Widerstand in Corona-Zeiten

Demonstrationen Ein paar Gedanken zum Widerstand in Krisenzeiten

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David gegen Goliath

Eine Schlüsselszene in der Serie "Haus des Geldes" erzählt gleichzeitig den Kern wie das Erfolgsrezept der Serie. Der Professor, Chef einer Gruppe von Bankräubern im ganz großen Stil, erklärt seiner Frau- und Mannschaft die Macht des Widerstands. Sinngemäß: "Wenn die spanische Nationalmannschaft gegen Kamerun spielt, wen wünschen sich die meisten Menschen als Gewinner?" Die meisten Spanier stehen wohl auf der Seite Spaniens. Aber alle anderen wollen, dass Kamerun gewinnt. Dieses Prinzip ist so alt wie die Bibel, als David gegen Goliath antrat, und wird regelmäßig instrumentalisiert. Donald Trump spielt mit seinem Image als Gegner des Establishments. Die AfD ebenso. Oder Apple gegen Microsoft. Manchmal entspricht dieser Mythos der Realität. Am Beispiel Trump sehen wir, dass er auch weit weg davon sein kann. Er funktioniert dennoch. Er emotionalisiert und mobilisiert.

Abweichler verändern die Geschichte

Auch in "Haus des Geldes" steht die öffentliche Meinung auf der Seite der sympathischen Verbrecher, während die Vertreter des Staates mindestens zweifelhaft erscheinen. Erst recht, als heraus kommt, dass der Staat einiges zu verbergen hat, foltert und mordet. Die Menschen lieben den vermeintlich schwächeren David, der den Mut aufbringt, sich gegen den großen Goliath aufzulehnen. Dabei prägten Abweichler die Geschichte oftmals stärker als die große Masse der Menschheit. Einstein war nicht gerade eine Ausgeburt an sozialer Kompetenz. Und dass Gandhi in Berlin auf Plakaten mitmarschierte ist kein Wunder.

Der Applaus der Massen

In Oberitalien scheint es in jeder größeren Stadt eine Statue oder ein Museum zum Gedenken an die Partisanen aus dem 2. Weltkrieg zu geben: "Bella Ciao, bella ciao, bella ciao". Die Partisanen damals unterhielten sich wohl kaum darüber, ob sie jemals eine Anerkennung in Form einer Statue bekämen. Das zeigte sich erst viele Jahre später. Heute errichten sich Widerständler selbst täglich eine Statue im Internet, beispielweise auf Youtube, und ernten bereits jetzt Bewunderung in Form von Likes für ihren Mut in einer Anzahl, von der frühere Partisanen nur träumen konnten.

Zwischen Opfermythos und Sexyness

Wer sich gegen die Mehrheit auflehnt, bedient zum einen einen Opfermythos. Demonstrationen zu verbieten oder Demonstranten abzuführen ist aus strategischer Sicht das Schlechteste, was ein Staat machen kann. Außer er möchte beweisen, dass er selbst der Böse ist. Dann ist es hilfreich. Gleichzeitig ist Widerstand sexy, weil hier wenige Menschen auf die Straße gehen, um für etwas einzustehen, dass viele Menschen anders sehen. Erst recht, wenn sie dafür Repressalien erwarten müssen.

Wie viele sind "Wir sind viele"?

Dabei stellt sich auch die Frage, mit wie vielen Menschen wir es tatsächlich zu tun haben? Wenn die WiderständlerInnen rufen: "Wir sind mehr!", wer ist dann dieses "Mehr"? In Berlin waren es zwar laut offizieller Zählung lediglich 40.000 Demonstrierende. Dabei liegen die Zahlen der Maßnahmen-Skeptiker seit Monaten stabil auf etwa 33%. Hinter den 40.000 stehen folglich eine Menge mehr Menschen mit ähnlichen Meinungen. Medien diskutieren gerne über die Extremen. Diese sind freilich spannender als Lieselotte und Horst Müller aus dem Supermarkt an der Ecke. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass etwa 20 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland die aktuellen Maßnahmen mindestens kritisch sehen, haben wir ein ernsthaftes Problem. Gehen wir weiter davon aus, dass diese 20 Millionen rechtsextrem und verschwörungsgläubig sind, wie manche Medien suggerieren, erhöht sich unser Problem um ein vielfaches. Gingen wir stattdessen davon aus, dass von diesen 20 Millionen Kritikern lediglich eine kleine Anzahl, vermutlich kleiner als die 40.000, extrem eingestellt ist, könnten wir eigentlich aufatmen. Dennoch stellt sich die Frage, was diese schweigende Minderheit denkt und wie Politik und Leitmedien mit dieser schweigenden Minderheit umgehen sollten?

Moral, Hypermoral, Regeln und Rituale

Auf der einen Seite steht also der Common Sense, die Solidarität und die Moral, die insbesondere in Krisenzeiten in eine Hypermoral abdriftet: Ich denke nicht einmal daran, etwas Verbotenes zu tun, selbst wenn mir das mein gesunder Menschenverstand einflüstert. Wie Susanne Gaschke in einem Kommentar in der Welt schreibt, scheinen viele Deutschen Regeln geradezu zu lieben. Soweit muss man vielleicht nicht gehen. Aber Regeln und Moral in schwierigen Zeiten dienen der Reduktion von Komplexität und bieten damit Sicherheit. Selbst die Rituale des täglichen Händewaschens und Maskierens bieten eine Orientierung, an der ich mich festhalten kann. Aber bitte nicht an der Außenseite der Maske. Dabei sind einigen Mitmenschen die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus noch lange nicht genug. Müssen wir uns hier Sorgen um einen grassierenden Masochismus machen?

Widerstand hat viele Gesichter

Auf der anderen Seite stehen WiderständlerInnen gegen die vorherrschende Meinung. Die Demonstrierenden auf der Straße lassen sich eindeutig zuordnen. Wo jedoch beginnt der Widerstand und wo hört er auf? Wenn private Feste zwar offiziell mit bis zu 200 Personen im Freien erlaubt sind, es jedoch inoffiziell die Order gibt, sich lieber zwei mal zu überlegen, ob ich ein Fest wirklich durchführen muss, wirkt die schwammige Empfehlung kraftvoller als das Gesetz. Am Ende bin ich schuld, dass jemand aus meinem Umfeld angesteckt wurde. Was ist schon notwendig? Und ist es bereits widerständlerisch, ein Fest auszurichten, selbst wenn die Hygieneregeln beachtet werden? Ein Psychohygiene-Fest, nachdem die Möglichkeit gemeinsamen Feierns in den letzten Monaten bei vielen Menschen auf das Wesentliche reduziert war? Ist Spaß zu haben bereits ein Widerstand? Oder ein Entspannungs-Urlaub, bevor der Corona-Tanz im Herbst und Winter wi(e)der losgeht?

Widerstand findet nicht nur auf der Straße statt. Widerstand hat viele Gesichter. Und der ein oder die andere scheint sich gerade einfach so durchzuwurschteln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Hübler

Coach, Mediator, Organisationsentwickler, Autor

Michael Hübler

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