Forscher in Camouflage

Rüstung Einige Hochschulen haben sich dazu verpflichtet, dass ihre Wissenschaft nur friedlichen Zwecken dient. Doch gegen diese Zivilklauseln wird immer wieder verstoßen
Ausgabe 22/2014

Es schien eine harmlose Frage zu sein. Die Linken-Politikerin Nicole Gohlke wollte von der Bundesregierung wissen, welche Forschungsprojekte das Verteidigungsministerium in den letzten Jahren an öffentlichen Hochschulen durchgeführt hat. Eine Antwort darauf bekam sie aber nicht. Eine solche Auflistung sei „schutzwürdig“, da sie „detaillierte Rückschlüsse auf vorliegende Fähigkeitslücken in Bezug auf die Ausrüstung der Bundeswehr“ zuließe, erklärte die Regierung. Dadurch würden „sicherheitsempfindliche Belange“ der deutschen Armee berührt.

Die Informationsverweigerung der Bundesregierung verweist auf ein Grundproblem bei militärischen Projekten an Universitäten: In den allermeisten Fällen ist an den Hochschulen gar nicht öffentlich bekannt, ob dort Forschungsprojekte von Rüstungsindustrie oder Bundeswehr stattfinden. Und wo nichts bekannt ist, wird auch nicht darüber diskutiert.

Dabei fließen große Summen in die Militärforschung an öffentlichen Einrichtungen. Im vergangenen Jahr hat das Verteidigungsministerium knapp fünf Millionen Euro an deutsche Universitäten gezahlt, die Bundeswehrhochschulen nicht mitgerechnet. Derzeit steht die Bundesregierung wegen umfangreicher Rüstungsexporte in Länder mit autoritären Regimen am Pranger. Wenn aber bekannt würde, wo überall Militärforschung finanziert wird, könnte das auch ziemlich unangenehm werden. An einigen Hochschulen ist die Militärforschung nämlich ausdrücklich verboten, die Einrichtungen haben sich sogenannte Zivilklauseln gegeben und sich damit zu rein ziviler Forschung verpflichtet. Trotzdem wird munter weitergetüftelt an der Technik für Panzer, Militärsatelliten und anderes Kriegsgerät.

Aufträge sogar aus den USA

Merkwürdigerweise werden in Niedersachsen offenbar keine „sicherheitsempfindlichen Belange“ der Bundeswehr berührt, wenn Details über die Militärforschung bekannt werden. Die rot-grüne Landesregierung veröffentlichte kürzlich eine Liste, die für großen Wirbel sorgte. Seit dem Jahr 2000 gab es mindestens 148 militärische Forschungsprojekte an 21 Hochschulen. Gesamtvolumen: 25,3 Millionen Euro.

Auftraggeber waren Rüstungsunternehmen, das Bundesverteidigungsministerium, aber auch ausländische Institutionen wie das Pentagon. An der TU Braunschweig wurde etwa im Auftrag des US-Militärs an Gefechtsköpfen für Langstreckenraketen geforscht und an der Universität Osnabrück beschäftigten sich Wissenschaftler mit den Hirnaktivitäten von Soldaten im Kampfeinsatz. An der Universität Göttingen ließ das deutsche Verteidigungsministerium die Zersetzung chemischer Kampfstoffe erforschen. Die Liste ist jedoch wahrscheinlich unvollständig. Sowohl das niedersächsische Wissenschaftsministerium als auch die Universitäten gaben an, keine eindeutigen Aussagen treffen zu können, was alles für wen wo im Land erforscht wird.

Die Friedensbewegung setzt derzeit große Hoffnungen in sogenannte Zivilklauseln, die Militärforschung verhindern sollen. Dabei wird oft dagegen verstoßen, nachweislich an mindestens 7 der 18 Hochschulen, die im Moment eine solche Klausel haben.

Wie kann das sein? Fast nirgendwo gibt es ein Kontrollgremium, das die Einhaltung der Selbstverpflichtung prüfen würde. Die Technische Universität Darmstadt stellt hier eine rühmliche Ausnahme dar, seit rund eineinhalb Jahren gibt es dort die bisher in Deutschland strengste Zivilklausel.

Bewusst unverbindlich

Aber selbst mit Kontrollgremium würden Militärkooperationen an vielen Hochschulen möglich bleiben, weil die Klauseln oft unverbindlich und bewusst schwammig formuliert sind. So können die Hochschulen weiter Militärforschung betreiben und Forschungsgelder abgreifen – und gleichzeitig vom Image der friedlichen Universität profitieren. In den Klauseln heißt es häufig, dass Forschung, Lehre und Studium „ausschließlich friedlichen Zielen“ dienen sollen. Diese Formulierung lässt jedoch auch Projekte der Bundeswehr zu – in Zeiten internationaler „Friedenseinsätze“. So sind alle heute bestehenden Klauseln vor allem Absichtserklärungen für militärfreie Forschung. Keine Einzige hat bindende Wirkung, sodass Militärforschung sicher ausgeschlossen wird.

An vielen Hochschulen gibt es studentischen Gruppen, die das nicht mehr hinnehmen wollen. Sie kämpfen für Zivilklauseln, die ihre Namen verdienen. Und auch die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke will sich von der Bundesregierung nicht einfach abspeisen lassen und hat schon angekündigt, die Liste der Forschungsaufträge des Verteidigungsministeriums zur Einsichtnahme anzufordern. Und dann? Werden vielleicht noch mehr Verstöße gegen Zivilklauseln bekannt.

Detaillierte Informationen zu der Situation an einzelnen Hochschulen finden Sie in unserem Überblickstext.

Michael Schulze von Glaßer schreibt für den Freitag regelmäßig über Militär und Rüstung

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