Der Biedermann als Anstifter

Seehofer Der Griff des Heimatministers in die rechte Schublade irritiert die Republik. Weshalb eigentlich?

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"Horst der Hüter wacht über uns und unsere 'Leitkultur'"
"Horst der Hüter wacht über uns und unsere 'Leitkultur'"

Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images

Gehört der Bayer zu Deutschland, nicht aber seine Lederhose? Gehört das Sofa zu Deutschland, aber der Diwan nicht? Gehört der Muslim zu Deutschland, nicht aber der Islam?

Der Wiederaufguss dieser Debatte entpuppt sich letztendlich als Austausch inhaltsleerer, unsinniger Sprechblasen. Denn was würde es bedeuten, was würde es ändern, „gehöre“! der Islam nicht zu Deutschland. Oder die Lederhose. Oder der Diwan.

Nichts würde sich ändern. Auch Horst Seehofer weiß das natürlich. Gezielt hat der markige Macher ins Wespennest gestochen. Viel Lärm um nichts. Und im Getöse überhört man leicht, was der Heimatminister sonst so von sich gibt.

Von „Auffangzentren“ an den Grenzen spricht er, inklusive 1 ½ jähriger Kasernierung der Flüchtlinge. Das erinnert an 1987, als er AIDS-Patienten „in speziellen Heimen konzentrieren“ wollte. Heute sind also die Islam-Infizierten dran. Kein Thema?

Nun nicht mehr. Allfällige Empörung ersetzt substantielle Kritik. Seehofer schlägt mehrere Fliegen gleichzeitig mit seiner großen Klappe: Er stiehlt dem Parteifreund Söder die Show, dessen Kür in München nur beiläufig Resonanz findet, präsentiert sich selbst als „harten Hund“ und bestimmt den Diskurs, indem er ein nebensächliches Scharmützel eröffnet.

Die Bibel immer im Anschlag wird er die Heimat verteidigen und sich „gegen Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme wehren - bis zur letzten Patrone!“, wie er es schon 2011 schwor. Aber nicht nur unseren materiellen Wohlstand und unser Gesundheitssystem sieht er bedroht, auch „unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche“. Sogar – man höre und staune „der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten“ scheinen durch einen außerordentlich klandestinen, maliziösen Angriff der ansonsten „selbstverständlich“ zu Deutschland gehörigen Muslime in Gefahr. Aber, keine Sorge: „falsche Rücksichtnahme“ wird es unter diesem aufrechten Deutschen nicht geben. Dem christlichen Gott sei Dank: Horst der Hüter wacht über uns und unsere „Leitkultur“.

Die AfD jubelt: „Diese Botschaft hat Horst Seehofer wortwörtlich unserem Grundsatzprogramm entnommen!“

Das „Heimatmuseum...äh, Heimatministerium...Heimatministerium...“ hält Seehofer für die geeignete Maßnahme, „die Bürger zurück zu gewinnen“ und überhaupt für den „Renner schlechthin. Im Kern geht es darum, dass die Menschen einen Sinn darin sehen, in ihrer Heimat zu bleiben.“

Wie bitte? Welche Menschen sind denn gemeint? Wollen die Deutschen zuhauf aus ihrer Heimat fliehen? Oder soll dieses Heimatmysterium die Fremdlinge davon überzeugen, dass es sich in ihrer ursprünglichen Heimat, ihrem Geburtsland doch viel besser leben bzw. sterben lässt?

Als eine seiner ersten Amtshandlungen avisiert der unerschrockene Kämpe einen „Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen...Die Zahl der Rückführungen muss deutlich erhöht werden!“ In seiner Heimat Bayern unter dem Ministerpräsidenten Seehofer ist dieser „Masterplan“ schon gründlich misslungen, die „Zahl der Rückführungen“ sinkt von Jahr zu Jahr. Trotz „Heimatmuseum...äh, Heimatministerium... Heimatministerium“.

„Wir wollen das Land erneuern“, sagt der Vorsitzende der CSU: „Wir wollen den Hauptgrund für das desaströse Wahlergebnis für CDU, CSU und SPD überwinden, nämlich die Polarisierung unserer Gesellschaft.“ Jetzt wird es also auch noch tiefenphilosophisch: Das probate Mittel, die planlose, geradezu anarchische Polarisierung der Gesellschaft zu überwinden, ist es also, gemeinsam der seehoferschen Polarisierung zu folgen. Darauf muss man auch erst einmal kommen.

Die AfD irrt, wenn sie glaubt, der Innenminister habe es nötig, ihr Programm zu kopieren. Wie in der Fabel vom Hasen und dem Igel waren Seehofer und die CSU schon lägst auf der xenophoben Position, als die AfD dort ankam. Aber hat es der CSU genutzt? Die letzten Wahlergebnisse sprechen nicht dafür.

Der Igel Seehofer meinte es ernst, als er schon vor Jahren beschloss, es dürfe keine erfolgreiche Partei Rechts von der CSU geben. Und er meint es immer noch ernst. Prompt ist der brave Zweitigel Söder natürlich auch schon da und faselt mit mit wichtigem Gesicht und erhobenem Zeigefinger von einer „demokratischen Rechten“, als hätte sich die AfD durch undemokratische Wählerstimmen in den Bundestag gemogelt.

Auch schon Seehofers schmallippiger Vorgänger von der CDU gab vor, sich hauptsächlich mit den Folgen der „Flüchtlingskrise“ und dem angeblich damit verbundenen islamistischen Terror schneidig zu widmen. Aber hat es der CDU genutzt? Die letzten Wahlergebnisse sprechen nicht dafür.

Rechtsorientierte, menschenverachtende Rhetorik ist nicht das Heilmittel gegen die Abstiegsängste der Deutschen. Auch die ständige Erhöhung der Dosierung des falschen Medikaments lindert die Beschwerden des Patienten nicht. Flüchtlings-Bashing ist ein unwirksames Placebo.

Die seit zwanzig Jahren einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer veränderte Arbeitsmarktpolitik der Koalitionäre ist Ursache der nicht völlig unberechtigten Furcht vor Arbeitslosigkeit und daraus folgender Altersarmut.

Die angebliche „Flüchtlingskrise“ dient als Sündenbock einer Politik, die den Wohlhabenden gibt und sich bei den weniger Begüterten bedient.

Vom eigenen Versagen abzulenken, indem man Minderheiten stigmatisiert und diskriminiert, ist eine bis in die heutige Zeit virulente Strategie der zu sozial ausgeglichener Politik Unfähigen und Unwilligen. In den USA sind die „Mexikaner“ Schuld, in Großbritannien die „EU-Ausländer“, in Frankreich die „Nordafrikaner“ und in Deutschland sind es nun die „Migranten“, die in den beflissenen Medien zunehmend den „Flüchtling“ verdrängen, bis dieser eines Tages mit dem Rücken zur Wand steht und auf die „letzte Patrone“ wartet.

Seehofers islamfeindliche Attacke ist nicht nur dummdreist und verantwortungslos, sie grenzt an Volksverhetzung und ist im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich für die Attackierten. Gerade wir Deutschen sollten uns daran erinnern, wie schnell wohlfeile Propaganda dieser Art in die politische und humanitäre Katastrophe führen kann.

Deutschland braucht keinen Biedermann als Anstifter zur weiteren Diffamierung der Flüchtlinge in diesem breit gefächerten Ressort. Horst Seehofer hat sich bereits in aller kürzester Zeit als völlig ungeeignet für das Amt erwiesen, in das er sich nach eigener Aussage gerettet, man könnte auch sagen: geflüchtet hat.

Deutschland benötigt einen Innenminister der sich auch als Integrationsminister versteht. Einen Anstifter zu Solidarität. Den Initiator einer ministerien- und länderübergreifenden „konzertierten Aktion“, die aus dem Schlagwort „Integration“ eine Erfolgsgeschichte macht. Nur so nimmt man der AfD den Wind aus den Segeln. Es ist zu „schaffen“, wenn man es wirklich will.

Nebenbei bemerkt: Ungewollt offenbaren Seehofer, Söder und andere Deutschtümler eine erschreckende Unkenntnis ihrer „Leitkultur“, denn sonst wüssten sie:

„Wer sich selbst und andre kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.“

Johann Wolfgang von Goethe





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