Wie sehen mich die Anderen? Welches Bild machen sie sich von mir? Diese Frage steht im Zentrum der Autobiografie der emeritierten Berliner Ethnologin Heike Behrend. In diesem Fall sind „die Anderen“ die Menschen in den Tugenbergen im Nordwesten Kenias, zu denen die Autorin Ende der 1970er Jahre gereist war, um ihre Lebensweise zu erforschen. Sie bezeichnen die Ethnologin, die ihnen wegen der vielen Fragen und aufgrund ihrer holprigen Sprachkenntnisse ungehobelt vorkommt, als Affen. Aber als einen Affen mit Aufstiegschancen, wie die Autorin versichert. In ihrem Buch blickt Behrend, die Grande Dame der deutschsprachigen Afrikaforschung, auf über 50 Jahre Forschungserfahrung zurück, und was sie zu erzählen hat, geht weit über dieses titelgebende Bild und ihre k
e klassische Studie in den Tugenbergen hinaus. Sie berichtet von weiteren Feldforschungen in Uganda zu charismatischen Befreiungsbewegungen (1987 – 1995), zu Hexerei und der Figur des Kannibalen innerhalb der katholischen Kirche (1996 – 2005), zu fotografischen Praktiken in Kenia (1993 – 2011) und immer wieder auch vom akademischen Affentheater unter westlichen Universitätskollegen.Autobiografisches und autofiktionales Erzählen boomt nun schon seit einiger Zeit in der Literatur, in den bildenden und darstellenden Künsten, im Tanz und im experimentellen (Dokumentar-) Film. Braucht es eine solche Selbstbefragung und Selbstinszenierung nun auch noch in der Wissenschaft, kann man zu Recht fragen. Aber der Text ist keine Autoethnografie, sondern, wie im Untertitel beschrieben, eine Autobiografie der ethnografischen Forschung. Das heißt, die Autorin unterzieht nicht ihre eigene Person einer eingehenden Betrachtung, sondern schreibt eine Art kritischer Fachgeschichte aus subjektiver Perspektive. Daran mag es liegen, dass der Text nicht durchgehend die narrative Dichte und Qualität hat, die man sich von den Memoiren einer Abenteurerin „im Herzen der Postkolonie“ (so der Titel eines der Kapitel) wünschen würde.Die Kräfteverhältnisse bleibenStreckenweise liest sich das Buch wie ein Rechenschaftsbericht darüber, wie ethnologisches Wissen produziert wurde und noch immer wird. Dennoch ist es kein „trockener“ Text. Behrend beweist Gespür für skurrile Situationen und Begegnungen. Am spannendsten lesen sich die Passagen, in denen sie über die lokale Rezeption und Verwendung moderner Medientechnologien berichtet, zum Beispiel von Film- und Tonaufnahmen als Beweis für die Existenz von Kannibalen, von der technischen Reproduzierbarkeit von Besessenheitszuständen oder von der Ästhetik der Porträtfotografie an der ostafrikanischen Küste.Gerade scheint sich ein ganz eigenes Genre mit autobiografisch inspirierten Texten von Ethnolog*innen dieser Generation herauszubilden. So hat beispielsweise Katherine Verdery, eine US-Amerikanerin, die in 1970ern in Rumänien forschte, Jahre später Zugang zu den Akten bekommen, die der Geheimdienst Securitate über sie angelegt hatte, und darauf aufbauend das Buch My Life as a Spy geschrieben, das einer Detektivgeschichte gleicht. Oder Paul Stoller, der ungefähr zeitgleich mit Behrend geforscht hat, berichtet in seinen Memoiren Im Schatten der Zauberer detailreich über seine Ausbildung als Zauberer bei den Songhay im westafrikanischen Niger. Mit Stoller verbindet Behrend übrigens auch die Liebe zu den Filmen der französischen Dokumentarfilmlegende Jean Rouch. Für Rouch war es immer wichtig, seine Arbeit mit den Protagonisten seiner Filme zu besprechen, ihre Meinungen und Änderungswünsche zu berücksichtigen. Heike Behrend verfährt ganz ähnlich; sie unterzieht ihre Arbeitsweise einer kontinuierlichen Selbstbefragung und bespricht sie mit den „Beforschten“. Ein wichtiger Punkt diesbezüglich ist in einer Fußnote versteckt, nämlich ihre Beobachtung, dass die heutigen Kritiker der Ethnologie, vorzugsweise Kuratoren in Museen oder Galerien, nicht einmal merken, dass die „innovativen“ Ansätze, die sie benutzen, aus der Ethnologie selbst stammen und dort schon seit über 40 Jahren Usus sind. Menschwerdung eines Affen ist ein wichtiges Buch, das diese kritische Tradition der Ethnologie zurück ins Gedächtnis ruft.Die Idee, den ethnografischen Blick umzudrehen und das Bild des (forschenden) Europäers in kolonialen und postkolonialen Kontexten zu erforschen, ist nicht neu, aber Heike Behrend tut dies erfrischend nüchtern, ohne Klamauk und ohne Koketterie. Indem sie den Austausch von Blicken aufeinander ins Zentrum rückt, versucht sie erst gar nicht, die Dichotomie zwischen „uns“ und „den Anderen“ aufzulösen und richtet damit das Augenmerk auf ein interessantes Kapitel der deutschsprachigen Ethnologie, dem bislang nur wenig Beachtung geschenkt wurde. Die sogenannte inverse Ethnografie, die die medialen Rückwirkungen des Beobachteten auf das Beobachtete und dessen Darstellung zum Untersuchungsgegenstand machte, hat vor allem in Deutschland und Frankreich das koloniale Selbstverständnis irritiert, wenn auch nur kurzfristig. Behrend lässt aber keinen Zweifel daran, dass damit längst keine Verschiebung von realen Kräfteverhältnissen stattfand und wir trotz aller Debatten um Restitution, Raubkunst und um kollaborative Forschungsmethoden noch weit davon entfernt sind, koloniale Machtstrukturen überwunden zu haben. Und so ist dieses Buch im Kern durch und durch politisch. „Effekthascherei“ hat der Ethnologe Claude Lévi-Strauss dem Genre der Reise- und Forschungsliteratur vorgeworfen, aber ebendiese sucht man hier vergebens. Das ist ein großes Kompliment – für Lévi-Strauss das größte.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1