Zuletzt ging es um die Erhöhung des Mindestlohns: Die Kommunisten forderten 755 Euro, die Regierung war nur zu 705 Euro bereit. Der Präsident schwieg erst, zögerte dann – und machte am Ende seine Drohung wahr: Portugal sieht Neuwahlen entgegen. Weil der Haushaltsplan der linken Minderheitsregierung von Ministerpräsident António Costa nicht auf Anhieb eine Mehrheit bekam, verfügte Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa die Auflösung des Parlaments.
Ein neues wird am 30. Januar bestimmt werden. Rebelo de Sousa hatte zuvor in Interviews angekündigt, dass er das tun könnte oder würde, sollten Kommunisten und Bloco de Esquerda (Linksblock), die die Regierungen Costas in den vergangenen sechs Jahren mitgetragen haben, dem Haushalt ihre Zustimmung verweigern. Das taten sie, die sozialdemokratische Regierungspartei Partido Socialista (PS) blieb ebenfalls hart – in einer identischen Situation im vergangenen Jahr hatte der Präsident das „Königsrecht“ des Parlaments noch respektiert und von einer Einmischung abgesehen. Eigentlich hätte Portugal erst in zwei Jahren wieder gewählt.
Auflösen darf das sonst eher protokollarisch tätige Staatsoberhaupt das Parlament aber „nur, wenn es notwendig ist, um das ordentliche Funktionieren der Institutionen zu gewährleisten“, so die Verfassung. Zur „Atombombe“ der vorzeitigen Entlassung der Abgeordneten der „Assembleia da República“ haben Präsidenten in den vergangenen 20 Jahren nur dreimal gegriffen: 2001, als Regierungschef António Guterres, heute UN-Generalsekretär, das Handtuch warf, weil er das Land in einen „politischen Sumpf“ versinken sah. Vier Jahre später, als José Manuel Durão Barroso dem Job als EU-Kommissionspräsident nicht widerstehen hatte können und die Regierungsgeschäfte einem chaotischen Nachfolger hinterließ, der das Land in eine Dauerkrise stürzte. Und zuletzt vor zehn Jahren, als Portugal vor dem Bankrott stand, die Troika einrückte und Premierminister José Sócrates wegen Korruptionsverdachts und Fluchtgefahr festgenommen wurde.
Diesmal war alles anders, die politische Lage schien entspannt. Die Krise brach aus heiterem Himmel herein, als der Präsident sprach: Hatte Marcelo Rebelo de Sousa – ehemals Fernsehkommentator, der heute unverändert tagein, tagaus kommentiert, was im Land passiert oder nicht passiert und im Fernsehen omnipräsent ist – sich einfach verplappert? Oder folgte der notorisch intrigenliebende Präsident schlicht politischem Kalkül?
Verplappert oder intrigiert
Anfang dieses Jahres hatten der PS und Premier Costa die Wiederwahl des konservativen Rebelo de Sousa unterstützt – und ihrer international angesehenen Parteikollegin Ana Gomes die Unterstützung verweigert. De Sousa und Costa verstehen sich allem Anschein nach weiter prächtig – der Premier besuchte schon als Student die Vorlesungen des Juraprofessors Marcelo Rebelo de Sousa.
Seit 2015 regiert Costa mit zwei externen Partnern im Parlament, die Konstellation wurde erst als „Geringonça“ (Klapperkiste) belächelt und dann zu einer linken Erfolgsstory stilisiert. Von 2016 an stimmten die beiden kleineren Linksparteien Haushaltsplänen der Regierung zu, die Geldmittel für vorgesehene Ausgaben hielt dann aber oft das Finanzministerium zurück, um sie im Nachhinein einzusparen. Bis vergangene Woche lief die Kiste noch. Jetzt hat die Allianz aus PS, Kommunisten und Linksblock ausgedient. Das erwischt nicht nur die drei kalt, sondern auch die Opposition.
In der konservativ-liberalen Volkspartei Partido Social Democrata (PSD) tobt der Kampf um die Parteispitze zwischen Rui Rio und Paulo Rangel: Ersterer wäre bereit, sowohl mit den Sozialisten als auch mit dem rechtsradikalen „Chega“ (dt. Basta/Schluss damit) eine Regierungskoalition zu bilden, Zweiterer lehnt diese Szenarien bisher ab. Auch beim christlich-konservativen Centro Democrático e Social – Partido Popular (CDS/PP) steht noch vor der Wahl im Januar ein Führungswechsel an, weshalb eine Schlammschlacht tobt. Kommunisten und Linksblock fallen in Umfragen zurück, Letzterer lässt bereits zaghaft verlauten, eine „spanische Lösung“ sei vorstellbar. Will heißen: Der Bloco de Esquerda würde wie Podemos in Madrid aktiv in eine PS-geführte Regierung eintreten. Die PS selbst spekuliert nach einer sehr erfolgreichen Impfkampagne (88 Prozent der Bevölkerung sind zweifach geimpft) und der Ankündigung einer langjährigen Finanzspritze von 60 Milliarden Euro auf eine absolute Mehrheit. Sollte die ausbleiben, kann Costa wohl seine Sachen packen und sich nach einem Posten bei einer internationalen Organisation umsehen. An drängelnden Nachfolgeaspiranten mangelt es nicht.
Die rechtsextreme „Chega“ indes bleibt zwar ein Scheinriese, auszuschließen ist ein Bündnis à la PSD, CDS/PP und Chega aber nicht. Präsident Rebelo de Sousa weiß das.
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