Aus einem Text der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS): „Das Videospiel ‚River Raid‘ ist kriegsverherrlichend und -verharmlosend. [… Der Spieler soll] sich in die Rolle eines kompromisslosen Kämpfers und Vernichters hineindenken […]. Hier findet im Kindesalter eine paramilitärische Ausbildung statt […]. Bei älteren Jugendlichen führt das Bespielen […] zu physischer Verkrampfung, Ärger, Aggressivität, Fahrigkeit im Denken […] und Kopfschmerzen.“
Das war ein Teil der Begründung, mit der er am 19. Dezember 1984 das zwei Jahre zuvor durch den US-Hersteller Activision veröffentlichte Spiel River Raid indiziert wurde. Die Behörde muss eine lebendige Fantasie gehabt haben: In dem Spiel für den Atari 2600 musste man mit einem aus nicht mal 30 Pixeln bestehenden Kampfjet feindliche Militärfahrzeuge abschießen, als die die Bildpunktflächen gerade so zu identifizieren waren.
30 Jahre nach River Raid spritzt im ebenfalls von Activision produzierten Call of Duty – Black Ops II das virtuelle Blut Hunderte feindlicher Soldaten hektoliterweise. Gegner werden gefoltert und exekutiert, wobei man zerberstende Schädelknochen durch den Raum fliegen sieht; Zivilisten können erschossen werden. Call of Duty – Black Ops II darf von Volljährigen gespielt werden. Die BPjS heißt heute „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) und auch sonst hat sich bei den Jugendschützern offenbar einiges geändert.
Nur für Erwachsene
Die Maßstäbe des deutschen Jugendmedienschutzes – neben der BPjM vor allem die für Alterseinstufungen zuständige „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“ (USK) – passen sich dem gesellschaftlichen Trend an. Laut Petra Meier von der BPjM haben sich die „Indizierungskriterien“ in den letzten Jahrzehnten zwar grundsätzlich nicht verschoben, „allerdings ergeben sich im Bereich der Filme und Spiele aufgrund der ständigen Weiterentwicklung der Technik (Grafik, Effekte etc.) in manchen Fällen heutzutage veränderte Auffassungen dazu, ob eine Jugendgefährdung vorliegt“. Bedeutet etwa: Gewaltdarstellung ist nur noch in wenigen Fällen ein Grund für Verbote. 2003 wurde River Raid daher von der Liste der indizierten Spiele gestrichen. Auch dafür verfasste man eine Begründung:
„Aus heutiger Sicht der Wirkungsforschung stellt sich der Inhalt dieses Computerspieles als nicht mehr so gravierend dar. Das Computerspiel ist im Wesentlichen abstrakt gehalten. Es gilt ausschließlich auf Gegenstände zu schießen. Das Schießen auf Gegenstände ist aus Sicht der heutigen Spruchpraxis der Gremien der Bundesprüfstelle nicht ausreichend, um ein Computerspiel als jugendgefährdend einzustufen. Computerspiele werden nach der Spruchpraxis dann in die Liste aufgenommen, wenn das Töten von Menschen oder menschenähnlichen Wesen als einziges oder wesentliches Spielziel dargeboten wird. Dass das Schießen auf Gegenstände in irgendeiner Form aggressionssteigernde Wirkung vermuten läßt, ist auf Grund heutiger Sicht nicht mehr anzunehmen.“ Es bestehe kein „Bezug zu einem konkreten Krieg“, so die Begründung für das neue Urteil.
Ein ähnliches Urteil wurde von dem aus zwölf Personen bestehenden Prüfgremium der BPjM 2011 für den 1994 indizierten Shooter Doom gefällt: „Das Gremium hatte bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass die in Doom präsentierte Gewalt nach heutigen Maßstäben, d. h. im Vergleich zu in neuerer Zeit indizierten Spielen, weder als ‚realistisch‘ noch als ‚detailliert‘ einzustufen ist“, so Petra Meier von der BPjM. Auch Felix Falk, Geschäftsführer der USK, sieht in Doom ein gutes Beispiel für die Veränderung im deutschen Jugendmedienschutz. Was genau hat sich da getan?
Die grundlegenden Kriterien zur Bewertung sind laut Falk gleich geblieben. Jedoch: „Was sich ständig entwickelt, ist der Umgang mit Spielen in unserer Gesellschaft und damit die Medienrealität gerade auch bei Kindern und Jugendlichen.“ Daher gebe es eine Anpassung bei der Bewertung von Spielen.
Allgemein ist ein Rückgang von Indizierungen von nur für Erwachsene freigegebenen Spielen zu beobachten. Die Zahl dieser Spiele ist zwischen 2004 (3,9 Prozent) und 2013 (9,1) deutlich gestiegen. Was dafür spricht, dass die Hersteller ihre Spiele besser auf den Jugendschutz abgestimmt haben, aber auch dafür, dass die Jugendschützer liberaler geworden sind.
Für die Kleinen
Das gelte aber nicht nur für den Umgang mit Darstellungsformen in Spielen, sagt Felix Falk: „Es geht bei uns immer um die Bewertung von Spielen in ihrer Gesamtheit, also nicht nur um die Darstellung von Gewalt, sondern immer auch um den Zusammenhang, in dem das geschieht.“ Dem pflichtet der Diplom-Pädagoge Jörg Warras, der seit zwölf Jahren im Gutachterausschuss der USK sitzt, bei: „Gewalt ist und war schon immer eines der Hauptgründe ein Spiel höher einzustufen. Aber das Gremium berücksichtigt die Rahmenhandlung und achtet darauf, warum der Spieler an bestimmten Passagen Gewalt ausüben muss: Ist es wichtig für die Handlung, gibt es alternative Handlungsmöglichkeiten, ist es Story-immanent oder sind es ‚nur‘ Gewaltspitzen, die in eine tragende Story eingebettet sind?“
Mit Blick auf aktuelle Spiele können einen die Aussagen der Jugendmedienschützer zumindest stutzig machen. Trotz der Beteuerung, man habe auch die Geschichten der Spiele im Blick, ist es heute kein Problem, ein kriegsverherrlichendes Spiel auf dem deutschen Markt zu veröffentlichen. Spiele, in denen Militäreinsätze als saubere Lösung politischer Auseinandersetzungen dargestellt werden, dominieren das Angebot und erfreuen sich großer Beliebtheit.
Die Kategorien „kriegsverherrlichend und -verharmlosend“ aus dem River-Raid-Verbot von einst spielen keine Rolle mehr bei dem heute für zwölfjährige freigegebenen Spiel Civilization – dort kann man problemlos Völkermorde durchführen oder mit Atombomben ganze Kulturen vernichten. America’s Army, ein First-Person-Shooter, der von der US-Armee zur Nachwuchsgewinnung entwickelt wurde, ist über Online-Vertriebsplattformen in Deutschland erhältlich. Im Strategie-Shooter ARMA 3 können 16-Jährige gegen ein Bündnis aus Chinesen und Iranern in den Krieg ziehen. Kriegsfreundliche Spiele wie die der populären Battlefield-, Call-of-Duty- und Medal-of-Honor-Serie bekommen heute dieselbe Einstufung wie das kriegskritische Videospiel Spec Ops – The Line, das den Spieler vor Militäreinsätzen abschreckt. Und gegen die UN-Charta und die „Genfer Konvention“ wird in den virtuellen Welten dutzendfach verstoßen, ohne dass dies auch nur mit einem Wort im Spiel thematisiert wird. Die deutschen Jugendmedienschützer scheint dies nicht zu irritieren.
Dass Inhalte bei der Beurteilung von Spielen heute allen Behauptungen zum Trotz weniger zählen als einst, zeigt die USK auf ihrer Website. So heißt es dort zu „Militär-Strategiespielen“: „Spielangebote dieses Genres werden für Spieler ab 12 Jahre und für höhere Altersstufen freigegeben. Ausnahmen bilden Spiele im Comic-Look oder anders stark stilisierten Umsetzungen, die dann regelmäßig auch für jüngere Kinder freigegeben werden.“
Solange die Militäreinsätze bunt verpackt sind, dürfen auch Kinder in den virtuellen Krieg ziehen. Es hat sich also nicht nur die Beurteilung von Videospielen durch die USK und die BPjM geändert, sondern vor allem das, was an den Spielen beurteilt wird – weniger die Inhalte, mehr die Darstellungsformen, die aber freizügiger gehandhabt werden.
Wo Ideen wie „Gewaltfreiheit“ und „Kriegskritik“ eine Rolle spielen könnten, scheinen die deutschen Jugendschützer aktuelle Entwicklungen der westlichen Militärpolitik verinnerlicht zu haben: An der Darstellung völkerrechtswidriger Kriege in Spielen stören sie sich nicht. Dabei verstößt das sogar gegen den „Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“, der die Maßstäbe für den Jugendschutz setzt. Dort heißt es unter „§ 4 Unzulässige Angebote“: „Unbeschadet strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind Angebote unzulässig, wenn sie (7) den Krieg verherrlichen.“ Interessieren tut das weder USK noch BPjM: In der Debatte um einen neuen Staatsvertrag spielt das Verbot kriegsverherrlichender Medien keine Rolle, dieser Punkt wurde in den bisherigen Entwürfen übernommen. Er wird sowieso von allen ignoriert. Früher war das anders.
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