Roter Staub liegt wie Dunst über der Straße, ab und zu fährt ein Lastwagen durch diesen flirrenden Schleier oder ein Bus hält bei den kleinen Steinhäusern am Rande der Piste. Freitagmorgen auf dem Markt von Nanjiri, einem kleinen Dorf etwa 30 Kilometer von Malawis Hauptstadt Lilongwe entfernt. Zweimal wöchentlich kommen hier mehrere tausend Menschen zusammen. Marktfrauen und Händler vorzugsweise, die ihre Waren anbieten. Um ein weitläufiges Areal postiert stehen einfache Häuser mit kleinen Ladenlokalen im Souterrain, die meisten Händler freilich bieten ihr Sortiment auf wackeligen Holzgestellen oder in kleinen Hütten an. Viele Marktfrauen sitzen auch einfach auf dem Boden, haben Obst und Gemüse vor sich ausgebreitet oder die Tomaten zu kleinen Türmchen aufgestapelt.
Durch die verbleibenden schmalen Gassen drängen die Menschen. Hunderte von verschiedenen Gerüchen strömen auf den Besucher ein: dort wird in einer Garküche gebraten, es riecht nach Zwiebeln, Tee, Gewürzen und Staub. Die Käufer kommen von weit her, bis zu 30 Kilometer weit. In einer Ecke sitzen zwei alte Frauen und bieten allerhand Hilfsmittel für traditionelle Heilungen und Kuren feil: Kräuter, Wurzeln, getrocknete Tierfelle.
Kein Sex vor der Ehe
Die 30-jährige Bessie Nkhwazi - eine stämmige Frau, die Haare nach der neuesten malawischen Mode zu einem Pagenkopf geglättet und mit einem Haarteil ergänzt, trägt ein knöchellanges schwarzes Kleid. Bevor wir jedoch den Markt betreten, wickelt sie sich ein gebleichtes Tuch um die Hüften. "Frauen in Röcken werden eher respektiert", murmelt sie, "gerade hier auf dem Markt ist das so."
Bessie ist nervös. Heute ist Premiere, es soll das erste Mal sein, dass sie mit ihrer Safer-Sex-Show ausgerechnet vor diesem Heer von Marktfrauen auftritt. Aber die gelernte Krankenschwester, die seit ein paar Jahren als Gesundheitsberaterin bei der Family Planning Association of Malawi arbeitet, hat sich einer Mission verschrieben: Aufklärung über Sex und Verhütung, Familienplanung und Aids natürlich.
Deshalb auch gibt es die Theatertruppe vom Youth Life Center, dem Jugendzentrum in einem der ärmsten Quartiere von Lilongwe. Die jungen Frauen und Männer haben seit Wochen verschiedene Lieder und Theaterstücke geprobt, und ein Teil des Repertoires soll nun am Rande dieses Marktes zu sehen sein. Mittlerweile sammelt sich - animiert durch die Trommeln des Ensembles - eine beachtliche Menschenmenge, immer wieder von Helfern zurückgedrängt, die dafür sorgen, dass ein großer Kreis sich öffnet und das Forum für die Szenen hergibt.
Laut kreischend und klagend rast ein junger Mann über den Platz. Das ist das Zeichen: die Aufführung hat begonnen. Es wird ein lautes und deftiges Stück, die Geschichte von einem Vater, der die 15-jährige Tochter an einen weitaus älteren Mann verheiratet, damit sie der Familie nicht länger auf der Tasche liegt, aber der Erwählte entpuppt sich als untreuer Lebemann, der bei jedem Marktbesuch zu den Prostituierten geht und die junge Ehefrau zu allem Überfluss mit Aids infiziert. Als die Tochter stirbt, hebt das jammervolle Wehklagen der Eltern an, was aber bei den Zuschauern nur zu höhnischem Gelächter führt. Denn schließlich - und das ist die Botschaft des Spektakels, auf die Bessie und ihre Schauspieler hoffen - haben ja alle von vornherein gewusst, wohin eine solche Heirat führt.
Szenen dicht am Leben der Zuschauer, mehr Agitprop als Kunst, ein saftiges Bauerntheater, aber die Leute mögen es. Zum Schluss wird ein Lied herbeigetrommelt und skandiert: "Ihr Mädchen, kümmert euch um eure Ausbildung! Heiratet nicht zu früh! Kein Sex vor der Ehe!"
Bis vor kurzem galt in Malawi wie in vielen afrikanischen Ländern: Sex hat man, aber man spricht nicht darüber. "Verhütung und Kondome" blieben für viele Fremdworte. Die gleiche Sprachlosigkeit galt natürlich dem Thema Aids. Ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung Malawis sind nach offiziellen Zahlen aus dem Gesundheitsministerium infiziert. Es gibt Mediziner in Lilongwe, die davon ausgehen, dass es in Wahrheit erheblich mehr sind. Genaue Zahlen freilich kennt keiner, denn noch wird in diesem Land kaum systematisch getestet. Mittlerweile ist die durchschnittliche Lebenserwartung von 45 Jahren (1995) auf gerade einmal 33 (2006) gesunken. Zwangsläufig wird allenthalben über Aids gesprochen, aber Aufklärung ist schwer.
Die Übertragung des HI-Virus geschieht in der Regel über heterosexuelle Kontakte. Frauen sind unter den neu Infizierten in der Mehrheit, viele geben den Virus an ihre Kinder weiter, während der Schwangerschaft und beim Stillen, und immer noch verhindern die traditionellen Mythen eine wirksame Prävention. Und das, obwohl inzwischen jede Familie in Malawi mindestens einen Angehörigen durch die tödliche Immunschwäche verloren hat.
Süßigkeiten nur verpackt
Aber Aids ist und bleibt immer noch bei vielen ein Tabu. Um das zu ändern, ist Bessie Nkhwazi mit ihrer Theatertruppe unterwegs, wirbt sie mit ihrer Aufklärungskampagne auf der Straße, in Schulen und Jugendzentren - tritt sie mit ihren Schauspielern sogar in Bordellen auf. "Nach Kondomen zu fragen, ist ein Menschenrecht!" heißt es auf einem ihrer Plakate. Bessie ist sicher, es wird nur über die Frauen gehen: Starke, selbstbewusste und gut ausgebildete Frauen können ihr Leben selbst bestimmen und etwas verändern.
Abends begleite ich sie bei einem außergewöhnlichen Termin, denn im Kawale Culture Dancing Club, einem der vielen Bordelle in Lilongwes Vorstädten, startet in dieser Nacht Bessies Safer Sex Condom Promotion Show. Man muss dazu wissen, Bordelle sind hier im südlichen Afrika zumeist Veranstaltungen unter freiem Himmel. Ein schlichter Innenhof, von ein paar Gebäude umrahmt und voller Menschen, dazu dröhnende Musik und Bier. Die Männer hängen herum, flirten mit den Frauen, trinken und unterhalten sich. Bevor die Show beginnt, komme ich mit einer der Sexworkerinnen ins Gespräch. Nicht Prostituierte, sondern "Sexworkerinnen" wollen die jungen Frauen in diesem Etablissement genannt werden.
Ich spreche mit Brandinah Khulamba, die 18 Jahre alt ist und seit einem Jahr jeden Abend im Club auf Freier wartet. Nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, wohnte sie zunächst mit ihren Geschwistern bei einem Onkel. "Ich mag ihn nicht", sagt sie und lässt alles weitere offen. Schließlich lief sie gemeinsam mit ihrer heute zwölfjährigen Schwester davon und fand Aufnahme im Club. Für ein paar Kwacha darf sie in einem verlassenen Haus in der Nähe schlafen, die kleine Schwester lebt in einem Internat. Sie könne es nicht anders sagen, das Bordell empfinde sie mittlerweile als ihr Zuhause. Für eine Stadt wie Lilongwe sei dieser Club wirklich etwas Besonderes, es gäbe nur Safer Sex. Selbstverständlich sei das schwer durchzusetzen. "Denn Aids hin, Aids her, die meisten Männern mögen das nicht und sagen. Süßigkeiten schmecken auch nicht in der Verpackung. Und dann mieten sie die Frauen und bieten ihnen mehr Geld für ohne."
Seit Bessie im November 2006 das erste Mal bei den Sexworkerinnen mit ihrer Safer-Sex-Show unterwegs war, hat sich viel geändert. Heute, glaubt sie, arbeite keine der Frauen mehr ohne Kondom. Ihr Gemeinschaftsgefühl und Selbstvertrauen seien enorm gewachsen, und sie hielten zusammen.
Auf der Bühne hat zwischenzeitlich die Show begonnen: nach einem Tanzwettbewerb wird an übergroßen Modellen demonstriert, wie Kondome benutzt werden. Die Männer johlen, die Stimmung steigt. Brandinah tanzt mit einem großen kräftigen Kerl, der bereits ziemlich angetrunken scheint. Immer wieder zerrt sie ihn auf die Tanzfläche, umgarnt ihn, holt ein weiteres Bier und trinkt ihm zu. Wenn sie es schafft, ihn zu einer Nummer zu überreden, und wenn er später nicht zu betrunken ist, kann sie mit 150, vielleicht sogar 200 Kwacha (ein Euro) rechnen. Ein Kuche Kuche, das malawische Bier, kostet 50 Kwacha.
Viel bleibt Brandinah von ihren Einkünften nicht. "Meistens habe ich gegen Ende des Monats gerade einmal tausend Kwacha verdient", erzählt sie. Und - so klar will mir das an diesem Abend von den Frauen keiner sagen - der Besitzer des Clubs kassiert vermutlich auch noch mit.
Vor ein paar Wochen hat Bessie im Club eine Fußballmannschaft gegründet. Dreimal in der Woche trainieren die zwölf Sexarbeiterinnen nun und träumen davon, in die nächste Klasse aufzusteigen. Über Träume und das, was man Zukunft nennen könnte, wird unter ihnen viel geredet. Vielleicht ein kleines "Business" eröffnen oder einen kleinen Laden auf dem Markt betreiben. Auch Brandinah hat ihren Traum: sie möchte irgendwann wieder zur Schule gehen.
Malawi
Staatsform
Präsidialrepublik (Staatschef Bingu wa Mutharika)
Bevölkerung
Nach Volksgruppen gegliedert sind 58,3 Prozent Maravi, 18,4 Prozent Lomwe, 13,2 Prozent Yao; andere Ethnien 10,1 Prozent
Fläche
118.480 Quadratkilometer
BIP/Einwohner
164,5 Dollar (2006)
Einwohner
13,1 Millionen (2006)
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