Jetzt bleibe im Südwesten der EU nur noch Portugal frei von rechtspopulistischen und -extremen Bewegungen: So war es in diversen Medien zu vernehmen, nachdem im vergangenen Dezember erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur eine extrem rechte Partei in ein spanisches Parlament eingezogen war – wenn auch „nur“ auf regionaler Ebene, in Andalusien. Elf Prozent der andalusischen Wähler, hieß es, hätten dem Mythos ein Ende gesetzt, wonach die Iberische Halbinsel gegen Rechtspopulismus „geimpft“ sei.
In Portugal, wo es außer auf den Azoren und Madeira keine autonomen Regionen und Regionalwahlen gibt, konnte die rechtsextremistische Partei Partido Nacional Renovador ihre Wählerschaft im Laufe der letzten fünf Parlamentswahlen, zwischen 2002 und 2015, zwar verfünffachen – allerdings von 0,1 Prozent auf 0,5 Prozent der Stimmen.
Bekannteste Figur im politischen Rechtsaußen ist in Portugal seit vielen Jahren Mário Machado, mehrmals vorbestraft, unter anderem wegen schwerer Körperverletzung, als er Anführer der portugiesischen Frente Nacional war. Machado saß bis Mai 2017 zehn Jahre lang im Gefängnis. Jetzt gehört er der Motorradgang Red & Gold an, die international mit den Bandidos verbündet ist. Im Juni 2018 gründete er die Partei Nova Ordem Social (Neue Soziale Ordnung). Seit Jahren ist Machado ein Aushängeschild in den Medien, die damit die Begeisterungswellen für den Rechtsextremismus in Portugal niedrig halten wollen.
Im Bericht der portugiesischen Geheimdienste vom vergangenen März hieß es erstmals, Rechtsextreme seien dabei, sich neu zu organisieren, und das gesamte rechte Spektrum nähere sich „den wichtigsten europäischen Tendenzen im Kampf um die ‚Rückeroberung‘ Europas durch Europäer“. Instrument sei vielfach die „Verstärkung von Online-Propaganda und anderen Initiativen“, zitiert die Zeitung Diário de Notícias aus dem Bericht.
Gleichzeitig kursieren Informationen, die Polizei selbst werde gezielt von rechtsextremen Kräften unterwandert, derweil die Identitäre Bewegung an Universitäten Studenten rekrutiere. Von der größten Oppositionspartei splitterten sich 2018 zwei neue Parteiformierungen ab, die eine von einem ehemaligen Regierungschef angeführt. Beide propagieren rechtspopulistische bis rechtsextreme Programmpunkte. Könnte es also auch in Portugal bald einen extremen Rechtsruck geben?
Portugals Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa saß am 19. Dezember im Saal des Elite-Clubs Grémio Literário in der Hauptstadt Lissabon mit ausländischen Journalisten beim Abendessen. Für den Samstag vor Heiligabend waren erste Proteste portugiesischer Gelbwesten angekündigt, die in den sozialen Netzwerken wochenlang Zehntausende Bürger mobilisiert hatten. Die Reallöhne gehen seit zehn Jahren zurück, trotz von Linken und Kommunisten mitgetragener Mitte-links-Minderheitsregierung. Die wichtigsten Staatsunternehmen wurden an ausländische Investoren verkauft.
Die Menschen im Land sind unzufrieden. Medien und Journalisten hatten deswegen, aber auch wegen der Gelbwesten-Proteste in Frankreich, ihr Augenmerk auf die angekündigten, aber nicht genehmigten Demonstrationen gerichtet. Straßen sollten landesweit blockiert werden, etwa die Brücke über den Tejo, die Hauptschlagader Lissabons.
Doch der Präsident, der von sich behauptet, wie kein anderer Politiker den Puls im Lande zu spüren (der Freitag 39/2016) – er geht mit Lkw-Fahrern essen, fährt sein eigenes Auto zum Einkaufen, geht fast jeden Tag an den Strand zum Schwimmen –, machte sich keine größeren Sorgen. In den Tagen vor der angekündigten Protestwelle der Gelbwesten war überall in den sozialen Netzen zu lesen, all das sei nur eine Initiative rechtsextremer Organisationen. Der Staatspräsident meinte: Die Portugiesen zögen gern den Flaggen der Kommunisten und Gewerkschaften hinterher. Aber nicht denen der Rechten. Kaum jemand im Land wolle auf der Straße „mit Faschisten gesehen werden“. Er sollte Recht behalten: Die Proteste der Gelbwesten verklangen fast tonlos und unbemerkt.
Zwischen Dessert und Espresso führt Marcelo Rebelo de Sousa drei Gründe dafür an, dass es in Portugal keine rechtspopulistischen und rechtsextremen Tendenzen gebe. Erstens: die abschreckende Wirkung von 40 Jahren Diktatur. Zweitens: die „Plastizität der PSD“, der großen Mitte-rechts-Partei, die viele konservative und nationalistische Tendenzen beherberge. Und drittens: die Nichteinmischung externer Kräfte, womit der Präsident die Finanzierung rechter Organisationen durch ausländische Sponsoren meinen dürfte, wie in anderen EU-Ländern passiert.
Es gibt weitere Besonderheiten, die Portugal von Spanien in Bezug auf den Rechtsextremismus unterscheiden. In Portugal gab es eine Revolution, die 1974 mit der Salazar-Diktatur brach. In Spanien dagegen fädelte Franco minutiös seine Nachfolge ein. Nach seinem Tod löste ihn als Staatsoberhaupt ein König ab, den der Diktator selbst gefördert hatte, die Diktatur schlitterte mit einer neuen Verfassung reibungslos in die parlamentarische Demokratie. In Spanien marschieren Franco-Fans regelmäßig durch die Straßen; in Portugal bleiben Salazar-Fans zu Hause oder schwärmen im Café von den „guten alten Zeiten“.
Die Nostalgie, die verblasste Macht eines Weltreichs, lebt in vielen Portugiesen und Spaniern weiter. Aber anders als Spanien hat Portugal eine einzige Sprache und seit vielen Jahrhunderten eine einzige Landeskultur innerhalb stabiler Landesgrenzen. Außerdem blieb Portugal, anders als Spanien, den großen europäischen Turbulenzen weitgehend fern.
Selbstbewusste Identität
Ganz Portugal wurde von der Algarve bis Porto insgesamt fast 700 Jahre lang arabisiert. Es hat also hinter sich, was französische oder deutsche Rechtspopulisten zu fürchten vorgeben. Auch nach der maurisch-islamischen Besetzung gehörten ab dem 15. Jahrhundert Afrikaner, sei es als Sklaven oder freie Bürger, zum Stadtbild Lissabons – sie wurden im Laufe der folgenden Jahrhunderte größtenteils assimiliert. Allein im ersten Revolutionsjahr, zwischen 1974 und 1975, kamen eine halbe Million „retornados“ (Heimkehrer) aus Afrika, die ohne spürbare soziale Spannungen integriert werden konnten.
Traditionell ist Portugal ein offenes Land, das stolz ist auf seine sprichwörtliche Toleranz und sich als „país dos brandos costumes“ sieht, als ein „Land der sanften Sitten“. Viele Familien der Lissabonner Eliten haben afrikanische, arabische und indische Vorfahren in ihren Stammbüchern. Trotz der unrühmlichen Rolle Portugals als Kolonialmacht gehörte die „Rassenmischung“, die Heirat von Portugiesen und Einheimischen in den Ex-Kolonien, zur offiziellen Kolonialpolitik Portugals.
Das bedeutet nicht, dass das Land immun wäre gegen Rechtspopulismus. Aber es gibt eine selbstbewusste, neun Jahrhunderte alte nationale Identität. Und eine starke kulturelle Resistenz gegen die feindliche Ausgrenzung anderer Kulturen. Anders als in Deutschland ist „Willkommenskultur“ hier eher Strategie als Reizwort.
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