Portugiesischer Karneval 2017 in Macedo de Cavaleiros
Foto: Octavio Passos/AFP/Getty Images
Die Liste ist lang: Journalisten, Historiker, Philosophen, französische Präsidentschaftskandidaten, Politologen und Gesandte politischer Stiftungen aus Berlin, Paris und Brüssel kommen seit Monaten nach Lissabon, laufen Hügel hinauf und hinunter, werden hier empfangen und klopfen dort an eine Tür. Sie reden mit Silva und Sousa (zu deutsch: Hinz und Kunz) und wollen alle das Gleiche wissen: Worin besteht das Erfolgsrezept der Mitte-Links-Minderheitsregierung der Partido Socialista (PS) von Premier António Costa, die seit 16 Monaten von der Partido Comunista Português (PCP) und dem Bloco de Esquerda (Linksblock/BE) unterstützt und mitgestaltet wird? Und wie hat sie es geschafft, dass die Wirtschaftsindikatoren mehr Stabilität verheißen?
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Nach der Wahl vom Oktober 2015 gab es ein großes Trara im Land. Die bis dahin regierende rechtskonservative, wirtschaftlich ultraliberale Partido Social Democrata (PSD) des Ministerpräsidenten Passos Coelho und deren rechtspopulistischer Sozius CDS/PP hatten auf einmal im Parlament eine Mitte-Links-Mehrheit gegen sich. Der damalige Staatspräsident, der ebenfalls konservative António Cavaco Silva, tat alles Erdenkliche, um den Sozialisten das Regierungsruder zu verweigern. Zu Unrecht wurde verbreitet, der Partei mit einer relativen Mehrheit, also der PSD, den Regierungsauftrag zu entziehen, sei Verfassungsbruch. Letzten Endes war nicht zu verhindern, dass Kommunisten und Linksblock mit den Sozialisten einen Regierungsvertrag aushandelten und seither das Kabinett von António Costa tolerieren. Der führte die Sozialisten, die das lange nur noch dem Namen nach waren, klar nach links. Woraufhin sich die rechte Minderheit in Portugal „von den Kommunisten bestohlen“ fühlt und die Bevölkerung in eine so starke Links-Rechts-Polarisierung geraten ist wie seit der Nelkenrevolution vom April 1974 nicht mehr.Deutsche SkepsisMan hatte es mit einem historischen Vorgang zu tun, denn PS und Partido Comunista waren seit jenem Umschwung vor 43 Jahren politische Erzfeinde. Für linke Parteien überall in Europa wurde der „Fall Portugal“ auch deshalb zum Studienobjekt. Sie fragten sich darüber hinaus: Sollte linke Politik gegen die deutsche EU-Führungsmacht und die EU-Zentrale in Brüssel nach dem Abgang von Yanis Varoufakis als Finanzminister im ersten Kabinett von Alexis Tsipras in Griechenland doch möglich sein? Und warum vermochten Kommunisten und Sozialisten in Lissabon, was Podemos und Sozialisten in Madrid nicht zustande brachten?Besonders in Berlin wurden Unbehagen und Skepsis über Premier António Costa laut. Wolfgang Schäuble war bisher Regierungen in Lissabon gewöhnt, die Spardiktate willig befolgten. Prompt wertete der Finanzminister den Regierungswechsel als verhängnisvoll: Die Situation für Portugal könne „sehr gefährlich werden“, wenn die „Reformen“ gebremst würden. Portugal begehe „einen großen Fehler“, sollte es von der Sparpolitik abweichen. Im Oktober 2016 sagte er gar: „Ich habe meinen portugiesischen Kollegen gewarnt.“ Tatsächlich kostet es Portugal Millionen Euro, wenn Deutschland dem Land indirekt die Kreditwürdigkeit bestreitet, so dass die Kapitalmärkte mit einem Zinsschub reagieren und die Refinanzierung portugiesischer Staatspapiere verteuern. Wofür es keinen Grund gibt: Portugal überlebte bislang den Wechsel hin zu einer Regierung, die sich gegen Austeritätspolitik wendet und es wagt, Reformen innerhalb eines engen Spielraums, aber mit internationaler Signalwirkung rückgängig zu machen. Und das, ohne dadurch einen Staatsbankrott heraufzubeschwören.Placeholder infobox-1Anfänglich wurde die neue Regierungsarchitektur mit zwei externen Partnern links der Mitte belächelt und Geringonça getauft, was sich mit „wackliges Vehikel“ oder „klapprige Kiste“ übersetzen lässt. Doch entgegen aller abwertenden Semantik wurde aus der portugiesischen Variante ein Muster, um linken Parteien in der EU wieder mehr Geltung zu verschaffen. Ob nun „wacklig“, „improvisiert“ oder „mehr links als flink“ – die Mitte-Links-Allianz behauptet sich in einem europäischen Krisenland und versucht, dem Wunsch der Bevölkerung nach einem besseren Leben gerecht zu werden.Stimmung und StatistikWas genau ist in anderthalb Jahren Linkspolitik passiert? Regierung und Opposition streiten täglich über Zahlen. Haben überlebenswichtige Investitionen aus dem Ausland zu- oder abgenommen? Für beides gibt es passende Zahlen. Sind weniger Arbeitslose ein Indiz für noch mehr Auswanderung oder für einen verhaltenen Aufschwung? Selbst das Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent im Vorjahr wird konträr gedeutet. Außerordentliche, nicht wiederholbare Ereignisse seien es, die jenen Zuwachs bescherten, so die rechte Opposition. Mit einem Haushaltsdefizit von lediglich 2,1 Prozent gelang Portugal mehr als Spanien oder Frankreich, sagt die Regierung, was immerhin der Internationale Währungsfonds (IWF) bestätigt. Dies sei allerdings nur möglich gewesen, weil säumigen Steuerzahlern ein erheblicher Schuldenschnitt eingeräumt wurde, sofern sie einen Teil ihrer Steuerschuld tilgten, und weil öffentliche Investitionen Anfang 2017 gekappt wurden, heißt es aus dem staatlichen Conselho das Finanças Públicas (Rat für öffentliche Finanzen). Schließlich wird darüber gestritten, baut Portugal seine Schulden wirksam ab? Oder werden nur Außenstände beim IWF mit billigeren Krediten bedient?Mit Zahlen allein lassen sich kaum klare Auskünfte erteilen. Zuweilen sagt die Stimmung mehr als die Statistik. Anders formuliert: Aufschwung oder Niedergang werden schnell zur Glaubensfrage. Wenn wirtschaftliche Prosperität eine psychologische Komponente hat, dann geht es aufwärts, weil die meisten Portugiesen Hoffnung schöpfen. Nur lassen sich eben die Gläubiger schwerlich beschwichtigen, wenn die Gesamtschulden des Staates derzeit mit 245 Milliarden Euro oder 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in schwindelerregende Höhen gestiegen sind.Es kommt hinzu, dass die Banken sanierungsbedürftig bleiben. Nachdem zunächst die Privathäuser BPN und Banco Espírito Santo externe Hilfen brauchten, ist nun die Staatsbank CGD auf eine Milliardenspritze angewiesen. Der touristische Boom, den Portugal in erster Linie der prekären Sicherheitslage in Nordafrika und in der Türkei zu verdanken hat, bringt weniger Geld, als die massive Kapitalflucht jedes Jahr aus dem Land spült.Ungeachtet dessen wollte die Regierung Zeichen setzen, indem sie wieder eine Vermögensteuer einführte, den Mindestlohn anhob und dort, wo es möglich war, die Sozialabgaben für Kleinverdiener gesenkt oder gestundet hat. Doch kann nicht kompensiert werden, dass Portugal systematisch deindustrialisiert wurde, Hunderttausende von Arbeitsplätzen, dazu Kapazitäten in der Landwirtschaft und ein Teil der Fischereiflotte verloren gingen. Nationale Schlüsselfirmen wie vormalige Staatsunternehmen in der Energieerzeugung, der Telekommunikation und im Finanzsektor mussten verkauft werden. Nicht selten gingen sie an Interessenten aus China, Frankreich oder Angola, die sich zu Spottpreisen bedienen konnten.Programmatisch hat António Costa in einem Land, dessen Einkommensgefälle Rekordwerte erreicht hat und stärker ausgeprägt ist als in den Vereinigten Staaten, seine Sozialisten umgekrempelt. Und auch personelle Konsequenzen nicht gescheut, um seinem Kurs Nachdruck zu verleihen. Im Aufsichtsrat der Zentralbank sitztinzwischen der ÖkonomieprofessorFrancisco Louçã, Gründer und langjähriger Vorsitzender des von marxistischen und trotzkistischen Ideen geprägten Bloco de Esquerda. Aber Costa kann weder den Euro abwerten, um die Schuldenlast zu erleichtern, noch einen Schuldenschnitt beschließen.Carlos César, Vorsitzender der Partido Socialista und neben seinem Parteifreund António Costa einer der wichtigsten Politiker des Landes, bringt es auf den Punkt: „Andere Maßnahmen wären dringend notwendig, aber Portugal hat keinen Spielraum.“Placeholder authorbio-1
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