Das Södersche Test-Drama

Massen-Testungen Willkommen im Kontrollverlust

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Der Mensch bedient sich gerne alter Mythen. Der Fernstreit zwischen Verschwörungstheoretikern und dem Staat greift auf den Mythos von David gegen Goliath zurück. Das aktuelle Drama um die nicht-informierten positiv getesteten Reiserückkehrer, nachdem Markus Söder vor einigen Wochen ankündigte, jeder in Bayern könnte getestet werden, erinnert an den Mythos von Ikarus: Wer hoch hinauf steigt, kann tief fallen – wenn die Flügel aus Wachs sind. Vielleicht brauchen wir wieder einmal einen neuen Eintrag im Wörterbuch: södern. Zu södern bedeutet „etwas vollmundig versprechen, das ich nicht halten kann, weil ich bei der Lösung eines Problems zu sehr von anderen Menschen oder schwierigen Umständen abhängig bin“.

Dieses Phänomen kennt vermutlich jeder von uns. Eltern versprechen einen großartigen Urlaub, der jedoch nicht funktioniert, wenn die Kindern in einer Tour mosern. Geht mosern eigentlich auf Hans Moser zurück? Vertriebler verkaufen Kunden das Blaue vom Himmel, während die Kollegen, die dieses Blaue ausliefern sollen, die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Und Projektleiter sind nur so gut wie ihr Team. Einem Kunden mehr oder schnellere Leistungen zu versprechen wäre unklug, ohne sich zuvor mit dem Team abzusprechen – insbesondere in Zeiten stetiger Veränderungen an Anpassungen.

Was lässt sich daraus lernen? Demut zum Beispiel und die Notwendigkeit zur Rücksprache und Rückversicherung, was möglich und realistisch ist und was nicht. Denn der König ist immer nur so gut wie sein Volk. Zieht das Volk nicht mit, hat er ein Problem.

Das Ziel ist es, Infektionsketten zu verhindern. Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze. Der Kontrollansatz folgt der Logik von Testungen und der Corona-App. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sind sowohl Testungen in der Masse als auch die App zumindest teilweise gescheitert. Ein Virus zu kontrollieren, das mutiert und dessen Wirkungsweise wir immer noch nicht wirklich begriffen haben, ist vielleicht niemals möglich.

Ein anderer Ansatz bezieht sich auf den Appell an die Bürger, sich an Abstandsregeln zu halten. Dieses Vertrauensmodell wird bereits in Ländern angewandt, die mehr auf Gebote als Verbote bauen wie in beispielsweise in Schweden, den Niederlanden oder der Schweiz. Wer aktuell diese Länder bereist, verspürt eine andere Stimmung unter den Menschen. Der Respekt vor dem Virus ist ebenso vorhanden. Allerdings herrscht weniger Angst vor. Respekt ohne Angst verbunden mit dem Vertrauen in die Vernunft der Mitmenschen wäre vielleicht nicht das schlechteste Rezept im Umgang mit einem unkontrollierbaren Virus.



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Geschrieben von

Michael Hübler

Coach, Mediator, Organisationsentwickler, Autor

Michael Hübler

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