Der ESM geht in eine neue Runde und überrundet sich vermutlich bald (wieder) selbst. Eingeschalten hat sich auch wieder mal Bundespräsident Joachim Gauck, der seine ersten 100 Amtstage irgendwann die letzten Wochen hinter sich gebracht hatte. Auf GMX.NET war über sein Sommerinterview beim ZDF folgendes zu lesen:
"Manchmal ist es mühsam zu erklären, worum es geht. Und manchmal fehlt die Energie, der Bevölkerung sehr offen zu sagen, was eigentlich passiert. Da kann ich helfen." Die Politik insgesamt würde manchmal zu wenig kommunizieren.
Etwas weiter unten im Text wird Gauck dann „offener“:
Die Ergebnisse des Brüsseler EU-Gipfels vergangene Woche bewertete Gauck nach ZDF-Angaben aus deutscher Sicht als nicht zu negativ. Bei Verhandlungen und Auseinandersetzungen setze sich selten eine Seite komplett durch. Finanzprobleme bräuchten Zugeständnisse. Für den italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti sei es offenbar wichtig gewesen, "nach Hause zurückzukehren und in seiner Bevölkerung Handlungsfähigkeit zu demonstrieren", so Gauck. "Für mich war aber wichtig zu hören, dass nicht alle Felle davongeschwommen sind und dass auch nicht rote Linien überschritten sind", betonte Gauck.
Wegschwimmende Felle? Rote Linien? Warum so metaphorisch, Herr Gauck?
Was meinte er konkret damit? Geht's bei den Fellen nur um's rein Monitäre? Um Piepen, Kohle, Penunzen etc.? Haben die Felle etwas mit der Angst vor Inflation oder Hyperinflation zu tun? Ist eine der roten Linien der absolute Verlust nationaler Eigenständigkeit zu Gunsten einer reinen EU- bzw. EP-Politik?
Tja, vielleicht löst Angela Merkel ja irgendwann dieses Rätsel auf und spricht Klartext? Was allerdings bezweifelt werden darf angesichts ihrer meist allgemein gehaltenen Worte. Vermutlich kann sie auch gar nicht Klartext reden, denn dann könnte man nicht nur die momentane Version des Euro vollkommen abschreiben, sondern die Politik gleich mit.
Ich kann mir nicht helfen, doch irgendwie scheint es mir, dass man seitens der Politik innerlich noch auf einen geeigneten Sündenbock wartet, auf den man es schieben kann. Wenn doch wenigstens die USA oder China mit samt ihrer Währungen zuerst kollabieren könnten, dann könnte man den Euro-Kollaps als Folge dessen verkaufen.
Naja, irgendwie sieht's nach Bürokraten-Mikado aus, wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Dumm nur, dass Europa momentan an der Reihe zu sein scheint und ein Aussetzen (für Frau Merkel „Aussitzen“) gibt es in diesem Fall nicht.
Kommentare 4
Wieder Lesearbeit:
http://www.european-council.europa.eu/media/582866/02-tesm2.de12.pdf
Bevor man darüber diskutiert, sollte man sich die Mühe machen, wenigstens den ESM textlich zur Kenntnis zu nehmen.
Die Debatte wird teilweise unter bewußter Auslassung, anders kann man einige Stimmen jedenfalls nicht interpretieren, des Vertragstextes geführt.
Nicht dass es an dem Text nichts auszusetzen gäbe.
Wenn jedoch, dann wäre das auf Grundlage des Vertragstextes etwas zielführender imao.
Finde diese "roten Linien " auch merkwürdig. Dieser Bundespräsident ist immer da , wo der bundesrepublikanische Mainstream ist. Vielleicht hat er es bei diesem Thema noch nicht gewusst, wo der bundesrepublikanische Mainstream ist.
@ M.Einer
Danke für die Verlinkung des Vertragstextes.
Sicher ist eine intensivere Beschäftigung damit der Sache des ESM-Verständnisses dienlich und "zielführender", um mal eines deiner Worte zu verwenden. Doch nach 10-15 Seiten Überfliegens stellten sich mir mehr Fragen als Antworten, u.a. sehe ich die starke (stärkere ?) Abhängigkeit zum IWF als mehrfachen Stirnrunzler an.
Sicher wäre es auch gut, vor jeglicher Diskussion sich erst einmal zu informieren. Doch mal ehrlich, wenn eine Firma derartige Manöver machen würde wie die Bundesregierung, wäre sie nach einem Jahr weg vom Fenster. Man kann nun argumentieren, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung oder ähnlicher Institutionen sein kann, allen alles bis ins letzte Detail zu erklären (wofür gibt es die Presse als sog. vierte Säule der Demokratie?) ... doch - und ja, das kann man gern als "Rausreden" meinerseits interpretieren - es ging in meinem Beitrag weniger um den ESM an sich, sondern um die Kommunikation der ganzen Sache.
Dass Frau Merkel sich so verhält wie sie sich eben verhält - geschenkt (ich habe sie nicht gewählt und erwarte nix von ihr), dass Herr Gauck Klarheit will und dann plötzlich selbst in Andeutungen verfällt - geschenkt (ich habe ihn nicht gewählt und erwarte nix von ihm). Doch ich äußere gern meine eigenen Gedanken zu diesem Thema, selbst wenn sie abwegig und ohne Fundament sein sollten ... und belasse es nicht beim Kommentieren von Artikeln anderer (siehe z.B. dein Artikel-Kommentar-Verhältnis von 0:22).
In diesem Sinne ... schreib doch mal was über den ESM-Vertragstext, M.Einer ... viel Glück dabei und danke im Voraus ;)
@ Poor on Ruhr
Ich kann Joachim Gauck schwer einschätzen, manches ist nachvollziehbar, bei anderen Themen weiß ich nicht genau, welche Art von Gesellschaft er sich so vorstellt.Ich glaube mir fehlt etwas eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus seitens Herrn Gauck(s ? ;)). Er geht dann meist in eine Richtung à la "Was wollt ihr denn dann? Kommunismus vielleicht?". Das ist zwar im Grunde okay, auch wenn für ihn Kommunismus ausschließlich aus den gescheiterten Experimenten des 20. Jhds. zu bestehen scheint, doch für mich persönlich nicht ausreichend.
Für einen Bundespräsidenten, der nicht vom Volk gewählt wurde, ist er allerdings genau richtig an seinem Platz. So einen braucht Frau Merkel, auch wenn sie ihn vielleicht nicht wollte. Er hilft ihr jedenfalls mehr als Wulff und Köhler zusammen.
Zum Thema passend ... Und wieder sehen welche „rote Linien“