Mehr als eine halbe Milliarde Euro soll es den Steuerzahler kosten, das Debakel um die geplante Bundeswehr-Überwachungsdrohne „Euro Hawk“. Im Bundestag tobt die Opposition. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), nein, die gesamte Koalition steht unter riesigem Druck. Wenige Monate vor der Wahl käme ein Ministerrücktritt denkbar ungelegen.
Aber auch das Verhalten von Grünen und SPD sollte mit einiger Skepsis betrachtet werden. Schließlich waren die beiden Parteien während ihrer Regierungszeit selbst an dem Drohnenprojekt beteiligt – und an umstrittenen Rüstungsgeschäften.
Die Beschaffung von neuen Systemen für die Bundeswehr zieht sich in der Regel über viele Jahre hin, und das ist ein Problem. Denn in dieser Zeit sind fast alle Parteien mal an der Regierung und hängen bei den Rüstungsprojekten mit drin. Die grundsätzliche Kritik bleibt dann alleine der Linkspartei überlassen. Dass Waffengeschäfte hinter verschlossenen Türen ausgedealt werden, erschwert die Kritik erheblich. Transparenz? In der Rüstungspolitik ein Fremdwort.
"Euro Hawk" begann unter Rot-Grün
Über die „Euro Hawk“-Drohne ist zumindest dies bekannt: Im Jahr 2004 entschied sich die Bundeswehr intern für das Projekt, auf Basis einer umgerüsteten US-Aufklärungsdrohne „Global Hawk“. Anfang 2007 wurde von der damaligen Großen Koalition ein Entwicklungsvertrag mit US-Hersteller Northrop Grumman unterzeichnet, die Aufklärungselektronik sollte von der EADS-Tochter Cassidian mit Sitz in Manching bei Ingolstadt kommen. Auch die Bundestagsfraktion der Grünen stimmte damals für die Drohnenbeschaffung.
Seit 2011 soll im Verteidigungsministerium klar gewesen sein, dass es bei der „Euro Hawk“ ernsthafte Zulassungsschwierigkeiten gibt. Dem System fehlt angeblich ein Schutz gegen Kollisionen mit anderen Flugzeugen, und der Hersteller Northrop Grumman weigert sich, deutschen Behörden die genauen Konstruktionspläne der Drohne zur Verfügung zu stellen.
Die „Euro Hawk“ ist ein Musterbeispiel für die Viel-Parteien-Allianz im Rüstungsgeschäft: Das Projekt begann unter Rot-Grün, wurde 2007 von der Großen Koalition mit Zustimmung der Grünen vorangetrieben, und nun steht die schwarz-gelbe Koalition in der Verantwortung.
Die Rüstungsexporte boomen
Auch umstrittene Rüstungsexporte sind kein alleiniges Merkmal der aktuellen Regierung: Ein Blick in die jährlichen Rüstungsexportberichte der Bundesregierung zeigt, dass die Waffengeschäfte auch unter Rot-Grün boomten: Wurden 1997 noch Genehmigungen für Exporte in Höhe von insgesamt zwei Milliarden Euro erteilt, waren es 1999 nach einem Jahr Rot-Grün schon drei Milliarden. Vor allem nach den Terroranschlägen in den USA 2001 stiegen die deutschen Waffenexporte und erreichten 2005 im letzten Regierungsjahr von Rot-Grün einen Wert von 4,2 Milliarden Euro.
Noch am letzten Tag vor der Amtsübergabe an die CDU-SPD-Regierung wurde der Verkauf von zwei modernen Dolphin-U-Booten an Israel genehmigt. Dass die U-Boote auch mit Atomwaffen bestückt werden können, war schon damals bekannt. Auch an die umstrittenen Machthaber in Saudi-Arabien und Ägypten ließen Sozialdemokraten und Grüne Waffen liefern.
Friedensaktivisten halten daher die rot-grüne Kritik an der aktuellen Rüstungsexportpolitik für Wahlkampfgetöse. Der Freiburger Rüstungsgegner Jürgen Grässlin etwa fürchtet, „dass sich das rot-grüne Rüstungsexportdesaster wiederholt“, sollten die jetzigen Oppositionsparteien wieder an die Macht kommen. In seinem kürzlich erschienenen Schwarzbuch Waffenhandel widmet er Rot-Grün ein ganzes Kapitel. Aber eigentlich ist das Problem noch größer, sagt er: „Das Drohnen-Projekt ist genauso wie der Waffenhandel Ausdruck einer unausgesprochenen Mammutkoalition aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen.“
Grüne räumen Fehler ein
Die Grünen gestehen inzwischen Fehler aus der Regierungszeit ein. „Die Rüstungsexportrichtlinie der Bundesregierung, die maßgeblich auf grünen Druck entstanden ist, hat keinen Gesetzesrang und reicht offensichtlich in ihrer Verbindlichkeit nicht aus, um eine restriktive Genehmigungspraxis durchzusetzen“, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Keul dem Freitag. Der Beschaffung der „Euro Hawk“-Drohne habe man zwar zugestimmt, dabei sei aber ausdrücklich auch beschlossen worden, dass die Industrie bestimmte Bedingungen gewährleisten müsse. „Es gilt nun herauszufinden, wer für den Schaden einzustehen hat: die beteiligten Unternehmen oder der Steuerzahler“, sagt Keul.
Bei der SPD wird bereits über die Zukunft der Drohnenbeschaffung nachgedacht. Der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, plädierte in der Mai-Ausgabe des Rüstungs-Fachmagazins Europäische Sicherheit & Technik dafür, zukünftig verstärkt auf Eigenentwicklungen von Drohnen zu setzen: „Ein Kauf von der Stange auf dem amerikanischen Markt würde den Weg für eine mögliche europäische Lösung erschweren, wenn nicht gar verbauen“, schrieb Arnold.
Statt in Zukunft bewaffnete Drohnen wie die bereits von der Bundeswehr ins Auge gefasste US-Kampfdrohne „Reaper“ zu kaufen, solle auf deutsch-französische Entwicklungen gesetzt werden: „Das würde auch industriepolitisch Sinn machen.“ Arnold ist Mitglied im Präsidium der „Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik“, einem gemeinnützigen Verein für die staatliche Sicherheitsvorsorge, dem eine Nähe zur Rüstungsindustrie nachgesagt wird.
Ohnehin betreibt die Branche intensiv Lobbyarbeit. Auch Korruption spielt bei Waffengeschäften immer wieder eine Rolle. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz beispielsweise wegen Korruptionsverdacht gegen Mitarbeiter einer Bundeswehr-Beschaffungsbehörde und einen General im Verteidigungsministerium: Sie sollen Gewehre für die Bundeswehr bestellt haben, obwohl bei wehrtechnischen Untersuchungen der Waffen schwerwiegende Mängel festgestellt wurden. Auch die Entwicklung der „Euro Hawk“-Drohne wurde fortgeführt, obwohl spätestens im Jahr 2011 bekannt war, dass sie keine Zulassung für den europäischen Luftraum bekommt.
Geheimgremium entscheidet
Bei Rüstungsexporten ist es der Bundessicherheitsrat, der schon von seiner Struktur her für Intransparenz sorgt: Der Rat besteht aus neun Mitgliedern der Regierung, sie alleine bestimmen in geheimen Sitzungen darüber, wohin welche Waffen aus deutscher Produktion geliefert werden dürfen. Einmal im Jahr legt das Gremium seinen Rüstungsexportbericht vor – allerdings mit starker Verzögerung. Der Bericht über das Jahr 2011 wurde beispielsweise erst Ende 2012 vorgelegt.
Die Rüstungsbranche hat von Transparenz ihr eigenes Verständnis. Kürzlich stellte Cheflobbyist Georg Adamowitsch in einem Interview mit der taz klar: „Für die Industrie sind die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse und die Wahrung der Kundeninteressen bei aller Forderung nach Transparenz das Entscheidende.“ Und mit der Rüstungsindustrie will sich niemand anlegen – weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün.
Anti-Drohnen-Kampagne
Friedensaktivisten warnen nach dem „Euro Hawk“-Desaster vor neuen Bundeswehr-Plänen zur Anschaffung von Aufklärungsdrohnen. Bereits im März haben sie eine Kampagne gegen Militärdrohnen gestartet. Durch die unbemannten Flugkörper werde bei Regierungen die Hemmschwelle für Kriegseinsätze gesenkt, argumentiert die Mitinitiatorin der Kampagne, Brunhild Müller-Reiß. Dies sehe man schon heute an den US-Drohnenangriffen in Pakistan mit Tausenden zivilen Opfern.
6.000 Unterschriften haben die Friedensaktivisten bisher gesammelt gegen die Beschaffung von Drohnen für die Bundeswehr. Der Appell wurde zudem von mehr als 100 Gruppen unterzeichnet. In den kommenden Monaten wollen die Aktivisten ver-suchen, das Thema auf die Agenda des anlaufenden Bundestagswahlkampfs zu setzen. Dazu soll es verschiedene Aktionen in mehreren Städten Deutschlands geben. Fernziel der Kampagne ist eine internationale Ächtung von Drohnen, wie es sie etwa schon beim Einsatz von Streubomben und Land-minen gibt.
An einen schnellen Erfolg der Kampagne glaubt Mitinitiatorin Müller-Reiß jedoch nicht. Drohnen seien als ein wichtiger Baustein in der Neuausrichtung der Bundeswehr vorgesehen. „Das Thema wird uns noch lange beschäftigen und sich in Zukunft auch noch um bewaffnete Drohnen und vollautonome Systeme für die Bundeswehr drehen.“
Weitere Informationen unter drohnen-kampagne.de
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