzten - und das in der Folge über hundert Menschenleben forderte.
Auch den Einsatz kleiner Atombomben, der so genannten "mini-nukes", um unterirdische Bunker, Höhlenverstecke und Waffenfabriken zu zerstören, schließt Rumsfeld nicht aus. Mit anderen Worten: die Bush-Regierung behält sich für den Häuserkampf im Zweistromland den Einsatz von Stoffen aus jener Gattung vor, die Washington als casus belli gilt. Die Administration ist im Begriff, dieselben Verträge zu verletzen, die zu verteidigen sie vorgibt.
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