Jetzt ist es so weit: Am kommenden Sonntag veröffentlicht die Europäische Zentralbank die Ergebnisse des großen Banken-Stresstests, bevor sie dann im November die Oberaufsicht über die führenden Institute der Eurozone übernimmt. Jetzt schon können wir vorwegnehmen, was die Geldwächter des Kontinents verlautbaren werden: Europas Banken sind im Großen und Ganzen gesund und werden künftige Krisen im Griff haben, klar. Einige schwarze Schafe werden durchfallen - allein schon zum Zwecke der Glaubwürdigkeit. Schließlich ist dies nicht der erste Stresstest. Die ganze Angelegenheit ist ein wahrlich aufwendiges Schauspiel.
Portugals „systemrelevante“ Bank Espírito Santo etwa hat die letzten zwei Auflagen des Tests problemlos bestanden - zuletzt 2011, ihr Ergebnis lag nur ganz knapp unter dem der Deutschen Bank. Bilanztricks, Bluffs und Bakschischstrategien wahrten den Anschein der Seriosität.
2014 fuhr die Espírito Santo, portugiesisch für „Heiliger Geist“, dann voll gegen die Wand. In den vergangenen zwei Monaten hat diese Bank, eine Familienholding, 4,9 Milliarden Euro aus den „Hilfspaketen“ für den krisengebeutelten Süden verschlungen. Derweil fehlt den Krankenhäusern das Verbandszeug, mehr und mehr Kinder in Südeuropa sind unterernährt und die Jugend sieht zu, dass sie der Perspektivlosigkeit so schnell wie möglich durch Auswanderung entkommt.
Dabei können die Jungen kaum hoffen, einen ähnlich lukrativen Weg zu nehmen wie der heute 71-jährige Portugiese Vítor Constâncio. Seit 2010 ist er Vizepräsident der EZB und nun Hauptstrippenzieher jener neuen, einheitlichen Bankenaufsicht in der Eurozone. Er war zuvor zweimal Präsident der portugiesischen Zentralbank.
Von den kriminellen Machenschaften im Bankensektor des Landes hat er jahrelang nichts mitbekommen. Nicht nur die Espírito Santo war bis zu ihrer Insolvenz in kriminelle Geschäfte verwickelt: Die Privatbank BPN diente als Geldwaschanlage und Selbstbedienungskasse ehemaliger Staatssekretäre und Minister. In Portugal verlassen Politiker gern die Regierungen und Parlamente, um dann exorbitant vergütete Beraterposten im Bankenuniversum zu übernehmen.
Übrigens: Constâncio saß auch schon im Vorstand einer anderen Privatbank, der BPI. Bald wird er sie wie die anderen größten Banken im Euroraum beaufsichtigen. Sein Chef, EZB-Präsident Mario Draghi, war bekanntlich früher Topmanager bei Goldman Sachs und hat als Notenbankchef in Italien ein System ausgeklügelt, das Banken und deren Aktionäre in Krisen mit Steuergeldern vor Bankrott und Verstaatlichung bewahrt.
Bessere Referenzen könnten die obersten Notenbanker Europas nicht haben. Denn genau darum geht es ja beim gegenwärtigen größten, komplexesten, umfassendsten Stresstest: um die Rechtfertigung dafür, dass in schlechten Zeiten öffentliche Gelder in das Bankensystem gepumpt werden, um in guten Zeiten die Profite in private Taschen wandern zu lassen. Wie dabei die Testergebnisse ausfallen, ist mehr eine Frage der Öffentlichkeitsarbeit denn eine der Finanzanalytik.
Junkies in der Spielhalle
In dieser Hinsicht war es wohl eine PR-Panne, dass der Vorsitzende der für den Stresstest mitverantwortlichen Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA kürzlich in einem Interview mit dem Wall Street Journal verlautbaren konnte: Seine Behörde sei „in einer Krise“, also knapp bei Kasse, da die Büromieten in London den ganzen Haushalt verzehrten. Von Goldman Sachs oder dem privaten Finanzdienstleister Blackrock hat man noch nicht gehört, dass ihnen die Mietpreise in der Londoner City zu schaffen machen.
Deshalb beauftragt Draghi ja nun auch Blackrock mit der Abwicklung des Aufkaufs alter Risiken, die in den Bilanzen der Geldhäuser schlummern: Mit der Übernahme der „Asset-Backed Securities“ (ABS) will die EZB die Banken von diesen Lasten befreien und sie so zur Vergabe neuer Kredite motivieren, um die Wirtschaft zu stimulieren. Das operative Geschäft dabei übernimmt Blackrock, der größte Vermögensverwalter der Welt mit Hauptsitz in New York, angeheuert und bezahlt von der EZB. Öffentliche Institutionen sind nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen.
Sie sollen es auch gar nicht sein. In einem System, in dem die Investmentsparten spekulieren dürfen wie Spielhallenjunkies und selbst das konservative Depositengeschäft, bis auf eine nahezu irrelevante Mindestquote losgelöst von den Anlagen der Kunden, gigantische Geldmengen aus dem Nichts zaubern darf, da ist Glaube alles. EZB und EBA erfüllen denselben Zweck wie die riesigen Bankentürme aus Glas und Stahl in London, New York und Frankfurt am Main: Sie verdecken die nackten Kartenhäuser, die die Banken hinter diesen Fassaden eigentlich sind. Stresstests und ABS-Aufkauf, das ist, als müssten Fahrzeughalter ihre Autos beim TÜV gar nicht erst vorfahren: Sie füllen ein paar Formulare aus und schreiben, wie sauber die Abgase sind, dass die Bremsen funktionieren und dass der Unterboden rostfrei ist.
Von den Schadstoffen in den Bilanzen vieler Großbanken, den faulen Krediten und all der heißen, toxischen Luft der verschiedenen Investment- und Kreditblasen werden wir am Sonntag nicht viel zu Gesicht bekommen.
Von kommendem November an erhält mit der EZB dann eine Institution neue Kontrollkompetenzen übertragen, bei dem das Europaparlament zwar ein paar Worte mitzureden hat, die aber immer noch weitab tatsächlicher demokratischer Legitimation schwebt. Gerade deshalb sollten wir die Beruhigungspillen Stresstest und Bankenunion nicht schlucken.
Es gibt vielmehr Anlass zu Wut und neuem Kampfesmut: Wir brauchen eine grundlegende Demokratisierung des Bankwesens, von der kommunalen bis auf die europäische Ebene. Wir brauchen eine radikale Verkleinerung und Entmachtung des Finanzsektors mit seinen Repräsentanten, die heute nach Belieben private wie öffentliche Spitzenposten unter sich aufteilen. Wir, der Souverän, müssen uns des Sektors bemächtigen, dessen Aufblähen und Weiterexistieren wir bisher brav mit unseren Steuergeldern bezahlen. Erst dann besteht tatsächlich die Chance, dass wir im Großen und Ganzen gesunden und künftige Krisen im Griff haben.
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