Israels Generalstabschef Jaalon hat Premier Sharon öffentlich kritisiert und vor einer Katastrophe in den Palästinenser-Gebieten gewarnt, die durch das harte Vorgehen der Armee ausgelöst werde. Der General bezog sich unter anderem auf die extrem beschränkte Bewegungsfreiheit, die sich inzwischen für 130.000 Palästinenser durch den Verlauf des sogenannten "Sicherheitszaunes" ergibt. Während der im Oktober begonnenen Olivenernte können dadurch Tausende von Bauern nur unter ständigen Schikanen ihre Plantagen erreichen.
Es stehen einige Männer hinter dem vier Meter hohen Metallzaun, vor ihnen eine ganze Reihe von Obstkisten, abgedeckt mit Plastikplanen und Tüchern. Im Maschendraht der elektronisch gesicherten Absperrung davor sind Stromkabel sichtbar, und auf dem gelb gestrichenen Eisentor signalisiert eine weiße Hand auf rotem Grund "Halt" - das Tor selbst ist mit einer dicken Eisenkette und einem massivem Schloss verriegelt. Neben der Straße sind Stacheldrahtrollen gespannt, darin ein rotes Schild: "Lebensgefahr! Jeder, der den Zaun passiert oder zerstört, riskiert sein Leben."
Keine leere Drohung, hier weiß jeder: die israelischen Soldaten fackeln nicht lange, sondern schießen sofort, auch an diesem agricultur gate, das Palästinenser aus der Westbank passieren müssen, wollen sie ihre Felder jenseits des Zauns erreichen.
Seit vier Stunden schon warten die Bauern aus Falamiya darauf, dass die Israelis sie wieder in ihr Dorf lassen, aber es tut sich absolut nichts. Sie haben Äpfel geerntet, die sie nun mühsam zurückschleppen. Die Demarkationslinie am Tor darf nur überschritten, nicht überfahren werden - Traktoren und Autos sind verboten, Menschen und Tier erlaubt. Auf der anderen Seite sitzen ebenfalls Wartende auf leeren Kisten. Wann die Soldaten kommen, weiß keiner. Offiziell heißt es zwar, das Tor sei zweimal am Tag passierbar, aber die Realität sieht anders aus. "Sie geben keine Zeit an, man muss einfach warten. Außerdem, selbst wenn es geöffnet wird, kann keiner sicher sein, dass er hindurch darf. Manchmal lassen sie uns ewig warten", erzählen die Bauern, "ein anderes Mal heißt es plötzlich: es darf keiner passieren, der jünger ist als 45. Es kommt auch vor, dass sie uns die Passierscheine einfach abnehmen, alles Willkür." Manchmal müssen sich die Bauern nur für zwei oder drei Stunden um ihre Felder kümmern, aber mit dem Hin- und Rückweg kann das vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang dauern.
Alte Bäume
Seit fast einem Jahr nun schon zieht sich eine bis zu hundert Meter breite Schneise durch das Westjordanland, auf der einen Seite flankiert von einem Graben und einer Staubstraße, auf der anderen von einer zusätzlichen, teils neuen Asphalttrasse für die Patrouillen der Israelis. Etwa 200 Kilometer des geplanten "Sicherheitszaunes", der die Autonomiegebiete von Israel abtrennt, sind inzwischen gebaut, größtenteils verläuft dieses Bollwerk nicht auf der green line - der Grenze des seit 1967 besetzten Westjordanlandes -, es wird damit auch Landnahme betrieben, schiebt sich der Schutzwall doch fast überall nach Osten in palästinensisches Gebiet hinein.
In Jerusalem oder Bethlehem geht der "Zaun" in eine stellenweise bis zu neun Meter hohe Betonmauer über. Die 40.000 Einwohner-Stadt Qalqiliya hält ein solcher Zementwall, der allenthalben "die Berliner Mauer genannt wird, völlig umklammert. Zwischenzeitlich 130.000 Palästinenser werden durch diese "Schutzmaßnahmen" zu einer Existenz in der Enklave gezwungen, sie wohnen im Osten des "Zauns", ihr Farmland aber bestellen sie westlich davon.
Im Fall der Obstbauern von Falamiya trifft das auf 45 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen zu. 1992 wurden für den Ort mit französischem Geld zwei Wasserspeicher angelegt, nun aber hat eine der Leitungen den Bau des Schutzwalls nicht überlebt, so dass für Falamiya ein Teil der Wasserzufuhr - nicht zuletzt für die Bewässerung der Felder und Olivenhaine - unterbrochen ist. Um das zu verhindern, hatten viele Bauern mit den Israelis wieder und wieder verhandelt, um die Anlage des Zauns lediglich 50 Meter weiter nach Westen zu schieben. Doch vergebens, jetzt trocknet das Land langsam aus. Vermutlich ist das beabsichtigt, da nach israelischem Gesetz Agrarland, das drei Jahre lang nicht bebaut wird, an den Staat zurückfällt.
Die 25 Hektar mit den Jahrhunderte alten Olivenbäumen von Rasheed Abu Taher lagen genau dort, wo heute die Landschaft um Falamiya in ein Diesseits und Jenseits zerfällt. Ob er schon einmal überlegt habe, von hier wegzugehen? "Mein Vater ist hier geboren und hier gestorben, auch sein Vater und der Vater seines Vaters - es ist unser Land seit Menschengedenken. Allah sei Dank, dass sie nicht erleben, was jetzt geschieht." Rasheed dreht sich abrupt herum und starrt eine Weile stumm zur Moschee in der Mitte des Dorfes. "Wovon sollen wir jetzt noch leben?" Er habe acht Kinder und seine alte Mutter zu versorgen und jetzt schon kein Geld mehr, eine weiterführende Schule für die beiden ältesten Töchter zu bezahlen.
Kurzer Prozess
Ein gleiches Schicksal teilen die Bauern von Anin. Den etwa 2.500 Bewohnern des Ortes ist es seit neuestem verwehrt, in das nahe gelegene Städtchen Um al Fahim zu kommen - vor einem Jahr noch ihr Markt, ihr Kontakt zur Welt, der Arbeitsplatz für mehr als hundert Männer aus ihrem Ort, die höhere Schule, ihr Ziel bei Verwandtenbesuchen, ihre Gewissheit, im Falle des Falls würde ein Arzt aus dem Gesundheitszentrum von Um al Fahim eintreffen ...
Rabah Jassin, Gemeinderatsvorsitzende von Anin und Sprecher eines der zahlreichen Komitees gegen den Zaun, kann seine Tochter nicht mehr besuchen, die in Um al Fahim verheiratet ist. "Man hat mit uns kurzen Prozesse gemacht", sagt er, "und vom Leben einfach abgeschnitten, das ist alles."
Das kleine Haus in der Ortsmitte von Anin beherbergt im Erdgeschoss nur einen Raum mit einem Tisch, vier Stühlen und einem Kühlschrank, in der Ecke liegt eine Matratze, bespannt mit einer geblümten Decke. Darauf sitzt Janeer Hamdan, eine alte Frau mit weißem Kopftuch, eine Gebetskette fließt durch ihre Hand. 26 Enkelkinder, erzählt sie stolz, und die werden natürlich alle gerufen, ihre große Familie hat Haus und Land eingebüßt, zwölf Hektar, dieses kleine Domizil ist geblieben. Machmud Asa´d, der älteste Sohn von Janeer Hamdan, lebt von der geringen Unterstützung durch die Hilfsorganisationen. Vor dem Bau des Zauns hat er als Maurer in Um al Fahim gearbeitet. Als er einmal die Ausgangssperre übertrat, wurde er von den Israelis verhaftet und ihm dabei ein Bein gebrochen. Seither kann Machmud Asa´d auf kein Baugerüst mehr steigen. Über eine Zukunft weiß er nichts. "Im Augenblick ist wichtig, dass ich die Kindern irgendwie versorgen kann."
Special permit
Etwa 20 Meter vom agricultur gate in der Nähe von Anin steht ein Esel, die Packtaschen zu beiden Seiten des Sattels prall gefüllt, obenauf eine Plastiktüte mit Zwiebeln. Die Soldaten auf der anderen Seite sehen martialisch aus, tragen Maschinenpistolen und Funkgeräte, zwei Militärjeeps stehen daneben. Seit einer halben Stunde versucht Ibraim Shahija Shachir mit seinem Esel passieren zu dürfen. Heute morgen ist er ins Dorf geritten, um Lebensmittel zu kaufen. Nun will er zurück, natürlich hat der Pendler zwischen den Welten eine Genehmigung, aber die Soldaten interessiert das wenig. Nein, teilen sie ihm endlich mit, heute könne er nicht mehr durch, er solle es morgen wieder versuchen. Ibraim blickt die Posten verstört an, winkt mit seiner "special permit", zeigt auf die Satteltaschen, wartet stur und wartet noch einen Augenblick und resigniert schließlich, "Was soll ich machen, ich versuche es morgen wieder", murmelt er und reitet davon.
Yehezkel Lein aus Israel und der Amerikaner Rachel Greenspahn arbeiten für B´Tselem, die Menschenrechtsorganisation Israeli Information Center for Human Rights in the occupied territories, die auch vom deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in Bonn unterstützt wird. Sie durchreisen seit Jahren die besetzten Gebieten. "Schon ohne Sicherheitszaun", meint Yehezkel Lein, "lebten viele Palästinenser wie im Gefängnis." Es beginnt immer mit dem Bau von israelischen Siedlungen, die den Palästinensern wie eine Gräte im Hals stecken. Die Bauern verlieren ihre Felder oder können sie nicht mehr erreichen, denn die Straßen zu neuen Siedler-Camps, die sogenannten by-pass roads, dürfen Palästinenser nicht benutzen. Dadurch werden viele Dörfer von der einzigen Zugangsstraße einfach abgeschnitten. Seit drei Jahren trifft das auch für Harith zu, den Ort neben der umstrittenen Siedlung Ariel. Hinter dem aufgeschütteten Wall aus Erde und Steinen verrosten und verrotten seither etwa 20 Autos, die in Harith für immer ihren letzten Rastplatz gefunden haben. Aus der Gegenrichtung kann ebenfalls kein Transporter oder Krankenwagen mehr die Gemeinde anfahren, denn das Umfeld der israelischen Siedlung ist wie üblich zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden.
So müssen die Bauern, um in ihre Olivenhaine zu gelangen, die eigentlich in Rufweite von Harith liegen, einen Umweg von 20 Kilometern in Kauf nehmen, und das zu Fuß. Selbst wenn sie einen Traktor hätten, sie könnten damit das Dorf nicht verlassen, eine by-pass road dürfte damit nicht befahren werden. Ein System der Apartheid.
Im Oktober hat die Olivenernte begonnen. Die Bauern im Westjordanland fürchten militante Siedler, die schon mehrfach versucht haben, die Ernte zu vernichten und Olivenbäume in Brand zu stecken, und sie haben Angst vor der Willkür der Soldaten. Viele übernachten deshalb in ihren Olivenhainen, auch wenn es nachts schon empfindlich kalt ist.
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