Er ist der Mann der Stunde. Seit einem Jahr Parteichef der Sozialisten, wartet António Costa nun darauf, dass ihn Präsident Cavaco Silva mit der Regierungsbildung beauftragt, wie es die Verfassung vorsieht. Aber die bleibt, was die Fristen für eine solche Nominierung angeht, äußerst vage. Sie lässt dem aktuellen Staatschef, einem bekennenden Neoliberalen, viel Spielraum. Und den interpretiere Cavaco Silva leider „gegen den demokratischen Geist der Magna Charta“, sagen Verfassungsrechtler, indem er sich weigere, seinen Amtspflichten nachzukommen und zu akzeptieren, dass sich der Partido Socialista (PS), der Partido Comunista (PCP) und die Linksallianz Bloco de Esquerda (BE) bereits auf eine Koalitionsvereinbarung geeinigt haben.
Doch António Costa ist schwer zu erschüttern. Der 54-jährige Vollblut-Politiker war in den vergangenen 30 Jahren aktiv am Sturz von vier Parteivorsitzenden – Mário Soares, Jorge Sampaio, Vítor Constâncio und António José Seguro – beteiligt. Wenn es sein musste, zuweilen konspirativ oder von cholerischer Erregung gepackt. Es kommt ein besonderer Umstand hinzu, António Costa begegnet den Kommunisten ohne die üblichen Ressentiments, auch wenn die eigene Partei – der kurz vor der Nelkenrevolution 1974 in der Bundesrepublik Deutschland gegründete PS – mit der linken Konkurrenz traditionell verfeindet ist. Nach dem Umsturz vor über vier Jahrzehnten wurden die Sozialisten vom Westen, die Kommunisten von der Sowjetunion unterstützt. Im Sommer 1975 drohte gar ein Bürgerkrieg, der von den damaligen Parteiführern, Mário Soares (PS) und Álvaro Cunhal (PCP), gerade noch vermieden werden konnte. Seitdem trennten kaum überwindbare Gräben Rechte und Linke in der Politik wie der Bevölkerung, während das Land immer mehr in Richtung Wirtschaftsliberalismus abdriftete. Nach mehr als vier Jahren extremer Austeritätspolitik und einem Dasein unter dem Euro-Rettungsschirm wendet sich nun das Blatt. Dass sich António Costa gegen den Willen der Mainstream-Medien, die von fünf Finanzgruppen kontrolliert werden, nach links orientiert, zeugt von Courage und Entschlusskraft. Er hat über einen Schritt nach links zuletzt des öfteren meditiert, wenn es galt, Arbeitshypothesen zu formulieren. Dafür wurde er von den einigen Zeitungen nicht nur scharf kritisiert, sondern teilweise dämonisiert. Ganz anders die Reaktion in den sozialen Netzwerken, wo Costas Verhandlungen mit den Linksparteien als Hinweis darauf verstanden wurden, dass es doch einen Unterschied zwischen den Sozialisten und dem Bloco Central des bisherigen Premiers Passos Coelho gibt, die sich seit 1975 die Macht in großen Koalitionen geteilt oder beim Regieren abgelöst haben.
António Costa hat mit den Kommunisten nicht zuletzt aus familiären Gründen ein tolerantes Verhältnis. Und die Familie ist wichtig in Portugal. Sie kann wichtiger als ein Parteibuch sein. Costa ist der Sohn eines aus dem indischen Goa, bis 1961 eine Kolonie Portugals, stammenden Schriftstellers, der seit Mitte der 50er Jahre Mitglied der seinerzeit von Diktator António Salazar verbotenen KP war. Der Vater wurde mehrfach von der PIDE, der politischen Polizei, festgenommen.
Der Sohn hat als Oberbürgermeister von Lissabon zwischen 2007 und 2015 – erstmals für Portugal – die Zusammenarbeit mit den Kommunisten gesucht und gezeigt, dass die vielen bunten Kirchenfenster der Hauptstadt an dieser atheistischen Allianz keinen Schaden nahmen. Das Amt des Stadtoberhauptes am Tejo war schon bei anderen Sozialisten der letzte Schritt vor dem Chefsessel in der Regierung. Insofern dürfte es António Costa nicht sehr geschmerzt haben, als ihn José Sócrates, der vorerst letzte PS-Premier, 2005 bat, als Innenminister aufzuhören und sich für das höchste kommunale Amt Lissabons zu bewerben. Wie sich zeigen sollte, war das für Costas Karriere von unschätzbarem Vorteil, entging er doch dem Sumpf des Korruptionsskandals, in dem José Sócrates unterging.
Bis vor kurzem saß der Ex-Regierungschef wegen „erwiesener Geldwäsche im großen Stil“ in Untersuchungshaft. Der dazu anstehende Prozess hat Costa während des Wahlkampfes vor dem Parlamentsvotum am 4. Oktober klar geschadet. Zwar kam Sócrates nie auf die Idee, als Wirtschaftskrimineller den politischen Häftling zu geben, doch war das Timing der Untersuchung seines Falls erstaunlicherweise immer von Vorteil für die Rechtsregierung unter Premierminister Passos Coelho.
Als politische Figur passt António Costa nicht wirklich zur Lissabonner Elite, der er trotz ihrer oft rassistisch angehauchten Überheblichkeit gegenüber seiner Herkunft aus Goa angehört. José Sócrates soll in Telefonaten mit Vertrauten immer gern vom „Neger“ gesprochen haben, wenn die Rede auf António Costa kam. Der konnte sich trotzdem im Führungszirkel der Sozialisten behaupten und mit seinen Vorstellungen durchsetzen.
Die Vergangenheit des Vaters im Widerstand gegen die Salazar-Diktatur, das Jurastudium an der Universität von Lissabon, die von den meisten Politikern seiner Generation durchlaufen wurde, und verwandtschaftliche Beziehungen zur Kanzlei des ehemaligen sozialistischen Präsidenten Jorge Sampaio, in der Costa mehrere Jahre als Rechtsanwalt tätig war, öffneten ihm entscheidende Türen. Costa und sein Halbbruder Ricardo – er ist Chefredakteur des meistverkauften portugiesischen Wochenblattes Expresso – gehören wegen ihrer Herkunft dennoch zu den Ausnahmen in der Machtelite des ehemaligen Kolonialstaates Portugal. Es spricht für den designierten Ministerpräsidenten Costa, dass er in der Bevölkerung den Ruf eines auf Gerechtigkeit bedachten und auffallend integren Politikers genießt.
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