„Was machen linke Parteien falsch?“

Linke Politik Sachsen-Anhalt 2021 oder Was machen linke Parteien falsch?

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Schade, die CDU hat die 5%-Hürde geschafft. Hatte ich auch nicht anders erwartet, trotz der Hoffnung aufs Scheitern. Der mdr hatte in einer Umfrage gebeten, anzugeben, was einem vor der Landtagswahl bewegt und meine Antwort war die Hoffnung darauf, dass eigentlich die vielen Skandale in Sachsen-Anhalt endlich mal den Schuldigen zugerechnet werden und dieses CDU-Ergebnis entsteht. Manche Skandale sind überregional bekannt, manche weniger.

Recht bekannt sind das Versagen bei den Rundfunkbeiträgen, der Wahlbetrug in Stendal, der Versuch von CDU-Abgeordneten, das nationale mit dem sozialen zu verbinden, regionale Zusammenarbeit von CDU und AfD, der Fördermittelbetrug in Dessau, der Versuch von Innenminister Stahlknecht einen polizeigewerkschaftlichen Rechtsausleger als Staatssekretär zu installieren. Die Liste ließe sich fortsetzen. Manches droht schon in Vergessenheit zu geraten, wie der wohl größte Justizskandal im Nachkriegsdeutschland, die verhinderte polizeiliche, gesellschaftliche und vor allem juristische Aufarbeitung der Ermordung von Oury Jalloh durch Polizisten in einer Dessauer Zelle.

Antisemitismus in der Magdeburger Bereitschaftspolizei, der Datenlöschskandal, die illegaler Müllentsorgung in Vehlitz unter Kenntnis von Haseloffs Behörde, eine Vielzahl von Massentierhaltungsskandalen sind die Bekanntesten. Aber auch weniger Bekanntes, wie das weitgehende Plattmachen einer international bedeutenden Brandschutz-Forschungseinrichtung durch den ehemaligen CDU-Innenminister oder die permanente Minderausstattung von Schulen mit Lehrerinnen und Lehrern durch einen offensichtlich fachlich völlig überforderten CDU-Bildungsminister sind auf den ersten Blick weniger spektakulär aber nicht weniger skandalös.

Sachsen-Anhalt ist wahrscheinlich das Bundesland mit der größten Zahl an Skandalen in Deutschland und bei den allermeisten spielten CDU-Politiker*innen eine Hauptrolle.

Dies und die extrem hohe Unterstützung von Rechtsaußen-Parteien werden in Sachsen-Anhalt eher als Kavaliersdelikt angesehen denn als Problem. In den letzten Wochen ist dazu einiges bekannt gemacht worden. Einiges fehlt jedoch.

Sachsen-Anhalt ist wie kein zweites Land in der Wende vom Plattmachen großer Teile getroffen worden. Dabei ist vieles mit sehr fragwürdigen Mitteln erfolgt und Massenarbeitslosigkeit führte zu Politikverdruss. Industrieller Neuaufbau wurde immer mit Großindustrien, Ansiedlungspolitik und entsprechenden Förderprogrammen versucht. Ergebnisse waren nur teilweise positiv. Zugleich entwickelte sich eine fördermittelbewegte Regierungsgläubigkeit, vor allem auf dem Land und in kleineren Kommunen. Wer sich nicht mit der CDU arrangierte, blieb bei der Fördermittelvergabe oft auf der Strecke. Vieles erinnert an das Versickern von Wirtschaftshilfe in Afrika. Auch beim Kohleausstieg werden meist regionale Projekte hervorgekramt, die eigentlich kaum etwas bringen. Wenn man potentielle CDU-Wähler auf diese Skandale und diese Mentalität anspricht, kommt oft das Argument, andere seien politisch auch nicht besser und könnten es vielfach nicht besser. Die Skandale werden so zum geduldeten Alltag.

SPD und grüne haben dazu meist nur halbherzig Paroli geboten. Ihnen wird eine bessere Performance nicht abgenommen, ebenso wie der Linken. Das hat Ursachen. Ein Blick zurück in die 90er.

Genau wie in 1994 und 1998 fand die Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt knapp vor den Bundestagswahlen statt und erhielt damit eine entsprechende Aufwertung. 1994 reichte es in Sachsen-Anhalt für eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Duldung der PDS. Vergleicht man die aktuellen Wahlergebnisse mit 1994 dann fallen mehrere Besonderheiten auf:

1994 gab es linke Mehrheiten (Grüne, Linke und SPD) von fast 60 %, aktuell sind es noch ca. 25 %.

In den neunziger Jahren spielten bis 1998 rechte Parteien keine Rolle. Dann kam die DVU – die man getrost als Vorläufer der heutigen AfD bewerten könnte - mit ca. 14 % in den Landtag, was damals einen berechtigten Aufschrei auslöste, aber letztendlich nicht dazu führte, rechtsextreme Einstellungen zu beenden. Die von der PDS tolerierte Minderheitsregierung wurde 2006 abgewählt. Seit damals regierte die CDU in unterschiedlichsten Koalitionen und eine neue linke Mehrheit wie in den 90ern ging endgültig verloren.

Den Niedergang der SPD kann man unter anderem mit der Hartz-IV-Politik der rotgrünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder erklären. Abgehängte Arbeitnehmer*innen der Reste der sachsen-anhaltinischen Großindustrie treten nicht mehr nach oben gegen die Großkonzerne und Finanzindustrie, sondern nach unten gegen Flüchtlinge, Fremde und „Sozialschmarotzer“, da man sich selbst als etwas Besseres wähnt. Nach jeder linken Regierungsbeteiligung kam und kommt es zu besonderen Ausschlägen nach rechts, aus Enttäuschung über nicht Erreichtes oder nicht gehaltene Versprechen, in Sachsen-Anhalt, in Griechenland, in Thüringen(?) usw.

Warum sind eher linke Regierungen nicht dauerhaft und werden abgewählt und führen zu rechtsextremen Ausschlägen?

Linke Parteien geben in ihren Programmen immer absolut berechtigte Ziele der Umverteilung an, die jedoch oft unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen. Berechtigte Versprechen werden nicht eingehalten, weil entweder gegen die Koalitionspartner nicht durchgesetzt oder nicht finanziert werden. Versprechen werden enttäuscht.

Aber auch das Vertrauen in linkere Wirtschafts- und Finanzpolitik ist aus vielerlei Aspekten gering. Nicht nur das Versagen in Regierungsverantwortung, auch der Ruf, „die können es eben nicht“, ist entscheidend. Der Blick zurück auf die anscheinend linke DDR ohne Wirtschaftskompetenz wirkt weniger anziehend als eine noch so korrupte, konservative bürgerliche Politik, in der zumindestens Teile der Mittelschicht ganz gut leben können.

Das gesamte Steuer- und Finanzsystem wird als unveränderlich wahrgenommen, von Konservativen Parteien ohnehin, von Grünen und SPD gibt es, wenn überhaupt halbgare Ansätze, z.B. in Richtung Ökosteuern oder Mindestlohnverbesserung, bei Linken sind es Ideen einer Vermögenssteuer. Alles das wirkt insgesamt in der Breite der Gesellschaft wenig überzeugend und anziehend.

Gerade Sachsen-Anhalt zeigt: Es gibt einen dringenden Bedarf, mit neuen politischen Ansätzen die großen Probleme unserer Zeit, Klimakatastrophe, Ungerechtigkeit bei Verteilung, Flüchtlinge, Pandemien, Artensterben, Kriege, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus usw. als ganzheitliches Konzept anzubieten. Um all dies in einen Topf zu bekommen, muss alles gleichzeitig gedacht werden und das, was immer ausgeklammert wird, unser Finanzsystem verändert werden. Die zählt aber als heilig, geschützt durch unzählige Lobbyisten, nicht nur Friedrich Merz.

In einer Reihe von Kleinstparteien und vielen direktdemokratischen Initiativen gab es eine Reihe interessanter Ansätze, nicht nur das bedingungslose Grundeinkommen und die Aufdeckung der Steuervermeidung von Großkonzernen, Verstaatlichung kritischer Infrastrukturen, Postwachstumsansätze, sondern auch zur Kombination vieler Einzelschritte. So lange aber in den Linksparteien die Marx‘sche Ideologie der Maßstab aller Dinge ist und andererseits Anpassung an den Mainstream kritisches Denken und Utopien ausschließen, wird man keinen Schritt weiter kommen. Oder den Umverteilungsmechanismus in unserem Währungssystem durch das Zinseszinsprinzip zu stoppen, z.B. durch ein ganz anderes Steuersystem, das wiederum die Grundlage für das bedingungslose Grundeinkommen bilden könnte. Also Ersatz der Mehrwertsteuer durch eine negativzinsliche Geldguthabensteuer, alles elektronisch abgebucht. Steuerflucht und Steuervermeidung würden so ausgemerzt. Vielleicht auch gestuft an Umweltkriterien der Mobilität.

Das sind einige der Ideen, weil das Bisherige versagt hat. Ob die bisher links auftretenden Parteien (Linke, SPD und Grüne) da was zuwege bringen, scheint eher fraglich, zu festgefahren wirken sie alle, auch die Grünen.

Ende letzten Jahres hatte war versucht worden, mehrere kleine Splittergruppen zu einer Liste oder Containerpartei zusammenzubekommen. Ergebnislos. Weil einerseits das Wahlrecht mit 5%-Hürde, wie andererseits die personellen Animositäten der kleinen untereinander und auch zu den bestehenden linken Parteien ein gemeinsames oder auch nur teilweise gemeinsames linkes Projekt verhindern.

Damit haben alle linken Kräfte einen großen Anteil daran, dass halbrechte, rechte, teils unfähige Konservative trotz einer Vielzahl von Skandalen auf der Politikbühne willkommener sind und die notwendigen Veränderungen von Klimaschutz bis weltweite Armutsbekämpfung auf der Strecke bleiben.

Was bleibt? Die Hoffnung, daß eines Tages mein Wunsch, das Scheitern der CDU an der 5%-Hürde, sich erfüllt? Das werde ich wohl leider nicht mehr erleben. Genau wie der Wunsch, dass es irgendwann auch auf Bundes- und Landesebene ein Wahlrecht Kumulieren und Panaschieren wie kommunal gibt. Dann bräuchte es auch keiner 5%-Klausel mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Prof. Dr. Michael Rost

Tätig an Hochschule Magdeburg-Stendal im Studiengang Sicherheit und Gefahrenabwehr, in den 90er Jahren bei den Grünen und der Anti-Atomkraftbewegung

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