Geburtstagsglückwunsch an das Grundgesetz

Lyrik …. Das Gedicht wurde im Januar 2013 verfasst, „verstaubte“ dann etwas in einer Datei und erst am 65. Geburtstag des GG fiel es dem Autor wieder ein ;) …

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Geburtstagsglückwunsch an das Grundgesetz
(zugleich ein Nachruf)

Ursprünglicher Titel: Vorgezogener Geburtstagsglückwunsch für das Grundgesetz
(zugleich Nachruf)

Hallo liebes Grundgesetz,

Ich schicke dir 'nen Gruß durch Netz.

Ich hab' dir ein Gedicht verfasst,

Weil du bald Geburtstag hast.

Vierundsechzig wirst im Mai,

Wenn das mal nichts zu feiern sei.

Doch will ich dir was and'res sagen,

So kurz vor deinen Feiertagen.

Es geht um deinen Artikel 1,

Den mit der Würde des Menschenseins

Das große Wort der Menschenwürde,

War immer deine größte Hürde.

Unantastbar sollt' sie sein —

Für alle Menschen – groß und klein.

Doch die Struktur der Gesetzgebung

Hatte 'ne besond're Lesung:

Gesetze einfacher Natur

Können sein einer Kultur,

Dass sie setzen eine Norm,

Die nicht sein muss verfassungskonform.

Mit and'ren Worten, kurz und knapp:

Man schliff nicht die Verfassung ab,

Sondern überstülpte sie,

Mit Gesetzesbürokratie.

Und die fraß dann von innen her,

Das Grundgesetz so langsam leer.

So lief das Ganze wie geölt,

Du, Grundgesetz, wurd'st ausgehöhlt,

Über Jahre und Jahrzehnte,

Denn mancher sich wohl danach sehnte,

Dass man könnte durchregieren,

Ohne sich groß zu genieren,

Dass da eine Grundverfassung

Brächte einen aus der Fassung.

Als du gebor'n, wie war das da?

Warst du da allen Deutschen nah?

Als man dich aus der Taufe hob,

War'n da alle voller Lob?

Geschrieben wurde auf Papier

"Grundgesetz, dich brauchen wir."

Man brauchte dich, oh Grundgesetz,

Als äußeres Verfassungsnetz,

Um darauf einen Staat zu gründen

Nach all den ganzen Nazi-Sünden.

Selbst jene, die sie weiterführten,

Dich gerne auch als nützlich kürten.

Und nächstes Jahr gehst du in Rente,

Deine Arbeit ist dann zu Ende.

Dann wirst du feierlich entlassen,

Mit großen Feiern für die Massen.

Dann kommst du auf dein Altenteil,

Vielleicht bist du ja dann noch heil,

Denn durchgelöchert wirst du sein,

Und glänzen wirst mit matten Schein.

So, Grundgesetz, genieß die Zeit,

Denn dein Tod, der ist nicht weit.

Und wenn du dann gestorben bist,

Dich man danach auch bald vergisst.

Wenn du Glück hast, kommt ein Retter,

Der dich bewahrt vor'm Leichenfledd'rer

Und vor allen jenen Leuten,

Die dich auch im Tod noch häuten.

Grundgesetz, werd' an dich denken,

Wenn Deutschland werden Leute lenken,

Denen du schon immer schienst,

Ein Dorn im Auge in ihrem Dienst;

Die Deutschland in der Welt vertraten,

Doch deinen Geist noch heut' verraten;

Die dich benutzten für ihren Zweck,

Doch dich bewarfen mit Schmutz und Dreck.

Grundgesetz, du warst geduldig,

Doch blieb man dir die Ehre schuldig,

Zu sein das höchste Maß im Lande ...

Doch dazu war man nicht im Stande.

Drum lebe wohl, genieß die Tage,

Bis man dich legt auf eine Trage,

Die dich dann bringt ins Hospiz rein,

Wo man dich langsam schläfert ein.

Danach wirst du ganz leis' begraben,

Ein Einzelgrab wirst du schon haben.

Auf deinem Grabstein wird man schreiben

Worte, die dir als letztes bleiben:

"Deinen Namen man dir ließ,

Der Rest, der ging … so Rest In Peace."



Michael Winkler

Geschrieben in Lissabon, 18.01.2013 …
korrigiert in Dresden, Mai 2014

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Geschrieben von

Michael Winkler, Dresden

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Michael Winkler, Dresden

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