Im Sog der Gefühle

Gewährsmann Kant Die Frankfurter Oper veranstaltete einen Kongress zum Pathos in der Kunst

Pathos, Affekt, Gefühl - der Titel für den Kongress zu Emotionen in den Künsten, der am letzten Wochenende in Frankfurt am Main stattfand, barg von Anfang an enorme Unwägbarkeiten. Denn es liegt auf der Hand, dass verschiedenste Themenquellen mit dieser Verklammerung virulent werden müssen: Das Verständnis von Kunst und Gefühl bezeichnet jeweils für sich genommen immer noch dunkle Kontinente auf der Landkarte unseres Wissens, und der Verweis auf die antiken Vorläufer unseres heutigen Gefühlsbegriffes, Pathos und Affekt, eröffnet die weitest mögliche Perspektive in die Kultur-, insbesondere in die Philosophiegeschichte. Wohlgemerkt, der abendländischen Kulturgeschichte, denn von Kunstproduktionen und -erlebnissen jener Kulturkreise, die unsere Moderne nicht ursprünglich mit vorangetrieben haben, war auf dem Kongress in der Frankfurter Oper keine Rede. Dafür durfte der Besucher fest damit rechnen, in einem guten Teil der Vorträge mindestens einmal über Aristoteles und/oder Platon, in jedem Fall aber über Immanuel Kant belehrt zu werden. Dass ausgerechnet Kant, der schon aus historischen Gründen nicht übermäßig viel zu autonomer Kunst zu sagen hatte, zum Zitierheiligen postmoderner Aufklärung geworden ist, wäre ein Thema für sich.
Was ist eigentlich im engeren Sinne spannend an der Frage nach den "Emotionen in den Künsten"? Es ist wohl der Wunsch, die Gefühle der eigenen Kunsterfahrungen irgendwie als objektive Eigenschaften der Werke "nach Hause" zu bringen, also nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, dass man sich nicht nur irgendetwas eingebildet hat, sondern als leiblicher Resonanzboden angemessen auf ein Werk reagiert. Diese Aussicht in Verbindung mit der viel versprechenden Buntheit der Teilnehmerliste - Architekten, Hirnforscher, Psychoanalytiker, Musikwissenschaftler - hatte insgesamt etwa 400 Zuhörer und Zuhörerinnen in die Oper gelockt.
Nun gab es tatsächlich beim Kongress Beiträge, die sich genau um die Frage nach der Wirkung der Kunstwerke bemühten, und es gab demgegenüber eine Mehrzahl von Vorträgen, die die labyrinthischen Ausweichmöglichkeiten Kunstgeschichte, Gefühlspsychologie und Philosophie, jeweils monologisch betrachtet, für sich nutzten. Interessanterweise schien die Wahl geschlechtsspezifisch zu fallen: es waren meist Referentinnen, die das Problem der für sie bedeutsamen ästhetisch erzeugten Emotionen ernst nahmen. Die Männer neigten offenbar etwas konsequenter dazu, einfach ihren üblichen Untersuchungsvorlieben nachzugehen.
Hermann Danuser, Professor für historische Musikwissenschaft in Berlin, verließ sich in seinem Vortrag zu "Strategien der Affektsteuerung in der Tonkunst" ganz auf die Eleganz musikalischer Formanalysen. War bis ins 18. Jahrhundert die musikalische Affektsteuerung natürliches Mittel der Praxis, gelangt sie mit der Autonomieästhetik in Verruf. Danuser zeigte, nicht wirklich überraschend, dass dennoch die Affektkategorie für die Werke des 19. Jahrhunderts keineswegs belanglos wird. Anhand von gehörten Beispielen stellte er typische Strategien der Affektsteuerung vor, etwa den systematischen Wechsel von Dur zu Moll oder die Gewalt der Reprise.
Dieter Schnebel, Komponist aus Berlin, inszenierte die Aura der Oper als Liebesmusik, als vergehenden Schmelz berüchtigter Liebesduette, indem er einfach nach und nach einige der bekanntesten Gesangspassagen vorspielen ließ, angefangen mit Belcanto über Wagner bis Strauss. Schnebel gab einen wehmütigen Abgesang auf die heute angeblich verpönten "wirklich erotischen Stimmen" zum Besten; die Irritation über das Ende der Liebesoper, als deren letzter Höhepunkt ihm Bergs Wozzeck gilt, war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, während seine Zuhörer im sogenannten Chagallsaal lange dem liebessüchtigen Wohlklang lauschten und dabei durch eine Glasfront auf die in der Sonne blinkenden Hochhäuser schauten.
Das Ausmaß der Ich-Beteiligung im ästhetischen Erleben nahm Helga de la Motte-Haber als grundlegendes Kriterium zur Unterscheidung verschiedener Typen musikalischer Emotionalität. Diese reichen, vereinfacht gesprochen, von distanziert-kühler Registrierung musikalischer Reize bis hin zu einer völligen Überschwemmung des Hörers mit leibhaft einbrechender Musik. Die Grundlagen der menschlichen Ansprechbarkeit für musikalische Effekte liegen, so de la Motte-Haber, in der frühen Kindheit. Im Säuglingsalter sind Wahrnehmungen immer schon mit begleitenden Gefühlsqualitäten verbunden. Solche ursprünglichen Verbindungen geben die Grundlage ab für die komplizierten Anmutungen, die Musik dem Hörer unwillkürlich nahelegt.
Die Autorin einer allgemeinen Theorie der Gefühle, Agnes Heller aus New York, beschränkte sich in ihrem Beitrag nicht auf eine Kunstgattung. Sie ging in ihrem Entwurf von einer Schicht angeborener Affekte aus, die durch die Aneignung von Kunstwerken in Emotionen verwandelt und sublimiert werden. Lust/Unlust sowie die reaktiven Affekte Wut und Furcht differenzierten sich in Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt in höchst komplexe Emotionsverkettungen aus, die als solche nicht mehr genetisch festgelegt seien, aber "wie eine zweite Natur" unmittelbar agierten. Wer sich aber einem Kunstwerk wirklich zuwende, der verlasse seine verkrusteten Gefühlsgewohnheiten und gerate in einen schwebenden Zustand, werde bereit zur Bildung neuer Emotionen. Man könnte auch sagen: angesichts des Kunstwerks geraten die alltäglichen Reaktionsmuster in eine Krise. Heller scheint allerdings im Falle von Musikwerken skeptisch bezüglich einer gelingenden Aufhebung der emotionalen Erwartungen zu sein. Die "ungegenständliche Gegenständlichkeit" der Musik erlaube es, sich alles mögliche vorzustellen, seine eigenen Lieblingsgefühle einfach in sie hineinzulegen.
Die prominenten Vorträge des Kongresses hielten die Teilnehmer in Eile zum jeweils nächsten Termin. Daniel Libeskind zeigte eine Video-Collage, Slavoj Zizek, Peter Eisenman trugen vor, zahlreiche Themen, unter anderem zur Stimmung in der Malerei (Kerstin Thomas) und zur Erschütterung im Kino (Gertrud Koch) waren angeboten. Hierin haftete an Veranstaltung selbst ein kulturindustrieller Beigeschmack. Eine interdisziplinäre Behandlung der Frage nach den Emotionen in der Kunsterfahrung war im Verlauf nicht zu beobachten. Für einen weiteren Kongress dieses Themas dürften weniger und dafür exemplarische Untersuchungen zu ästhetischen Erfahrungen und ihren emotionalen Schichten hilfreich sein.

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