Die Feindbilder in heutigen First-Person-Shootern sind klar: Als US-Soldat kämpft man gegen Araber, Russen oder Chinesen. Die Videospielhersteller machen damit Milliarden-Umsätze – allerdings fast ausschließlich im westlichen Kulturraum. Laut Angaben der Website Video Game Charts wurden von den 216 Millionen Exemplaren der Call of Duty-Reihe seit 2003 über 85 Prozent in Nordamerika, Europa und Japan verkauft. Bei Battlefield, der anderen großen Militär-Shooter-Serie, sieht es ähnlich aus. Der Videospielmarkt könnte sich in den kommenden Jahrzehnten aber drastisch verschieben – und dadurch die Videospiele selbst verändern.
Im Jahr 2000 erließ die chinesische Regierung zum „Schutz der mentalen und physischen Gesundheit der Jugend“ ein Verkaufsverbot für Videospielkonsolen. Um die Wirtschaft zu fördern und westliche Unternehmen anzulocken wurde das Verbot 2014 für die Freihandelszone in Shanghai aufgehoben. Ende September letzten Jahres erschien mit der Xbox One von Microsoft dann die erste westliche Konsole auf dem gesamten chinesischen Markt: 100.000 Exemplare verkauften sich binnen einer Woche. In diesem Jahr will Microsoft mithilfe seines chinesischen Vertriebspartners BesTV eine Million Konsolen in dem Land verkaufen.
Software-Sperre
Der Absatz der Konkurrenzkonsole von Sony begann im März diesen Jahres dagegen nur mäßig. Mit einem Preis von umgerechnet 440 Euro ist die Playstation 4 in China sogar zehn Prozent teurer als beim Verkaufsstart hierzulande. Zudem standen anfangs nur sechs Spiele zur Verfügung, der deutsche Playstation-Store zählt über 100 Titel. Grund für die geringe Auswahl ist die chinesische Zensur. So sind unter anderem Inhalte verboten, die die Verfassung, die nationale Einheit, die Hoheitsgewalt oder die territoriale Integrität Chinas verletzen. Auch sind Spiele verboten, die das Ansehen, die Sicherheit oder Interessen Chinas bedrohen, ethnischen Hass propagieren oder ethnische und kulturelle Traditionen gefährden. Auch Inhalte, die zu Obszönität, Drogenkonsum, Gewalt oder Glücksspiel animieren, werden von den chinesischen Zensoren aussortiert.
Heißt in der Praxis: Die im Westen beliebten Spiele der Call of Duty-Reihe oder das allein in Deutschland weit über eine Millionmal verkaufte Grand Theft Auto V konnten in China bislang nicht erscheinen. Ein weiteres Hindernis für chinesische Videospieler ist ein „Region Lock“, der zumindest bei der ersten Auslieferung der Microsoft-Konsole noch vorhanden war: Die Software-Sperre erlaubt, nur auf chinesischen Servern über das Internet zu spielen und verhindert zudem das Abspielen von aus dem Ausland importierter Spiele. Unbestätigten Meldungen zufolge soll die Sperre bei der Xbox One im April durch ein Software-Update weggefallen und bei der Playstation 4 von Anfang an nicht vorhanden gewesen sein, was angesichts der chinesischen Kontrollpolitik aber verwundern würde.
Ganz neu sind die Schwierigkeiten, in China Videospiele zu verkaufen, allerdings nicht. Spiele sind dort schon heute ein großer Markt: 2013 wurde in dem Land mit digitalen Spielen ein Umsatz von umgerechnet 11,5 Milliarden Euro (Deutschland 2013: 1,8 Milliarden Euro) gemacht – gegenüber 2012 ein Plus von 34 Prozent. Zwei-Drittel des Umsatzes entfallen dabei auf Spiele für den Computer, der Rest auf kleinere Browser- und Mobile-Spiele. Westliche Videospielhersteller haben also bereits Erfahrung mit der chinesischen Zensur – und bringen folglich spezielle Spiele für den dortigen Markt heraus.
Im August 2012 stellte das US-Unternehmen Activision – der größte Videospiel-Produzent der Welt – gemeinsam mit seinem chinesischen Partner Tencent den kostenlosen First-Person-Shooter Call of Duty Online vor. Seit Anfang 2015 befindet sich das eigens für China entwickelte Computerspiel in der Beta-Phase: „Wir glauben, dass ‚Call of Duty Online‘ ein Game-Changer für chinesische Spieler wird“, erklärte Eric Hirshberg, CEO von Activision dazu selbstbewusst. Der Fall des Konsolenverbots stützt Hirshbergs Sicht: Videospiele und vor allem Shooter werden heute zum Großteil auf Konsolen gespielt, auf Computern – weltweit betrachtet – eher selten. Zudem soll Call of Duty Online mit seinem Einzel- und Mehrspieler-Modus kostenlos spielbar sein und sich ausschließlich durch Mikrotransaktionen finanzieren, wodurch eine breite Masse von Menschen angesprochen wird.
Auch das schwer angeschlagene Unternehmen Crytek aus Frankfurt am Main versucht mit einem sogenannten Free-to-Play-Modell auf dem asiatischen Markt zu landen: Warface heißt der fiktive im Jahr 2023 angelegte First-Person-Shooter, für den das deutsche Software-Unternehmen vor drei Jahren eigens einen Ableger in Shanghai eröffnet hat. Bei Warface gibt es ebenfalls eine Zusammenarbeit mit Tencent, das in den letzten Jahren massiv in den Videospielmarkt investierte. So hält das chinesische Internetunternehmen 12 Prozent der Anteile von Activision Blizzard (Spiele: Call of Duty, Diablo, World of Warcraft) und erwarb im Juni 2012 für 330 Millionen US-Dollar etwa 48 Prozent der Anteile am US-Videospielstudio Epic Games (Unreal, Gears of War). Bereits im Februar 2011 erwarb Tencent für 230 Millionen US-Dollar das US-Studio Riot Games – den Produzenten des täglich von etwa 27 Millionen Spielern gespielten League of Legends. Da chinesische Spiele bislang nicht an die Qualität der Software aus Nordamerika und Europa heranreichten, kauft sich Tencent das Know-how einfach ein.
In Ungnade gefallen
Der asiatische Anteilseigner großer US-Videospielhersteller und der durch die Aufhebung des Konsolenverbots bedeutender werdende chinesische Markt könnte Videospiele verändern. Die Spiele der Zukunft würden sich nicht mehr nur an westlichem Geschmack orientieren, sondern müssten auch den Perspektiven der Chinesen entsprechen.
Denn analog zum Kino (Freitag vom 16. Mai 2013) lässt sich der chinesische Staat nicht viel gefallen, wie der Battlefield-Produzent Electronic Arts Ende 2013 feststellen musste. Das US-Unternehmen hatte im November den Militär-Shooter Battlefield 4 veröffentlicht, in dem die Spielerin als US-Soldat einen vom chinesischen Militär geputschten jungen Politiker wieder an die Macht verhelfen müssen. Im dabei entbrennenden Krieg muss der Spieler unzählige Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee töten. Battlefield 4 sei eine „neue Form kultureller Aggression“, hieß es in einer Militärzeitschrift. Das Spiel wurde in China – noch vor dem dortigen Erscheinen – verboten. Mehr noch: EA scheint wegen des Spiels in China in Ungnade gefallen zu sein, der Zugang auf den Markt ist erschwert. Dazu äußern wollte sich die Firma auf Anfrage nicht.
Das Beispiel zeigt die Macht des riesigen Landes – das Feindbild China wird es bei einer Marktverschiebung künftig wohl in immer weniger Shootern geben. Und es bleibt spannend abzuwarten, wohin sich globalisierte Erzählweisen entwickeln in diesem faszinierenden Komplex von wirtschaftlichen und politischen Interessen, die Kultur bedingen.
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