Brot und Ballspiele

Mehr Süden wagen Über Politikverdruss und die mediale Malaise in Portugal
Ausgabe 21/2018
Solange der Teller gefüllt ist und ein Liter Rotwein bei laufendem Fernseher fünf Euro kostet, bleibt das System stabil
Solange der Teller gefüllt ist und ein Liter Rotwein bei laufendem Fernseher fünf Euro kostet, bleibt das System stabil

Foto: Nicolas Asfouri/AFP/Getty Images

In einem Restaurant an der Algarve kam zum ersten Mal ein Leser an meinen Tisch. „Ich bewundere Ihre Arbeit“, sagte er und machte wortreiche Komplimente mit der Höflichkeit eines Portugiesen, dessen Land 700 Jahre arabische Hochkultur und fünf Jahrhunderte Einwanderungswellen aus Afrika hinter sich hat, dazu die Fähigkeit, jemanden anhand eines winzigen Schwarz-Weiß-Fotos neben einer Kolumne zu identifizieren.

Ich wollte begeistert aufspringen, ihn umarmen. Stattdessen murmelte ich „Obrigado“, Danke schön. Meine schwäbischen Gene gewinnen manchmal die Oberhand über die südliche Fähigkeit zur Selbstemotionalisierung.

Dann kam die Krise, jetzt ist der Printjournalist eine gänzlich ignorierte Gestalt kurz vor dem Aussterben. Kaum noch jemand in Portugal liest Zeitungen. Schon vor der Krise hatten die Polit- und Wirtschaftseliten keine Probleme mit der Presse. Heute gehören die wenigen Printprodukte, die noch in Umlauf sind, ohnehin den Banken. Nur das Fernsehen zählt. Und auch das wird von Banken oder dem Staat kontrolliert.

Von Pausenfüllern abgesehen ist Fußball seit vielen Jahren das einzige Diskussionsthema weit und breit. Korruption im Fußball, gekaufte Schiedsrichter, Debatten um Spieler und Mannschaften: Gerade erst eröffneten alle Abendnachrichten im Fernsehen mit dem Präsidenten eines Lissabonner Fußballklubs (Sporting), der eventuell seinen Trainer (Jorge Jesus) feuern wollte – oder auch nicht –, gefolgt von Live-Schalten und Expertenanalysen. Zwei Tage später überfielen Sporting-Hooligans das Trainingszentrum ihres Vereins, schlugen Spieler und Trainer, weil sie das letzte Spiel verloren hatten. Wieder stundenlang Fußball in den Nachrichten.

Die große Mehrheit verfolgt gebannt Fußballmann- sowie machenschaften, niemand achtet darauf, was Parlament oder Regierung tun. Solange der Teller gefüllt ist und ein Liter Rotwein im Restaurant bei laufendem Fernseher fünf Euro kostet, bleibt das System stabil.

Mein Wechsel ins Fernsehfach vor eineinhalb Jahren war ein Anlass großer Freude für Mutter wie Schwiegermutter: Kurze Kommentare über internationale Politik abends im öffentlich-rechtlichen Sender RTP und die Teilnahme an einem Fernsehprogramm reichen aus: Unbekannte winken mir hinterher, Restaurantbesitzer geleiten mich zum Tisch, Lehrer und Eltern nicken betont freundlich, wenn ich die Kinder in die Schule bringe.

Frauen und Männer sprechen mich an, als gehörte ich zur Familie, an der Kasse im Supermarkt, beim Fischkauf am Hafen. „Ich verpasse keinen Ihrer Kommentare“, „Letzte Woche haben Sie’s diesem Halunken Trump aber gezeigt“. Dann erzählen die Menschen von ihren Sorgen: die Rente oder die drei Jobs, die nicht reichen, die Medikamente, die so teuer sind, die Großmutter, um die sich niemand kümmern kann. Einige sind mutiger: Das sollte ich kommentieren, nicht Iran und China. Die Menschen suchen ein Ohr, aber kaum jemand hört zu. Sie wünschen sich ein Sprachrohr, das all diese Dauernachrichten über rein gar nichts übertönen könnte.

Miguel Szymanski ist in Portugal und Deutschland aufgewachsen. Er arbeitet als Journalist in Lissabon

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