Sind die Querdenker die neuen Grünen?

Die neue APO Wohin werden sich die Querdenker entwickeln?

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In den 60er- und 70er-Jahren lehnten sich linke Kräfte gegen das rechts-konservative Establishment auf. Der Widerstand eskalierte in den Gewalttaten der RAF und wurde später in eine Partei kanalisiert, die wir als „Die Grünen“ kennen. Ob aus der Querdenken-Bewegung eine neue Partei wird, muss sich noch zeigen. Derzeit erscheint die Bewegung in ihren Zielen noch zu konfus. Aktuell geht es noch darum, die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung von Corona rückgängig zu machen. Eine echte Vision, wie sie die Grünen hatten, fehlt noch.

Wenn wir jedoch einen wertneutralen Vergleich ziehen zu den frühen 80er-Jahren, fällt auf, dass heute rein strukturell etwas Ähnliches abläuft wie damals. Auch wenn die Realität immer größer ist als ihre Darstellung wurden die Grünen damals in Realos und Fundis unterteilt. Vereinfacht formuliert wollten die Fundis die Welt retten, waren jedoch überfordert damit, eine Partei zu führen. Die Realos hingegen, unter ihnen Joschka Fischer, waren durch ihre jahrelange politische Agitationsarbeit geschult darin, sich selbst zu präsentieren und Menschen zu führen und gewannen schließlich die Oberhand. Der Name Realos suggeriert zwar eine gewisse Pragmatik. Dennoch handelte es dabei um Menschen, die es gewohnt waren, für ihre Belange in den wilden 70ern auch auf der Straße zu kämpfen.

Auch bei den Querdenkern scheint es diese Kräfte zu geben. Auf der einen Seite sehen wir unbedarfte Bürger und verträumte Hippies, die laut eigenem Bekunden vor Corona vollkommen unpolitisch waren und nun aufgrund eines unguten Bauchgefühls zu aktiven Widerständlern wurden. Manche RednerInnen wirken geradezu naiv und menschlich, Meilen weit entfernt von jeder Rhetorik-Schulung. Sie bilden damit einen extremen Gegenpol zu einer oftmals technokratisch wirkenden Politikerklasse, der vorgeworfen wird, den Draht zum Volk verloren zu haben. Während unsere Kanzlerin ihr Volk nur selten an ihren Emotionen teil haben lässt, strömen die Gefühle aus vielen RednerInnen geradezu heraus. Kein Wunder, dass hier der Vorwurf des Populismus fällt. Denn die Menschen auf der Bühne sind nur selten echte Profis, sondern unterscheiden sich meist kaum von den Menschen vor der Bühne. Sie sind damit keine Populisten im Sinne von Volksverführern, sondern selbst ein Teil des Volkes. Um dies zu verdeutlichen, wurde eine kürzlich abgehaltene Demo in Nürnberg als Kreis aufgebaut. Die RednerInnen standen in der Mitte, die ZuhörerInnen um sie herum. Als die Grünen in den 80ern starteten, wurde dies ähnlich wahrgenommen. Sie strickten im Parlament, trugen Alltagskleidung und Joschka Fischer wurde einige Jahre später zum ersten Turnschuh-Minister. Waren die Grünen damals populistisch? Zumindest repräsentierten sie einen Teil des Volkes, der bis dato nicht im Bundestag vertreten war. Auch dies ist heute wieder der Fall. Manche Demonstranten wählen sicherlich die AfD. Diese kann jedoch nach wie vor kaum von den Demonstrationen profitieren. Folglich finden sich viele der Demonstranten mit ihrem Ansinnen nicht im Parlament wieder. Die Querdenker werden damit zur neuen APO.

Auf der anderen Seite gibt es im weiteren Umfeld der Querdenker Kräfte, die wir als agitationsgeschult einstufen können. Diese Kräfte kommen, analog zu den Grünen damals, nicht aus dem extremen Linken, sondern aus dem extremen rechten Spektrum. Wie eine aktuelle Reportage des Spiegels zeigt, ist die Querdenker-Szene tatsächlich eng mit rechten Agitateuren verbunden. Dass diese Kräfte eine Vision von der Welt nach Corona haben, die den Querdenkern fehlt, macht die Sache nicht einfacher. Es bleibt abzuwarten, ob die bunte und politisch unerfahrene „Fundi“-Truppe um Michael Ballweg von Rechten vereinnahmt wird oder ob sie es schafft, sich glaubwürdig abzugrenzen. Schafft sie die Abgrenzung, könnte sie die politische Diskussion tatsächlich bereichern. Schafft sie es nicht, wird sich die Bewegung extremisieren und für einige Demogänger an Glaubwürdigkeit verlieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Hübler

Coach, Mediator, Organisationsentwickler, Autor

Michael Hübler

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