Was haben THE CURE mit Wave & Gothic zu tun?

WGT Leipzig In Leipzig findet derzeit das 25. Wave&Gotik-Treffen statt. Mitunter wird der britischen Band The Cure ein Einfluss auf die Szene nachgesagt. Ein Missverständnis?

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The Cure als Band der Gothic-Szene? Bandgründer Robert Smith hat dazu seine eigene Meinung
The Cure als Band der Gothic-Szene? Bandgründer Robert Smith hat dazu seine eigene Meinung

Foto: David Wolff - Patrick/Getty Images

MDR Kultur widmete den Freitag, ein 13. im Übrigen, fast ganztägig dem ersten Tag der 25. Auflage des Wave-Gotik-Treffens in Leipzig. Zwischen diversen Interviews mit Kennern der Szene wird szenetypische Musik gespielt, u.a. „Lullaby“ von The Cure. Die Band habe einen großen Einfluss auf die Szene gehabt, heißt es. So weit, so teilweise gut. Denn was verbindet The Cure mit der Wave-Gotik-Szene eigentlich?

Was sagt Cure-Mastermind Robert Smith selbst?

The Cure bzw. vielmehr Bandgründer Robert Smith, der als einzig permanentes Mitglied wohl am ehesten für eine Beantwortung dieser Frage geeignet scheint, meinte dazu in einem im FOCUS zitierten Interview folgendes:

„Als wir anfingen, gab’s diesen Gothic-Stil noch gar nicht […] Die Medien haben uns dieses Image angedichtet. Es gibt aus unserer Frühzeit kein einziges Foto oder Video, auf dem wir so jämmerlich wie eine Gothic-Band aussehen. Wir haben uns nie zu dieser Szene dazugehörig gefühlt. Als wir begannen, kamen wir aus der Postpunk-Bewegung. Aber Gothic? Das war immer ein Missverständnis.“

aus FOCUS, 21.04.2009: »Gothic? Das war immer ein Missverständnis«

Im Jahr 2004 beantwortete Smith in einem Interview mit der Zeitschrift GALORE die Frage „Sie werden häufig als Pate des Goth-Rocks bezeichnet. Gefällt Ihnen das?“ folgendermaßen:

„Welcher Teil davon sollte mir gefallen? Der Titel allein? Den kann ich dann in den Kopf meines Briefpapiers drucken lassen. (lacht) Ich nehme das nicht so ernst. Ich habe früher bei Siouxsie And The Banshees gespielt – das war eine Goth-Band. Das Aussehen spielte dabei eine große Rolle, ich trug ein Kruzifix, verschiedene Rosenkränze und alle möglichen Goth-typischen Dinge. Eigentlich fand ich die ganze Sache ziemlich bescheuert. Zur selben Zeit habe ich mit The Cure Songs wie „The Lovecats“ [1983, Anm. M.W.] gemacht. Da war ich wirklich nicht der Pate des Goth!“

GALORE Interviews, Vol. 4, Okt./Nov. 2004, S. 135f.

The Cure und die Kategorien

Wenn man sich die Entwicklung von The Cure bzw. Smith anschaut, so fällt der extreme Bruch im Jahr 1982 auf. Mitte der 1970er Jahre vom (Post)Punk kommend fielen das zweite und dritte Album – „17 Seconds“ (1980) und „Faith“ (1981) – sehr introvertiert und nahezu morbid aus. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete jedoch „Pornography“ von 1982, dass laut Aussagen mancher Fans als „das“ Album von The Cure angesehen wird. Möglicherweise setzte sich Robert Smith textlich nie wieder so stark mit existentialistischen* Fragen auseinander wie auf dieser Platte. Textzeilen wie „It doesn't matter if we all die“ aus dem Opener „One Hundred Years“, „Leave me to die, You won't remember my voice“ aus „Siamese Twins“ oder „I must fight this sickness, find a cure“ aus dem letzten titelgebenden Song der Platte, „Pornography“, lassen sich vielseitig interpretieren, doch vermutlich kaum optimistisch. Zu dieser Zeit quälte sich vor allen Dingen Smith mit Drogenproblemen herum, die Band stand vor dem Aus.

Eingebetteter MedieninhaltThe Cure – Siamese Twins (1982/83)

Noch im November desselben Jahres kam die Single „Let's go to Bed“ auf den Markt, die alles andere als Todessehnsucht ausstrahlte, sondern Lebensfreude pur, wenngleich sich die Texte zumindest noch teilweise mit Themen wie Tod, Leid oder Schmerz befassten. Die Nachfolgesingles „The Walk“ sowie „The Love Cats“ wurden genauso poppig und noch erfolgreicher. Mit letzterem Song schafften es The Cure sogar erstmals in die britischen Top 10.

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The Cure – The Lovecats (1983)
Originalvideo auch auf tape.tv

Während sich The Cure im Grunde neu erfanden, lief bereits die Pop-&-Wave-Schiene, um die nächsten Jahre bald ihren Zenit zu übersteigen. Ein Teil dieser Ära waren The Cure wohl bestenfalls äußerlich. Smiths extrovertiertes Aussehen, u.a. roter Lippenstift und toupiertes Haar, erklärte er selbst u.a. mit seiner Schüchternheit auf der Bühne. Und wer The Cure einmal live gesehen hat, kann bestätigen, dass es sicher größere Rampensäue als Smith gibt. Der langjährige Bassist Simon Gallup fiel durch sein etwas mehr körperbetontes Auftreten fast schon etwas aus dem Rahmen. Smiths Element ist eher die Kamera, vor der er mehr aus sich herausgeht als auf der Bühne. Videos wie jene von „The Lovecats“ (1983), „Why Can't I Be You?“ (1987), „Never Enough“ (1990) oder „The 13th“ (1996) sind nicht nur Zeugnisse von Smiths breitem musikalischem Spektrum, sondern zeigen ebenso, dass das vermutlich soviel mit Wave & Gothic zu hat wie Eisbären mit dem Südpol. Genauso könnte man wohl Beethoven aufgrund einiger seiner Moll-Werke oder Mozart wegen seiner exaltierten Frisur als Goths bezeichnen.

Anfang der 1990er Jahre kam mit „Mixed Up“ sogar ein fast schon Techno-House-affines Album von geremixten The-Cure-Hits auf dem Markt. Seit Anfang der 2000er Jahre ist Smith auch immer wieder als Sänger von Dance- & Electrosongs in Erscheinung getreten, u.a. mit Junkie XL, Junior Jack, Faithless, Paul Hartnoll (Orbital) oder Crystal Castles.

Eingebetteter MedieninhaltJunior Jack feat Robert Smith – „Da Hype“ (2004)

Last but not least

Alles in allem ist die Wave-Gothic-Szene in ihrem durchschnittlichen Erscheinungs- und Wesensbild wohl bestenfalls ansatzweise mit den The Cure von vor 30 Jahren zu vergleichen. Während sich The Cure weiter entwickelten, scheinen sich die meisten Waver-Gothics allerdings bestenfalls kleidungstechnisch immer mal wieder neu zu erfinden bzw. man erfindet etwas für sie. Schon längst gibt es Klamottenproduzenten, die sozusagen "Gothic-Kleidung von der Stange" anbieten. Unter wahren Anhängern der Szene dürfte diese Kommerzialisierung vermutlich verpönt sein, denn ein Gothic-Gefühl zu leben, ist etwas anderes als sich primär über die Kleidung zu definieren. Wie bei allen Lebensstilen zeigt sich der wahre Anhänger primär im Inneren statt nur im Äußeren. Und insofern dürften die Überschneidungsräume von The Cure und Gothic vielleicht sogar mitunter größer sein als Smith selbst es wahrhaben möchte.

Was allerdings eine möglichen Einfluss auf die Entstehung des WGT gehabt haben könnte, war eines der ersten Konzerte von The Cure in Leipzig im August 1990. Ein Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung beginnt wie folgt:

„Leipzig – Endlich auch in der DDR: Rund 15 000 Anhänger der exzentrischen Pop-Gruppe "The Cure" um Robert Smith hatten sich auf der Festwiese vor dem Zentralstadion in Leipzig eingefunden (natürlich im entsprechenden Outfit: schwarze Sachen, bleich geschminkt, die Haare wild gestylt) und erlebten ein Konzert, bei dem die Emotionen in ungeahnte Höhen stiegen.

Mitteldeutsche Zeitung, 06.08.1990,
»The Cure überzeugten mit emotionsgeladenen Klängen«

15.000 Anhänger damals, etwas mehr beim WGT 2016, primär dunkle Kleidung, viel Schminke … soviel dürfte sich also in den letzten 25 Jahren in Leipzig nicht verändert haben – Gothic-Mythos hin oder her.

* Bereits die erste Cure-Single "Killing an Arab" aus dem Jahr 1978 basierte inhaltlich auf Albert Camus "Der Fremde", welches als eines der Hauptwerke der Philosophie des Existentialismus gilt. Der oft missverstandene Songtitel wird seit 2005 live häufiger als "Kissing an Arab" gespielt.

PS: Und für alle, die es noch nicht oft genug gehört haben, noch das eingangs erwähnte "Lullaby".

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Geschrieben von

Michael Winkler, Dresden

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